
Manche Künstler tragen ihre Klassiker wie ein Banner vor sich her. Andere – wie John Cale – lassen sie wie Schatten durch ihre Gegenwart huschen. So ist es auch am Sonntag im Carlswerk Victoria in Köln. Dass Cale „Do Not Go Gentle into That Good Night“, seine Vertonung von Dylan Thomas’ berühmtem Gedicht, nicht als Opener, sondern im Mittelteil bringt, ist sicher kein Zufall: Der Zorn gegen das Vergehen, das Weigern, sich still ins Dunkel zu fügen, ist an diesem Abend kein Auftakt – sondern ein Teil eines vielschichtigen Narrativs.
Die Band

Cale steht nicht allein auf der Bühne. An seiner Seite eine hochkarätige, eingespielte Band, die seine Ideen präzise und doch mit Spielfreude umsetzt: Dustin Boyer zuständig für die Leadgitarre und Samples, Joey Maramba am Bass und Alex Thomas am Schlagzeug und an Synths. Gemeinsam mit Cale selbst (Gesang, Keyboards, Gitarre) bilden sie eine Formation, die zwischen kontrolliertem Chaos und perfektem Timing oszilliert. Vor allem Boyers Gitarrenspiel verleiht vielen Songs eine neue Tiefe – nicht zuletzt beim furiosen Höhepunkt des Konzerts. Doch dazu später.
Auftakt mit Biss: „Shark-Shark“
Direkt zum Einstieg signalisiert „Shark-Shark“: Hier kommt kein gemütlicher Abend. Das neue Material vom aktuellen Album „POPtical Illusion“ lebt von Fragmentierung, ironischer Brechung und düsterer Energie. Die Band spielt den Song mit Nachdruck – Cales Stimme ist da eher das schneidende Element als der melodische Kern. Bei diesem Song mit den stampfenden Rhythmen, die eigentlich zum Tanz auffordern – wäre das Carlswerk nicht bestuhlt gewesen, hätte es Party gegeben – spielt der Chef selbst die Gitarre.
Groteske Rollenbilder: „Captain Hook“
Was für eine instrumentale, fast dramatische Einführung! „Captain Hook“ zeigt Cale als Erzähler, der in die Haut seiner Figuren schlüpft – mal ironisch, mal verstörend. Der Sound schwankt zwischen Düsternis und Punch, mit starkem Bassfundament und zackigen Einsätzen.
Internationale Perspektive: „Letter From Abroad“
Dieses Stück mit den dissonanten Zwischentönen wirkt wie ein Brief aus der Ferne – melancholisch, politisch, persönlich. Cale singt mit einer Stimme, die sich nicht erklären, sondern verstanden werden will. Ein stiller, aber intensiver Moment.
Inneres Feuer: „Setting Fires“
„Setting Fires“ vom aktuellen Album sit kein lautes Stück – aber eines, das lange nachwirkt. Hier ist die Band besonders feinfühlig, mit schwebenden Synth-Flächen und verzögerten Akzenten. Ein Lied über Neuanfänge – vielleicht auch ein Kommentar zum eigenen Werk.
Abgründige Cover-Version: „Heartbreak Hotel“
Cales Version des Elvis-Klassikers ist längst ein düsterer Klassiker für sich – auch in Köln wird sie mit brennender Intensität gespielt. Das langsame Tempo, das bleierne Schlagzeug und die verzerrte Gitarre machten daraus ein Lamento voller Kontrollverlust und Wahnsinn.
Lichtblicke: „How We See the Light“ & „Long Way Out of Pain“
Zwei Songs, die Hoffnung atmen – ohne sich der Sentimentalität zu ergeben. Vor allem „Long Way Out of Pain“ lebte vom Wechselspiel zwischen zurückgenommenen Passagen und eruptiven Klangwellen. Diese mächtige Kirchenorgel und die immer noch kräftige, aber melancholische Stimme Cales am Anfang – Gänsehaut.
Wütendes Manifest: „Do Not Go Gentle into That Good Night“
Nicht als Opener, sondern als Statement im Zentrum des Abends – diese Version ist eruptiv, trotzig, fast beschwörend. Cale wirkt wie ein Prophet in Trance, begleitet von einer wuchtigen Band, die den Text musikalisch auflädt. Dylan Thomas hätte diese Umsetzung verstanden. Und ich liebe diesen Song einfach. Ich würde mir auch eine Compilation von Cale kaufen, auf der er alle Versionen vereint.
Erinnerung und Verlust: „My Maria“ & „Company Commander“
„My Maria“ klingt an diesem Abend nicht nostalgisch, sondern wie ein Gespräch mit einem Geist, ein tolles Stück mit einem wunderschönen Opernharmoniegesang, der unter die Haut geht und irgendwie auch eingängig ist. Ich frage mich, warum John Cale diesen schönen Song so selten live performt und warum er ihn jetzt, nach gut 50 Jahren, wieder auf die Setlist gesetzt hat.
„Company Commander“ ist dann wieder deutlich politischer – fast martialisch, mit einem strengen Rhythmus und schneidenden Samples.
Der emotionale Höhepunkt: „Out Your Window“
Das Herzstück des Konzerts. Fast 15 Minuten nimmt sich Cale Zeit für „Out Your Window“, das in dieser Live-Version zum emotionalen Brennpunkt wird. Dustin Boyer glänzt mit einem elegischen Gitarrensolo, während Cale jede Zeile wie ein Bekenntnis singt. Die Intensität des Moments ist greifbar – ein leiser Hilfeschrei, ein stiller Abschied, ein letztes Festhalten: “Please, please don’t go.”
Nico lebt weiter: „Frozen Warnings“
Ein stilles, ehrliches Andenken an Nico – Cales Interpretation ihres Stücks ist würdevoll, kühl und gleichzeitig voller Respekt. Der Song wirkt wie ein Ritual – vielleicht für das, was vergangen ist, vielleicht auch für das, was bleibt.
Eleganz und Eigensinn: „Villa Albani“
Ein Song wie ein Traum, voll von seltsamen Bildern und Anklängen an Klassik und Film. Cale zeigt hier seine künstlerische Vielschichtigkeit – der Moment, in dem aus Pop Kunst wird.
Zum Abschluss: „I’m Waiting for the Man“
Wie immer kein bloßer Rausschmeißer, sondern ein Statement. Der Velvet-Underground-Klassiker wird entschlackt, entrockt, entmystifiziert – Cale singt ihn wie jemand, der die Geschichte kennt, aber nicht darin gefangen ist.
Zwischen Vergangenheit und Gegenwart – ein kompromissloses Konzert
John Cale zeigt sich in Köln als radikaler Künstler, der sich weder auf alten Lorbeeren ausruht noch dem Zeitgeist anbiedert. Die Bühne, irgendwie spartanisch, auch er in seinem weißen zugeknöpften Hemd wirkt asketisch, seine Ansagen sind kurz und knapp. Was zählt, ist der Ausdruck, der Song – und eine Band, die ihn darin bedingungslos unterstützt. Ein Abend voller Brüche, Schönheit und Schmerz.













