Interview mit Tony Levin über King Crimson, sein Bass- und Stickspiel und den Humor von Robert Fripp

In der Bonner Harmonie: Tony Levin am Chapman Stick. FOTO: Peter Szymanski

Die britische Gruppe King Crimson gilt auch 50 Jahre nach der Gründung als Kultband. Das Album „In the Court of the Crimson King von 1969 ist ein Meilenstein des Progressive Rock. In der kommenden Woche gibt die Band gleich zwei etwa dreistündige Konzerte in der Essener Lichtburg. Das erste (20. Juni) ist bereits ausverkauft, für das zweite (21. Juni) gibt es noch rund hundert Restkarten. Mit dem Bassisten Tony Levin (72), der auch mit Peter Gabriel und Yes gespielt hat, sprach Dylan Cem Akalin.

King Crimson FOTO: Dean Stocking

Wie fühlt es sich an ein King Crimson zu sein?

Tony Levin: Großartig. Es ist immer eine Herausforderung und macht immer Spaß – auch wenn man’s nicht glauben will, weil die Musik doch so ernst ist. Wir sind jetzt seit dem Wiederauferleben der Band seit drei Jahren unterwegs und es macht wirklich Spaß, auch weil die Typen in der Band eben sehr witzig sind. Aber die Musik ist anspruchsvoll und fordert von den Musikern einiges ein.

Was heißt das?

Levin: Im Gegensatz zu anderen Musikprojekten, ist jeder Musiker als Individuum angesprochen. Du musst jedes Mal deine Möglichkeiten ausdehnen, das gilt sowohl klanglich als auch spieltechnisch. Du entwickelst ständig neue Idee, wie der Sound, wie das Stück besser klingen kann. Bei King Crimson zu spielen, ist eine Kombination aus Forschen, gute Musik zu spielen und dich ständig von den anderen großartigen Musikern inspirieren zu lassen.

„Natürlich ist Robert Fripp der Bandleader“

Das klingt nach einem sehr organischen Prozess. Heißt das also, dass die einzelnen Musiker Einfluss auf die Musik von King Crimson haben?

Levin: Oh ja! Sehr sogar. Natürlich ist Robert Fripp der Bandleader. Er ist sowas wie der achte Sinn der Musik, die sich ja immer wieder verändert hat so wie sich auch die Bandzusammenstellung ja oft verändert hat in den Jahren. Das brillante an Roberts Art, die Band zu leiten, ist, dass er nicht einfach sagt, wie er die Musik haben will, sondern er lässt die einzelnen Musiker auf natürliche Art in die Musik hineinwachsen. Zum Beispiel die drei Drummer, die wir haben. Sie spielen ja nicht einfach dreimal dasselbe, sondern versehen die Musik mit sehr komplexen Strukturen.

In der Bonner Harmonie: Tony Levin am Chapman Stick. FOTO: Peter Szymanski

Und deine Rolle als Bassist?

Levin: Es gab sicherlich immer wieder Situationen, in denen Robert mir einen Vorschlag gemacht hat, was ich wie spielen sollte. Doch er ist jemand, der die Musiker eher anspornt. Wenn ich zum Beispiel etwas sehr radikales am Bass spiele und es gefällt ihm, dann lächelt er. Dann lässt er uns den Part so einüben, oder er bestätigt mich darin, in dieser Richtung weiterzudenken.

Ist das die Herausforderung, von der du eben sprachst?

Levin: Meine musikalischen Herausforderungen sind vielfältig. Und mit Robert zu spielen, ist keine Herausforderung. Wir kennen uns nun schon so lange, wir spielen seit 1976 zusammen, dass wir uns gegenseitig respektieren. Nein, die Herausforderung kommt aus der Band heraus, vor allem, mit drei Drummern zu spielen. Als wir vor drei Jahren das erste Mal zusammen gespielt haben, hat mir das regelrecht den Atem weggehauen! (lacht)

„Wir sind ja keine Coverband“

Tony Levin am Chapman Stick. FOTO: Peter Szymanski

Inwiefern?

Levin: Auf dieser Tour klinge ich vielleicht etwas mehr nach Bass, als ich es normalerweise tute, und auch mein Sound ist etwas dünner als sonst. Das ist die Gravitation der Band, und meine innere Stimme leitete mich irgendwie weiter in die mittleren Stimmlagen. Das ist schwer zu erklären. Aber ich habe in dem Prozess verschiedene Sounds ausprobiert. Ich habe analoge Verzerrer vorgeschaltet und nutze diesmal sicher mehr Vorverstärker als ich es normalerweise tun würde. Und genau das ist die Herausforderung, nach dem besten Sound zu suchen.

