Jazzfest Bonn 2025 zwischen Ekstase und Askese: Florian Arbenz, Greg Osby, Arno Krijger und Immy Churchill im Quartett sowie Media Roso

Arbenz-Krijger-Osby-Churchill- beim Jazzfest Bonn FOTO: JFB/ Thilo Beu

Beim Jazzfest Bonn treffen in der Kreuzkirche zwei radikal unterschiedliche Klangkonzepte aufeinander: Drummer Florian Arbenz energiegeladenes Quartett mit Greg Osby , Arno Krijger (Hammondorgel) und Immy Churchill entfacht ein Feuerwerk aus Kommunikation und Ausdruckskraft. Danach wird es still – fast zu still: Medna Roso und Hayden Chisholm laden zur meditativen Klangreise, die Geduld und Disziplin fordert. Ein Konzertabend zwischen musikalischer Ekstase und spiritueller Strenge.

Von Dylan C. Akalin

Ein Konzertabend, zwei Welten: Beim Jazzfest Bonn trifft am Freitagabend in der Kreuzkirche pulsierende Energie auf besinnliche Klangforschung, kommunikativer Jazz auf einen äußerst introvertierten Ansatz, Musik neu zu denken – der zweite Teil des Abends war eine Herausforderung für die Zuhörer, auf Dauer auch eine Qual.

Zwei Formationen beschreiten sehr unterschiedliche Wege, wie Jazz heute gedacht, gefühlt und gestaltet werden kann. Florian Arbenz, Greg Osby, Arno Krijger und Immy Churchill entfachen im ersten Set ein Feuerwerk an Kommunikation und musikalischer Neugier. Medna Roso dagegen, unter der Leitung von Hayden Chisholm, lädt im zweiten Teil zu einer stillen, fast asketischen Klangreise ein, die Geduld verlangt – und möglicherweise manchem spirituelle Einsichten schenkt. Ich war aber am Ende froh, als ich aus der Kirche flüchten konnte.

Klanggewitter mit Seele

Florian Arbenz ist ein Schlagzeuger, der Räume schafft – nicht nur rhythmische, sondern auch dramaturgische. Sein Set beginnt mit „Old Shaman“, einem Stück, das nicht nur die Atmosphäre der Kirche verändert, man merkt, wie sich die vier an die Klangeigenschaften solch eines großen Raumes herantasten.

Arbenz-Krijger-Osby-Churchill- beim Jazzfest Bonn FOTO: JFB/ Thilo Beu

Kalimba erklingt, Immy startet zunächst mit einem Sprechgesang, ihr klarer Kopfgesang harmoniert mit der Orgel, der Sound öffnet sich aber erst, als Krijger einen progrockartigen Ton an der Orgel anschlägt und das Saxophon einsetzt. Arbenz‘ mit Fingern und Fäusten gespielten Trommeln und Becken scheinen plötzlich von überall her um einen herum zu klingen.

Immer wieder Immy Churchill

Beeindruckend, was das Quartett aus den Charles Ives-Liedern „Memories“ und „Weil Auf Mir“ macht, wie Immy Churchill vom Scat-Gesang ins Liedhafte wechselt, wie sie sich mit ihrer Stimme in „Weil auf mir“ und „Truth“ eine klangliche Zwischenwelt erschließt – irgendwo zwischen Jazzgesang, Spoken Word und elektronisch gefilterter Innerlichkeit. Ihre Intonation ist bewusst fragil, ihr Ausdruck dafür umso eindringlicher.

Emmy Churchill: Arbenz-Krijger-Osby-Churchill- beim Jazzfest Bonn FOTO: JFB/ Thilo Beu

Intelligent gespielte Grooves, durchsetzt von feingliedrigen Akzenten, bereiten das Feld für das dialogische Spiel mit Greg Osby. Der amerikanische Alt-Saxophonist spielt mit der Souveränität eines Meisters, der seine Technik nie vor sich herträgt, sondern sie dem Ausdruck unterordnet. Seine Linien sind präzise, kantig, zugleich tief emotional – besonders in „Memories“, wo er fast singt auf dem Horn. Und was hat der Mann für einen Sound!

Greg Osby: Arbenz-Krijger-Osby-Churchill- beim Jazzfest Bonn FOTO: JFB/ Thilo Beu

Mit Arno Krijger an der Hammond-Orgel bekommt das Trio eine wuchtige, mitunter auch eine fast spirituelle Erdung. Krijgers Spiel erinnert manchmal an den Avantgarde-Progrock der 70er Jahre, was aber dennoch nicht retro klingt, sondern durchaus organisch: seine Basslinien sind beweglich, seine Akkorde raumgreifend, sein Sound oft nahe am orchestralen. Und immer wieder Immy Churchill. Beeindruckend wie gewachsen das Quartett klingt, haben sie doch erst am Tag zuvor in dieser Konstellation miteinander geprobt. Die Duette mit Osby sind jedenfalls echt beeindruckend.

Eruptive Spielfreude

In „Stomp“ schließlich kulminiert das Set in eruptiver Spielfreude: Arbenz treibt, Osby fliegt, Churchill deklamiert, Krijger donnert – eine Band, die sich auf der Bühne gegenseitig herausfordert, bestärkt und beflügelt. Ich hoffe, das Jazzfest lädt Greg Osby mal mit seiner eigenen Band ein. Sein aktuelles Album „Minimalism“ ist jedenfalls hinreißend.

