Wenn Daniel-Manrique Smith auf seiner Querflöte und Johann May auf der E-Gitarre unisono die unbeschwerten Melodielinien auf „Die Ankunft des Kaisers“ spielen, dann halten die Zuhörer zwangsläufig den Atem an. Die krummen Rhythmen und kniffligen Tonfolgen erfordern Konzentration, und doch wirkt das bei diesen Musikern auf erstaunliche Weise leichtfüßig. Jin Jim nennt sich die Jazzformation, deren Mitglieder aus Bonn und Köln stammen. Der Name ist aus dem Hebräischen abgeleitet und bedeutet „Rotschopf“ – eine Andeutung auf den Bassisten. Erst 2013 gegründet, hat sich das Quartett bereits mitten rein in die deutsche Jazzszene gespielt. Bei den Leverkusener Jazztagen waren sie bereits zweimal zu Gast – und auch die Bundesrepublik hat die grenzüberschreitenden Musiker als Botschafter deutscher Kultur auf Tour geschickt. Nach Südamerika im Frühjahr war die Band jetzt in einigen afrikanischen Ländern unterwegs.
Daniel-Manrique Smith (C-, Alt- und Bassflöte), 34, ist der Einfluss seines langjährigen Lehrers, des bekannten Bonner Flötisten Michael Heupel anzuhören. Sein filigraner, präziser Stil erinnert bisweilen aber auch an die Progressive Rock-Legende Thijs van Leer (Focus), vor allem bei dem folkloristisch angehauchten „Quiero Todo“. Johann May, 36, ist ein beflügelter Virtuose, der das Understatement schätzt. Seine Gitarre begleitet auf zurückhaltende Weise, fügt sich in die Songstrukturen ein, wenn aber nötig, dann lässt May, der auch als Lehrer an der Bonner Musikschule arbeitet, das musikalische Biest in sich los. Seine Soli zeugen von einem intelligenten Kreativitätsgeist: Die Stile, die er zu einem Ganzen flechtet, reichen von südamerikanischen Ausdrucksformen über Modern Jazz und Rock bis hin zu klassischen Harmonien – ein Bruder im Geiste von Gitarristen wie Mike Stern oder John Scofield. Ben Tai Trawinski (Bass), 35, gebürtiger Bonner, spielt noch in diversen anderen Bands. Was allen gemein ist, ist der Crossover der Stile. Zusammen mit Nico Stallmann (Schlagzeug), 33, sorgt Trawinski für das rhythmische Grundgerüst der Band. Aber sein Bass ist immer präsent und füllt mitnichten nur eine Begleitfunktion aus.
Jin Jim – die Musik vermischt Gypsi-Klänge, Balkan-Folk, Andensounds, Rock und Modern Jazz zu einem neuen musikalischen Kolorit. Wie etikettieren sie selbst ihre Musik? „Unsere Musik ist schwer zu beschreiben“, so Trawinski. „Sie ist wie eine Reise durch verschiedene Kulturen und Zeiten: mit HipHop-Beatbox-Flöten, Deutsch-Balkan-Grooves, Klanglandschaften aus Island und Spanien, Wetter-Liedern sowie Lieder über die pompöse Ankunft eines Monarchen.“ Die krummen Rhythmen und ausgefallenen Harmonien sind auf jeden Fall ein Markenzeichen, doch Stücke wie das sehr meditative „Landscapes“ zeigt, dass die Band auch gedankenverlorene Songs schreiben kann. Sie lassen sich Zeit, überlassen dem Bass lange die Führung, um lyrisch-verträumte Landschaftsbilder zu formen. „Wir vereinen die Energie des Rock und die Improvisation des Jazz“, sagt Stallmann.
Das Ungewöhnliche dieser Band ist eben ihr Umgang mit den Kulturen. Smith, gebürtiger Peruaner, kam zum Studieren nach Köln. Sein klassischer Bildungsbackground lässt sich bei seinem Verständnis der Klangästhetik sicher kaum verleugnen: „Wir trauen uns, Flamenco mit indischen Klängen und europäischer Folklore zu vermischen“, sagt er. „Wir sind immer auf der Suche nach musikalischen Herausforderungen.“ May nickt: „Die Neugier, Neues zu entdecken, hört nie auf. Seit ich sieben Jahre alt bin, sammele ich Platten.“ Und so zog der Gitarrist, so wie die Anderen Absolvent der Musikhochschule Arnheim, auch mal für eine ganze Weile nach Kuba, um die Musik des karibischen Staates zu studieren.
Und jetzt waren sie also im Auftrag des Goethe-Instituts auf Tour in Madagaskar, im Kongo, Angola, Kamerun und Südafrika. Sieben Konzerte gab die Band, aber was ebenso zum Programm gehörte, waren die Workshops und der Austausch mit einheimischen Musikern. „Im Kongo haben wir mit einer zehnköpfigen Band zusammengearbeitet. Und in Luanda in Angola hatten wir ein superschönes Projekt in einer Musikschule, das von Kubanern betrieben wird“, so Smith. Alle Lehrer sind Kubaner, und der Musikunterricht ist für die Kinder und Jugendlichen bis zum Alter von 19 Jahren kostenlos. Die vier deutschen Musiker boten dort Workshops für ihr jeweiliges Instrument an. Technik, Arrangements, Griffe – alles lief übers Gehör. „Sie konnten keine Noten lesen“, erzählt May. „Aber anders als in Europa fragen die dort nicht, wo die Eins beim Takt ist. Sie legen einfach los. So eine Musikalität habe ich selten gesehen.“ Anschließend führten sie die Teilnehmer zu einer großen Band zusammen.
Aber auch das afrikanische Publikum hat es den vier Musikern angetan. „Manchmal erklang nach ein paar Takten brausender Beifall, dass ich dachte, die kennen unser Album“, erzählt Smith lachend. „Aber es war einfach die Begeisterung.“ In Madagaskar kamen immerhin 3000 Zuschauer zum Konzert.
Und was haben sie für sich selbst mitgenommen aus Afrika? „Wir werden auf jeden Fall einige afrikanische Einflüsse in unsere nächsten Stücke einfließen lassen“, ist May überzeugt. „Die Herangehensweise an Musik, aber auch im Miteinander ist eine andere, so wie auch in Lateinamerika“, so Smith. „Als Deutsche merken wir immer wieder, dass wir eine sehr direkte Ansprache haben. Das ist im Westen effektiv, wird aber in anderen Ländern häufig als schroff, wenn nicht gar als unhöflich empfunden“, meint May. Das schönste aber sei der Austausch über Musik gewesen, selbst wenn man die Sprache des anderen nicht verstand: „Musik ist eine universelle Sprache, und die versteht jeder.“