
Von Dylan C. Akalin
Der Samstagabend im Bonner Pantheon gleicht einer musikalischen Doppelbelichtung – zwei konträre, aber komplementäre Klangwelten treffen beim Jazzfest Bonn aufeinander: Zuerst das VOLO Sofia Will Large Ensemble mit komplexer Konzeptkunst zwischen akademischer Ironie und orchestraler Wucht, danach Stefano Di Battista mit einem cineastischen Ritt durch die italienische Seele – voller Humor und solistischer Glanzleistungen.

Sofia Will ist Gewinnerin des Jazzfest-Bonn-Förderpreises 2024. Die 25-jährige Bonnerin ist Komponistin, Dirigentin sowie Altsaxofonistin und Flötistin des jungen VOLO-Ensembles. Bei ihren Kompositionen geht mit kalkulierter Wildheit ans Werk. Ihre Stücke tragen Titel wie „Mainz du das ernst?“ oder „Primzahlforschung“ – augenzwinkernde Miniaturen mit ernstem musikalischem Kern. Zu ihren witzigen Musiktiteln gibt es immer eine persönliche und humorvolle Geschichte, beschäftigen sich mit Alltagserlebnissen oder verarbeiten ihre Gefühle zu Mainz, wo sie Musik studierte.
Kalkulierte Architektur
Die Architektur ihrer Musik ist bisweilen mathematisch, kommt aber nie kalt rüber. „Siebenpluszehn“ eröffnet das Set mit rhythmischer Präzision und orchestraler Breite, bevor sich das Ensemble durch ein intelligentes Spiel mit Formen und Brüchen arbeitet: polymetrische Verschiebungen, pointierte Bläsersätze, Dissonanzen mit Haltung. Bei „Mainz du das ernst?“ habe ich bei einer wilden, expressiven Sequenz eine leichte Erinnerung an den genreübergreifenden, programmatischen Jazz eines Kamasi Washington.
„Be Cool“ von Joni Mitchell
Mit „Be Cool“ von Joni Mitchell blitzt kurz ein Hauch von lässigem Cool Jazz auf, doch auch dieses Arrangement ist durchwoben von struktureller Eigenwilligkeit. In „Karkassenrisskarussell“ kollidieren Sphären – das ist kein Karussell, das sich dreht, sondern eines, das auseinanderfliegt. Die dreiteilige „Moguntia“-Suite wirkt wie eine kryptische Liebeserklärung an Mainz: ironisch, verkopft, aber tief empfunden.
Fantastische Musiker*innen
Herausragend: Sängerin Aitzi Cofre Real bezaubert uns mit einer Stimme zwischen den lyrischen Lautmalereien eines Milton Nascimento, der Klarheit einer Flora Purim und den wandlungsfähigen Wagnissen einer Efrat Alony. Überzeugend sind auch die leider viel zu kurzen Soli der Tenorsaxofonisten Lucie Graehl und Adrian Gallet, des Hornisten Lars Töpperwien und des Drummers Malte Wiest. Erstaunlich eigenwillig ist die Präsenz von Posaunistin Carlotta Armbruster, sehr auf den Punkt und immer leitend: Bassistin Lena Lorberg. Überhaupt zeigt sich das junge Ensemble selbstbewusst und überzeugt mit Frische und virtuosem Können.

Stefano Di Battista und seine Band stürmisch gefeiert
Nach der Pause tritt Stefano Di Battista mit einem Quartett auf, das von der ersten Note an anders klingt: wärmer, unmittelbarer, liedhafter. Vielleicht zeigt sich hier auch die Erfahrung der Band. Di Battista, der mit seiner Altsaxophonstimme mühelos zwischen Oper, Jazzclub und Filmset wandert, lässt die Melodien sprechen. Sein warmer Sound, egal ob am Alt oder Sogran, trifft den Hörer mitten ins Herz. Sein junger Trompeter Matteo Cutello, der sich so manchen Gag des Chefs gefallen lassen muss, ist ein überragen der Musiker, der das Publikum immer wieder zum Applaudieren bringt.

„Tu vuò fa l’americano“ swingt mit neapolitanischer Eleganz, „La vita è bella“ erklingt bittersüß, ohne Kitsch, dafür mit großer Geste.
Bei „Caruso“ legt di Battista das Vibrato tief ins Herz, während sein Quartett – besonders der lyrisch-perlende Pianist – die perfekte Balance zwischen Begleitung und Freiheit hält. Spätestens bei Morricones „Il Buono il Brutto il Cattivo“ verwandelt sich das Pantheon in eine imaginäre Kinoleinwand. Di Battista braucht keine Worte – sein Spiel ist Erzählung genug.
Was beide Sets verbindet: Sie erzählen Geschichten, aber in ganz unterschiedlicher Sprache. VOLO dekonstruiert, Di Battista veredelt. Am Ende steht kein Vergleich, sondern ein Dialog – zwischen Konzept und Gefühl, zwischen Avantgarde und Tradition.

Setlist VOLO Sofia Will Large Ensemble:
Siebenpluszehn
Mainz du das ernst? – Moguntia I
Cis Males in Another World
Karkassenrisskarussell
Be Cool (Joni Mitchell)
Mai(nz) – Moguntia II
Primzahlforschung
Springflut
Vergissmainznicht – Moguntia III
Setlist Stefano Di Battista:
Tu vuò fa l’americano (Renato Carosone)
La vita è bella (Nicola Piovani)
Caruso (Lucio Dalla)
Via con me (Paolo Conte)
Sentirsi solo (Piero Umiliani)
La dolce vita (Nino Rota)
Il Buono il Brutto il Cattivo (Ennio Morricone)