Und die alten King Crimson-Klassiker …?

Levin: … sind schon eine Herausforderung. Sie entstanden ja in einer Zeit, als ich noch nicht in der Band war. Und einige der Stück sind wirklich großartig! Und ich möchte gerne das erhalten, was sie so einzigartig macht. Aber wir sind ja keine Coverband, also muss ich die Stücke zu meinen machen. Das ist also keine technische, sondern eine musikalische Herausforderung.

„Du stehst immer leicht am Abgrund“

Auf dem Album „Radical Action“ ist das Programm aufgeteilt in „Mainly Metal“, „Easy Money Shots“ und die „Crimson Classics“. Heißt das, du fühlst dich bei den Klassikern weniger wohl?

Levin: Sich wohlfühlen ist kein Zustand, der zu King Crimson passt. (lacht) Ich lache jetzt wirklich, weil man es sich bei King Crimson wirklich nicht gemütlich macht. Das kann ich bei anderen Bands besser. (lacht) Bei King Crimson stehst du immer leicht am Abgrund, es ist ein Abenteuer, wenn du so willst. Und da geht es nicht um Wohlfühlfaktoren.

Wenn ich dich richtig verstanden habe, ist die Interaktion ein wesentlicher Bestandteil der Musik von King Crimson.

Levin: Richtig.

Heißt das, dass dich das Zusammenspiel mit anderen Musikern stark geprägt hat?

Levin: Natürlich. In dieser Band würde ich sogar sagen, dass die drei Drummer gut 50 Prozent meines Spiels beeinflussen. Denn jeder von ihnen hat sein eigenes Feeling, und die Bassdrum fliegt dir auf der Bühne manchmal ganz schön um die Ohren. (lacht)

Oh, ich hätte nicht gedacht, dass das so viel ausmacht, wenn man drei Drummer einsetzt…

Levin: Weißt du, ich bin schon immer von anderen Musikern inspiriert und angetrieben worden. Auf der Tour üben wir den größten Teil des Tages, jeder für sich. Wir haben mehrere Übungsräume. Aber ich kriege mit, was die Gitarristen machen oder wie die drei Drummer miteinander die Einsätze einstudieren. Es sind alles großartige Musiker, und du wirst vielleicht annehmen, die müssen nicht mehr üben…

Stimmt.

Die Musik von Stick Men klingt rätselhaft

Levin: Aber der Sound und das Spiel kommt eben nicht von ungefähr. Und ich übe „on the road“ auch wesentlich mehr als sonst.

Dein Sound, deine Musik hat etwas Rätselhaftes, Geheimnisvolles. Vor allem mit deiner eigenen Band Stick Men. Die Klänge klingen archaisch, wie aus eine früheren Welt und dennoch so erdig. Man hat das Gefühl, es sich Klänge, die in der menschlichen DNA verborgen liegen. Ist diese Erklärung naheliegend? Oder hast du etwas völlig anderes im Sinn?

Levin: Mhm, also Markus Reuter, der Touchguitar-Spieler, ist ein wichtiger Bestandteil der Musik von Stick Men. Er brachte einen anderen Ansatz in die Band, um Musik zu schreiben. Sie entwickelt sich auf höchst progressive Art und Weise im Zusammenspiel auch mit Drummer Pat Mastelotto. Die Musik, die wir machen, ist das, was wir können, und es ist nur fair zu sagen, dass King Crimson ein großer Einfluss ist.

Der Sound von Sting Men ist dennoch einzigartig.

Levin: Das kommt, weil wir zwei Touchguitar-Musiker in der Band haben. Beide Instrumente können sowohl die Bassrolle als auch den Leadpart übernehmen. Normalerweise würde man sagen, dass das nicht nötig ist. Das ist sicher das ungewöhnliche an der Band. Und wir experimentieren mit diesem Zusammenspiel, dass auch mal zwei Bässe oder zwei Gitarren eingesetzt werden. Es ist immer wieder überraschend, was sich dabei aus einer Grundidee entwickelt.

