Interview mit Omer Klein: Eklektizismus ist ein wesentlicher Bestandteil meines Seins

Omer Klein FOTO: JFB/(c) Peter Hönnemann

Der Musik von Omer Klein kann sich kaum einer entziehen. Sie nimmt den Zuhörer sofort ein. Wie kommt das? Was ist das für eine Sprache, die der Pianist da spricht? Mit „Sleepwalkers“ präsentierte der in Israel geborene und mittlerweile in Düsseldorf lebende „Meisterpianist” (Süddeutsche Zeitung) sein siebtes Album. Am Freitag, 26. Mai 2017, präsentiert Klein seine Musik, von der die New York Times behauptet, sie sei „grenzenlos“ beim Jazzfest Bonn. Ab 19 Uhr spielt er im Landesmuseum Bonn. Im Vorfeld sprachen wir mit ihm über seine Musik und die Einflüsse. Mit Omer Klein sprach Dylan Cem Akalin.

Omer Klein, die Musik hat etwas sehr kultiviertes. Wenn man Ihren Hintergrund nicht kennen würde, dann müsste man lange rätseln, wer dieser Pianist ist, der ganz offenbar europäische Wurzeln hat. Als was sehen Sie sich selbst?

Omer Klein: Das freut mich sehr, dass Sie das so sehen, und ich nehme das als Kompliment. Wissen Sie, in den vergangenen 15 Jahren hat Israel eine ganze Reihe von hervorragenden Jazzmusikern hervorgebracht, die auch international arbeiten. Manchmal, nicht immer, werden wir von der Musikkritik als eine Gruppe gesehen, man versucht, eine gewisse Verbindung herzustellen. Und wenn Sie jetzt sagen, dass meine nationale Herkunft nicht herauszuhören ist, freue ich mich natürlich. Denn das ist ja nur ein kleiner Teil, der mich ausmacht.

Ist dieses musikalische Verwirrspiel also Teil des Konzepts?

Klein: „Verwirrspiel“ würde ich das nicht nennen, das würde ja bedeuten, dass jedes Stück anders ist und Sie gar nicht mehr wissen, was Sie da hören, dass Sie nicht nachvollziehen können, in welcher Welt Sie sind. Auf „Sleepwalkers“ geht es um eine Dimension großer Diversität und damit exakt um dieses Gefühl, das Sie beschreiben. Eine Sache noch: Ich wollte, dass der Zuhörer bei jedem Stück, das beginnt überrascht ist.

Omer Klein: Konzept der Überraschung

Dann nennen wir es also nicht „Verwirrspiel“, sondern das Konzept der Überraschung!

Klein: Genau, ich wollte, dass der Zuhörer nicht sofort denkt: Das habe ich schon mal gehört. Er soll beim Zuhören immer wieder etwas Neues entdecken. Andererseits habe ich hart daran gearbeitet, dass das Album eine einheitliche Sprache bekommt. Da sind musikalische Motive und intellektuelle Ideen, die sich durch alle Songs durchziehen. Am Ende erfährt der Zuhörer – hoffentlich -, dass „Sleepwalkers“ ein Universum ist, das von allen einzelnen Stücken zusammengehalten wird.

Sie stammen aus Israel, sind früh in die USA zum Studieren gegangen, waren lange in der New Yorker Jazzszene integriert. Wie sehen Sie sich selbst? Wo sehen Sie Ihre musikalischen und kulturellen Wurzeln?

Omer Klein Trio (c) Peter Hönnemann

Klein: Eklektizismus ist ein wesentlicher Bestandteil meines Seins. Der gehört zu meiner Authentizität. Wenn ich Musik machen würde, die sagen wir, sehr klar die Wurzeln in der osteuropäisch-jüdischen oder der nordafrikanischen Musik zeigte, wäre das nicht echt. Denn das würde weder meine biografische Sozialisation widerspiegeln, noch die meiner Familie. Meine Identität ist komplex. Deshalb ist auch meine Musik bestimmt von verschiedenen entwickelten und abgeschlossenen Systemen. Sie ist zusammengesetzt aus vielen Elementen. Und genau das ist das authentischste, das ich tun kann.

Wie geht ein Künstler wie Sie mit all diesen Einflüssen, mit den unterschiedlichen Kulturen um? Wie schlägt sich das auf Ihre Kompositionen nieder? Da muss es doch sehr bewusste Verarbeitungen geben, aber das gibt es sicherlich auch Teile eines natürlichen Absorbierens?

Klein: Sie haben absolut Recht! Das Absorbieren ist der grausamste Teil im Entscheidungsprozess während du komponierst und improvisierst. Meine Art des Absorbierens von Musik, aber auch anderer Kunst, ist ja ein Stilgefühl, aber es ist auch mehr und mehr beeinflusst von Musikern, die ich liebe: Das kann Bach sein, John Coltrane, Stevie Wonder, alle möglichen Stile. Es kann aber auch Ergebnis eines bewussten Aktes sein, ein vorsätzliches Forschen unbekannter musikalischer Terrains, vielleicht auch einer musikalischen Ära, die ich noch nie richtig erfasst hatte. Aber ich habe ja auch mein eigenes Leben immer wieder erweitert, aufgrund meiner privaten Biografie. Als das kann dein Denken und deine Gefühlswelt völlig unbewusst beeinflussen. Der bewusste Teil beim Komponieren ist eine Sache der eigenen Entscheidung.

Konkret?

Klein: Zum Beispiel mein aktuelles Album „Sleepwalkers“. Es gab noch kein Album von mir, das einen so geringen Einfluss der Musik des Mittleren Ostens hatte wie dieses.