Arbenz-Krijger-Osby-Churchill- beim Jazzfest Bonn FOTO: JFB/ Thilo Beu

Der abschließende Jazzstandard „I Loves You Porgy“ wird zur zerbrechlichen Verbeugung: Osby spielt es ohne Pathos, Churchill haucht es mit leichtem Vibrato, Krijger schickt schimmernde Akkorde durch das Kirchenschiff. Die Stille danach ist kein Ende, sondern ein Nachklang. 65 Minuten reinster Musikgenuss.

Meditative Polyphonie

Das kann ich vom Medna Roso, die nach der Pause die Bühne betreten leider nicht sagen. Mit Ausnahme des Vokalensembles, das sich der Bewahrung und Transformation südosteuropäischer Vokalmusik widmet. Die vier Sängerinnen – Zvezdana Ostojic, Gloria Lindeman, Julijana Lesic und Jovana Lukic – intonieren die alten Lieder in mikrotonalen Harmonien, die für westlich geschulte Ohren zunächst fremd wirken. Der Gesang ist archaisch, zugleich von zerbrechlicher Schönheit. „Listaj goro ne Zali be’ara“ klingt wie ein Klagegesang aus einer anderen Zeit, getragen von minimaler Bewegung und maximaler Innerlichkeit. Was mich wirklich beeindruckt ist, dass die vier Sängerinnen trotz der akustischen Störfeuer von Kirchenorgel und/oder Saxophon immer ihren Ton halten können.

Hayden Chisholm: Media Roso beim Jazzfest Bonn FOTO: JFB/ Thilo Beu

Hayden Chisholm, ein Klangsucher par excellence, mischt sich mit seinem Altsaxophon, der Shruti Box und einem dezent eingesetzten Analog-Synthesizer unter das Vokalgeflecht. Seine Linien sind sparsam, fast schwebend, oft kaum mehr als ein gehauchter Hauch im Klangraum. Kit Downes an der Orgel agiert ähnlich, nicht immer zurückhaltend – er ist weniger Begleiter als atmosphärischer Gestalter. Die große Ott-Kirchenorgel wird hier nicht immer meditativ gespielt, bisweilen stürzen Donner über uns, dann wieder ein Flirren von Tönen, das manchmal fast ins Nichts zerfällt. Misstöne wie zerbrechendes Glas, dröhnende Bässe.

Konzept verliert auf Dauer an Spannkraft

Doch so faszinierend dieses Konzept zu Beginn durchaus ist – mit fortschreitender Dauer verliert es an Spannkraft. Die Stücke, alle aus der Tradition bosnischer, kroatischer und serbischer Vokalmusik, unterscheiden sich nur graduell in Tempo und Dichte. „Oči moje“ und „Oj djevojko, janje umiljato“ ähneln sich in ihrer getragenen Schwere, „Medna roso, gdje si zimovala“ bietet mit seiner rhythmischen Offenheit kurzzeitig ein wenig Reibung. Aber das bleibt selten. Die spirituelle Tiefe der Musik verlangt Konzentration und Hingabe, was im sakralen Raum der Kreuzkirche durchaus Wirkung entfaltet – aber eben auch Disziplin. Und das auf den harten Kirchenbänken. Genuss ist anders.

Zwei Wege, zwei Haltungen

Was bleibt, ist ein Kontrast, der schärfer kaum sein könnte: Arbenz’ Quartett überzeugt durch kommunikative Dringlichkeit, kreative Freiheit und musikalisches Risiko. Medna Roso hingegen sucht das Transzendente in der Wiederholung, im Reduktiven, im fast rituellen Singen. Beide Konzepte haben sicherlich ihre Berechtigung – aber nicht zwingend denselben Publikumsimpuls. Vor allem Hayden Chisholms in sich gekehrte Art, die fast gezwungen wirkt, neue Sounds zu erwecken, kommt mir auf Dauer als akademischer Selbstzweck vor.

 Wer den Freitagabend in der Kreuzkirche mit wachem Geist erlebt hat, durfte zwei radikal unterschiedliche Antworten auf die Frage hören, was Musik in unserer Zeit sein kann. Eine Feier des Moments.

Media Roso beim Jazzfest Bonn FOTO: JFB/ Thilo Beu

Setlist Arbenz Osby Krijger Churchill:

Old Shaman
Memories
Weil auf mir
Truth
Stele
Stomp
I Loves You Porky

Setlist Medna Roso:

Sängerinnen: Zvezdana Ostojic, Gloria Lindeman, Julijana Lesic, Jovana Lukic
Saxophon, Shruti Box, Vocals, Analog-Synthesizer: Hayden Chisholm
Kirchenorgel: Kit Downes

Listaj goro ne Zali be’ara 
Ova brda i puste doline 
Oči moje
Oj djevojko, janje umiljato 
Medna roso, gdje si zimovala 
Smilj, Smiljana, kitu Smilja brala
Od kad seke nismo zapjevale 
Sluzbu sluzi Viden dobar junak 
Licki ojkan

Kit Downes: Media Roso beim Jazzfest Bonn FOTO: JFB/ Thilo Beu