Interview mit Procol Harum-Sänger Gary Brooker über „A Whiter Shade of Pale“, Drogen, Gott und Brexit

Gary Brooker FOTO: Bandpromo

Seinen größten Hit schrieb er bereits 1967: Mit „A Whiter Shade of Pale“ wurden Sänger Gary Brooker, der Co-Autor Keith Reid und die britische Band Procol Harum schlagartig bekannt. Die Gruppe ist noch rege aktiv und derzeit auf Tour. Am Montag, 22. Oktober, gibt es ein Konzert im Brückenforum Bonn. Gary Brooker (73), der Mann mit der markanten Stimme, ist das letzte verbliebene Gründungsmitglied. Wir erreichen ihn telefonisch vor seinem Konzert im Berliner Admiralspalast. Mit ihm sprach Dylan Cem Akalin.

Mr.  Brooker, es gibt ja Songs, die sind unsterblich, Lieder für die Ewigkeit. Sie wissen schon, ich meine „A Whiter Shade of Pale“. Wie oft haben Sie den schon gesungen?

Gary Brooker: Keine Ahnung. Ich habe nicht mitgezählt, aber wohl tausende Mal.

Sie haben den Song mit Keith Reid geschrieben, da waren Sie 22 Jahre. Haben Sie ein besonderes Verhältnis zu diesem Stück?

Brooker:  Es war eines meiner frühen Stücke, und es war anders als viele andere Songs damals. Er basiert auf einer guten Idee. Ein besonderes Verhältnis? Nun, es war die erste Single aus dem ersten Album von Procol Harum. Und er war sehr bald weltweit bekannt. Das macht ihn natürlich zu etwas Besonderem.

Mehr als 94 Millionen Klicks auf YouTube

Erinnern Sie sich, wie Sie den Erfolg damals wahrgenommen haben? Hat er Sie eher beflügelt? Oder hatten Sie Angst, nie wieder an einen solchen Erfolg anknüpfen zu können?

Brooker: Nein, überhaupt nicht. Ich habe einfach weitergemacht, weil ich nach wie vor Ideen hatte und immer noch habe.

Wissen Sie eigentlich, wie viele Klicks der Song auf YouTube hat?

Brooker: Keine Ahnung!

Stand heute Mittag: 94.042.119!

Brooker: 94 Millionen? Oha! Schade, dass wir nicht dafür bezahlt werden! (lacht)

Tja, das ist eine andere Geschichte. Es heißt, Sie hätten den Song in drei Minuten geschrieben. Keith Reid habe Ihnen den Text zugeschickt, der dann drei Monate bei Ihnen herumlag. Das kann ich nicht glauben.

Brooker: Drei Minuten? Nein, das stimmt tatsächlich nicht. Die Idee hatte ich allerdings schnell, nachdem mir Keith den Text zuschickte. Er war nach vielleicht einer Stunde fertig.

„Rock ‚n‘ Roll war ja nicht mal erfunden“

Dabei ist er relativ komplex – wie viele Procol Harum-Songs. Diese Neigung zur Klassik, woher kommt die?

Brooker: Vor allem, weil ich Klavier gelernt habe. Und wenn du damals Klavierunterricht bekamst, dann lerntest du klassische Stücke zu spielen. Rock ‚n‘ Roll war ja nicht mal erfunden. Das war ja sogar vor Elvis Presley!

Procol Harum mit Gary Brooker (M.) FOTO: Bandpromo

Die Klassik hat sich aber in Ihr Musikvokabular eingebrannt!

Brooker: Als ich so zwölf, 14 Jahre alt war, da begann ich die klassische Musik zu schätzen. Nicht die komplizierten Sachen. Ich mochte es leicht und einfach. Bach, Händel, vielleicht ein paar Sachen von Beethoven und Tschaikowsky. Mit der Zeit absorbiert man das wahrscheinlich.

Die Texte müssen Ihnen immer sehr wichtig gewesen sein. Procol Harum führt den Texter stets als vollständiges Bandmitglied auf.