Omer Klein: Künstlerische Entscheidung

Warum?

Klein: Zu Beginn war es keine intellektuelle Entscheidung. Ich habe komponiert und komponiert, und alles, was aus mir herauskam – was das Ergebnis des natürlichen Absorbierens der Musik der vergangenen Jahre. Ich schaute mir also die Stücke an, und da begann die wirkliche künstlerische Arbeit. Ich fragte mich, welche künstlerische Welt willst du kreieren? Da gab es zum Beispiel einen Song, der eine total arabische Stimmung in sich trug. Das Trio liebte es, aber ich habe entschieden, dass es nicht in dieses Album kommt. Es passte weder stilistisch noch ästhetisch in dieses Album. Das ist der Prozess, wie solch ein Album entsteht.

Ich schätze mal, dass Sie auch von so etwas, wie dem unbedingten Verlangen, sich auszudrücken, getrieben werden?

Klein: Natürlich!

Ich habe indes den Eindruck, dass Ihre Musik etwas anders ist als vieles, was ich aus dem Jazz kenne. Es gibt Musiker, die nach neuen Wegen des Ausdrucks suchen. Ihre Stücke sind sowas wie kleine Erzählungen. Offenbar haben Sie eine Sprache entwickelt, die jeder versteht…

Klein: Danke…

Aber verstehen die Menschen sie auch? Was ist Ihre Erfahrung. Reagieren Menschen in Düsseldorf, in Boston anders als Zuhörer in Haifa?

Klein: Sehr gute Frage! Ich möchte nicht arrogant wirken, aber ich glaube, dass ich eine warme Ausdrucksform gefunden habe, eine Sprache, wie Sie es nennen, nach der die Menschen  meinen kleinen Geschichten folgen können. Ich identifiziere mich mit den Menschen und ihren emotionalen Ausdrucksmöglichkeiten, und deshalb wird meine Musik in Europa ebenso verstanden wie in den Vereinigten Staaten, in Israel, in Asien. Natürlich gibt es Unterschiede beim Publikum, dennoch haben wir als Trio das Gefühl, dass es uns immer gelingt eine Verbindung zum Publikum herzustellen.

Erklären Sie dem Publikum, was Sie da auf der Bühne spielen? Hinter Stücken wie „Sleepwalkers“ oder „Don’t be a Zombie“ haben ja durchaus eine erzählerische Idee?

Klein: Normalerweise liebe ich es, mit dem Publikum zu reden. Sie haben ja Recht. Die Musik ist abstrakt, es gibt keinen Gesang, keinen Text. Ich möchte dem Publikum aber auch die Chance geben, sich selbst etwas vorzustellen. Dann erkläre ich vielleicht hinterher, was ich mit dem Song gemeint hatte.

Sie haben ja lange in Boston und New York gelebt – und jetzt seit sechs Jahren in Düsseldorf. Ein krasser Wandel. Oder? Da muss schon eine große Liebe dahintergesteckt haben…

Klein: Ich hatte tatsächlich niemals daran gedacht, nach Düsseldorf zu ziehen. Aber meine Ex hatte ein Jobangebot. Und als wir uns getrennt haben, habe ich bemerkt, dass meine Musik in Deutschland und überhaupt in Europa ungeheuer gut ankommt. Außerdem bin ich mittlerweile mit einer deutschen Schauspielerin zusammen und tatsächlich richtig verwurzelt hier.

Jazzmäßig ist Düsseldorf nicht gerade eine Weltstadt.

Klein: Nein, das nicht. Aber ich bin eh viel unterwegs und spiele in Amsterdam, London, Paris, Berlin… Aber ich bevorzuge es in solchen Städten zu leben, die ein Kulturangebot haben, wo du gut essen kannst, die nett sind, so wie Düsseldorf oder Hamburg, Städte, die berechenbar sind. Bei meinem verrückten Zeitplan brauche ich das.

Gibt es schon deutsche Einflüsse in Ihrem Werk?

Klein: Natürlich, zum Beispiel die deutsche Klassik. Bach, Beethoven, Brahms höre ich täglich. Ich kann sagen, dass das mein täglich Brot ist.

„Wonder and Awe“ scheint ja Eindrücke der deutschen Romantik zu haben.

Klein: Klar! Die Arpeggien und Harmonien sind romantisch. Ich spiele es wie meine eigene Nocturne.

Ein paar Worte zu deinen Mitmusikern: Haggai Cohen-Milo und Amir Bresler haben eine ähnliche Geschichte wie du, auch aus Israel stammend. Beide Kosmopoliten. Cohen-Milo war wie du Student bei Danilo Perez in Boston, Bresler spielte schon früh bei Avishai Cohen.

Klein: Haggai und ich sind ja damals zusammen nach Boston gegangen. Da hatten wir schon lange zusammengespielt. Wir haben schon so viel gemeinsam gemacht, dass wir uns blind verstehen.

Wie wichtig sind diese Ähnlichkeiten für Euer Zusammenspiel?

Klein: Sehr wichtig. Meine Musik entsteht nicht im Vakuum. Und es ist ja nicht so, dass die Musik fertig ist, wenn ich sie komponiert habe. Die Musik bekommt auch dadurch seine Einzigartigkeit, dass ich sie mit Musikern weiterentwickle, denen ich zutiefst vertraue. Wir sprechen eine musikalische Sprache. Es ist so wie bei einem Film: Wenn der Drehbuchautor sein Werk fertiggeschrieben hat, dann bringen doch erst die Schauspieler Leben in das Werk und geben ihm das letzte Stück Charakter.