Die Entdeckung des Chapman Sticks

Der „Chapman Stick“ und du, ihr seid gar nicht voneinander zu trennen. Wie war das, als du es zu ersten Mal gehört und gespielt hast? War es eher etwas, dass dich in deiner Kreativität befreit hat? Oder war es ein Sound, eine Möglichkeit, auf den du schon immer gewartet hast?

Levin: Oh, gute Frage. Das hat mich noch nie jemand gefragt. Ich glaube, das war 1975 oder 1976, als ich davon gehört habe. Zu dieser Zeit spielte ich den Bass mit einer Hammer-on-Technik (Aufschlagsbindung). Und bestimmt zehn Leute wiesen mich darauf hin, dass es dieses neue Instrument gäbe, das genau auf dieser Spieltechnik basiere. Natürlich hat mich das interessiert. Als ich auf einer Tour in Los Angeles war, probierte ich das Instrument aus. Und während ich es ausprobierte, hat mich das schon begeistert. Ich merkte, dass ich dieselben Bassthemen spielen konnte und dabei andere Sounds kreieren konnte. Das klang gut! Und ich ahnte, dass das gut zum progressiven Kontext passen würde. Ich wollte es damals erstmals auf Peter Gabriels erstem Solo-Album einsetzen, tat es aber nicht. Aber 1981, als ich schon richtig sicher mit dem Stick war, benutzte ich es bei King Crimson.

Hast du auch gleich die Gitarrenlinien gespielt?

Levin: Es hat eine Weile gedauert, bis ich auch den Gitarrenpart genutzt habe. Ich konzentrierte mich zunächst auf die Bassrolle. Aber mit der Zeit entwickelte sich dadurch auch meine Rolle als Bassist in der Band. Ich übernahm logischerweise ganz neue  Aufgaben. Das half mir sicherlich, unverwechselbarer und ungewöhnlicher in der Progressive-Musik zu klingen.

Die Musik von King Crimson ist voller Widersprüche. Da gibt es eine gewisse mathematische Eleganz, eine abstrakte Schönheit, und doch gibt es Momente des emotionalen Ausdrucks? Ist das das Wesen von Robert Fripp? Oder gehört das zur wesentlichen Philosophie der Band?

„Robert Fripp der gemeinsame Nenner der Musik von King Crimson“

Levin: Also, ich bin nicht so gut darin, Sounds und Musik mit Worten zu beschreiben. Was du sagst, trifft es sehr gut. Aber ja, es ist natürlich Robert. Er ist der gemeinsame Nenner der Musik von King Crimson. Der Rest von uns tut sein Möglichstes, um die musikalische Reise zu unterstützen. Aber die Essenz von King Crimson kommt von Robert. Er schreibt ja auch den Großteil der Stücke.

Robert Fripp habe ich stets in weißem Hemd und Krawatte gesehen. Der Mann sieht aus, wie einer, der zur Arbeit geht. Ist das so?

Levin: Wir tragen alle Hemd und Krawatte in der Show. Aber Robert erscheint schon morgens in Hemd und Krawatte. Er kommt auch so zur Probe.

Tatsächlich?

Levin: Ja, so ist er eben. So wie mein Vater früher, der sich so anzog und zur Arbeit ging. Ich weiß nicht, warum Robert das tut. Das ist interessant. Aber er ist überhaupt ein interessanter Typ. Ich glaube, es gibt nicht viele Rockgitarristen, die in Hemd und Krawatte auftreten.

„Er lächelt jedenfalls mehr als sonst“

Und er spielt dabei fantastisch. Hat er eigentlich auch Humor? Er wirkt immer so ernst.

Levin: Nicht wirklich. Auf dieser Tour ist er vielleicht ein wenig weniger ernst. Ich kann nicht für Robert sprechen. Aber ich habe das Gefühl, dass er sich mit dieser Band wirklich gut fühlt. Er lächelt jedenfalls mehr als sonst. Vielleicht nicht unbedingt während der Show, aber davor und danach auf jeden Fall. Er macht übrigens viele Fotos vom Publikum.

Ach?

Levin: Ja. Wahrscheinlich kann niemand wirklich Roberts Gefühle analysieren. Es ist bemerkenswert, dass er nicht nur ein großartiger Bandleader ist und ein sehr bedeutender Musiker für die Entwicklung des Rock, sondern auch ein ungewöhnlicher Rockgitarrist mit einem fantastischen Sound. In der Geschichte des Rock gab es nicht viele Gitarristen wie ihn. Er ist eine außergewöhnliche Stimme des Gitarrenspiels.