Brooker: Nun, das hatte auch was mit der Publicity zu tun. Weiß du, wir begannen zunächst als Songwriter und entschieden dann, eine Band zu gründen. Von der PR wurde das etwas übertrieben, Keith zum sechsten Bandmitglied zu machen, finde ich. In den ersten drei Jahren war es vielleicht nicht schlecht, als Band solch ein Label zu haben. Und die Lyrics von „A Whiter Shade of Pale“ sorgten ja wirklich für Aufregung. Sie wurden diskutiert.

Und das werden sie immer noch. Über den Text rätseln viele bis heute. Reid erklärte mal, es handele von einem Verführer, der sich auf einer Party mit Alkohol Mut antrinkt und mit zunehmender Alkoholisierung seine Wahrnehmung beeinträchtigt wird. Was ist Ihre Erklärung?

Brooker: Ich habe die Lyrics nicht geschrieben, deshalb habe ich sie auch nie interpretiert.

Aber Sie singen sie doch!

Brooker: Ja, weil ich nicht sehe, was da abgeht! (lacht) Da gibt es nichts zu erklären. Ich sehe eine gewisse Atmosphäre, und die wird doch von der Musik mehr als zehnmal so sehr getragen als vom Text. Der Song ist ja nicht richtig bluesy, eher etwas soulig, R’n’B war da noch nicht so richtig erfunden. Ich weiß nicht, wie man es nennen kann, weil da viele Verbindungen und Vermischungen sind. Musikalisch, textlich und die Art und Weise, wie ich den Song singe – da passiert eine ganze Menge.

Textlich…

Brooker: Natürlich habe ich viele Bilder im Kopf, die der Text in mir erzeugt. Was sagten Sie eben? Das Ganze hat was mit einer Party und Alkohol zu tun? Na ja, es geht um einen Jungen und ein Mädchen, und die drehen da ganz schön auf. Ich würde sagen: Es war wohl nicht nur Alkohol im Spiel…! (lacht) Ich schätze mal, Keith wurde beim Schreiben der Lyrics auch nicht nur von Alkohol inspiriert… wenn du verstehst. Ich hatte jedenfalls nichts getrunken, als ich die Musik geschrieben habe.

Haben Sie Erfahrungen mit Drogen gemacht?

Haben Sie Erfahrungen mit Drogen gemacht?

Brooker: (atmet tief durch) Ich denke, viele Leute meines Alters, die in dieser Ära, also 1966/67 und den Jahren danach jung waren, vor allem, wenn du auch noch Musiker warst, hast du natürlich…  Ja, ich habe psychedelische Drogen genommen. Sie waren ja legal damals.

Gary, Sie haben auch nach 1967 wunderbare Musik gemacht, darunter meine persönlichen Favoriten  „A Salty Dog“ (1969) und „Procol’s Ninth“ (1975). Bei all der Musik, die souligen Rock mit Prog-Einflüssen und Klassik verbindet, ist es vor allem Ihre einzigartige Stimme, die als Marke von Procol Harum gilt. Die Frauenherzen müssen Ihnen reihenweise zugeflogen sein!

Brooker: Oh, tausende! Aber ich habe nicht eine einzige wirklich getroffen. (lacht)

Na, kommen Sie! Mal Scherz beiseite! Wann haben Sie gemerkt, dass Sie das Zeug zum Sänger haben?

Brooker: Eigentlich wird mir das jetzt erst so richtig bewusst. Ich singe immer noch. Auch 50 Jahre nach „A Whiter Shade of Pale“ habe ich meinen Gesangsstil nicht besonders verändert. Natürlich singe ich heute auch andere Sachen. Aber ich versuche, jede Nacht die Songs noch besser zu singen, als je zuvor.

Nach „The Well’s On Fire“ 2003 kam lange nichts mehr von Procol Harum, dann, 14 Jahre später, haben Sie mit „Novum“ ein, wie ich meine, sensationelles Album vorgelegt. Mit 71! Wie kam es dazu? Und was war in der Zwischenzeit?

Brooker: Die Gründe, warum so lange kein Album erschienen ist, sind schnell erklärt. Wir hatten nach den Jahren ab 2004 ein paar Zerrüttungen, ums klar zu sagen: rechtliche Auseinandersetzungen, bei denen die Inspiration für andere Dinge verloren geht.

Das war die Auseinandersetzung mit dem früheren Organisten Matthew Fisher um die Tantiemen aus „A Whiter Shade of Pale“ …

Brooker: Der andere Grund war: Wir spielten etwa zehn Jahre mit ein und derselben Procol Harum-Besetzung, ohne überhaupt ein Studioalbum gemacht zu  haben. Also nahmen wir „The Well’s On Fire“ auf. Und im vergangenen Jahr dachten wir, zum 50-jährigen Bestehen von Procol Harum müsste eigentlich ein neues Album raus! Unsere Inspiration war, dass wir es machen mussten. Wir konnten schließlich nicht einfach über solch einen runden Geburtstag hinwegsehen. Ich musste das Album machen.

Wenn Sie Musik schreiben, geben Sie dann dem Texter irgendwelche inhaltlichen Vorgaben?

Brooker: Niemals!

Kennen Sie eigentlich noch „normale Menschen“?

Das wundert mich. Weil zum Beispiel bei „Sunday Morning“ passen Melodie und Text so gut zusammen. Es ist eine Ballade über einen Mann, dem die Arbeit die besten Tage stiehlt und der fürs freie Wochenende lebt. Der Song hat wirklich die Magie früherer Tage.

Brooker: Nun, es ist ein Song über ein Gefühl, das viele Menschen kennen. Ein Gefühl, das ich übrigens nicht kenne. Ich bin ja niemals an einem Freitag einer herkömmlichen Arbeit nachgegangen. Natürlich arbeiten Musiker auch, aber sie langweilen sich nie. Wir müssen nicht fünf Tage die Woche an ein und denselben Arbeitsplatz. Deswegen überrascht es mich nicht, dass viele wünschten, sie hätten mehr Freiheiten – so wie eben an Wochenenden.

Kennen Sie eigentlich noch „normale Menschen“? Haben Sie Freunde, die einen stinknormalen Job machen?

Brooker: Oh! (denkt nach) Ich glaube Procol Harum-Fans sind vor allem Ärzte, Chirurgen, Professoren oder Lehrer, Lektoren… Sie sind in der Regel keine Handwerker.

Für mich ist der Höhepunkt des Albums „The Only One“: Es ist ja wohl, so verstehe ich es, die Beichte eines höheren Wesens (Gott), dem die Menschheit ihre zufällige Existenz verdankt.

Brooker: Ja, vermutlich.

Was heißt „vermutlich“? Sie singen den Song ja schon, oder? Wie singen Sie ihn?

Brokker: Es ist, was es ist. Das ganze Album „Novum“ beschäftigt sich ja mit den zehn Geboten. Und  „The Only One“ ist Gott, ja, das stimmt. Aber du kannst das ja nicht einfach so singen. Weil ich ja nicht Gott bin. Aber auf der anderen Seite: Gott ist kein Sänger!

Das können Sie nicht wissen! Vielleicht ist er`s! (Wir lachen)

Brooker: Vielleicht, wenn sein Name James Brown ist.

Was denken Sie über den Brexit?

Singen Sie den Song auf Konzerten?

Brooker: Ja, klar.

Wie sieht Ihre Songauswahl auf dieser Tour aus? Singen Sie auch neues Material?

Brooker: Auf jeden Fall. Ich möchte, dass die Leute auch in die Zukunft schauen. Wenn du eine Procol Harum-Jungfrau bist und uns noch nie gesehen hast, wirst du einen großartigen Einblick in unsere Musik bekommen.

Letzte Frage: Was denken Sie über den Brexit?

Brooker: Brexit? Ich bin total optimistisch!

Tatsächlich?

Brooker: Oh ja!

Sie denken, das ist eine gute Lösung für Ihr Land?

Brooker: Das kann niemand wissen. Der Brexit muss sein, und deshalb tun wir das auch.