Die niederländische Rockband Kensington ist längst im Olymp der Erfolgreichen angelangt. Im Amsterdamer Ziggo-Dome, etwa vergleichbar mit der Kölner Lanxess-Arena, spielten sie im vergangenen November drei Tage vor ausverkauftem Haus. Am 22. Juni 2017 kommen sie auf den Bonner Kunst!Rasen. Wir treffen Sänger/Gitarrist Eloi Youssef, Gitarrist/Sänger Casper Starreveld und Bassist Jan Haker am Rande des Pinkpop-Festivals. Mit ihnen sprach Dylan Cem Akalin.
Terror in Manchester, Terrorwarnung bei Rock am Ring – Wie geht Ihr mit solchen Nachrichten um?
Casper: Wir haben damals Tage nach dem Pariser Anschlag im Bataclan-Theater im Ziggo-Dome in Amsterdam gespielt. Das war sowas wie ein Wirklichkeitscheck, dass sich Dinge geändert haben. Natürlich haben sich die Sicherheitsvorkehrungen auf Konzerten, auf Großveranstaltungen geändert. Aber nicht nur für uns als Künstler, gilt doch: Wir sollten doch unser Leben weiterleben. Als Veranstalter muss man die Maßnahmen ergreifen, die nötig sind. Aber da gibt es sonst nicht viel, was du tun kannst.
Ihr schreibt Lieder über Krieg, über die Oberflächlichkeit von Menschen, die Fixierung aufs Handy, was den Menschen – in Eurem Video – geradezu die Gesichter absaugt… Ihr seid Leute, die sich Gedanken machen?
Eloi: Natürlich. Songs mit Inhalten, mit Tiefgang, machen diese auch interessanter. Für mich als Texter ist es wesentlich reizvoller, sich mit realen Inhalten zu befassen. Und es macht uns auch viel mehr Spaß, diese Songs aufzuführen. Sonst verliert man doch schnell die Lust an einem Stück, wenn da nicht mehr dahintersteckt.
Würdet Ihr Euch als politisch denkende Menschen bezeichnen?
Casper: Eigentlich nicht, jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit. Wir schreiben keine politischen Lyrics. Natürlich diskutieren wir unter uns, unter Freunden über politische Themen.
Gibt es eigentlich Vorbilder, wenn du deine Texte verfasst?
Eloi: Die habe ich tatsächlich. Und der größte Einfluss ist gerade verstorben, und ich hätte tatsächlich nicht gedacht, dass der Tod von Chris Cornell mich dermaßen treffen würde. Ich hzabe Soundgarten schon als Kind gehört. Damals verstand ich die Texte nicht so wie später, und die sind einfach unglaublich inspirierend. Sie sind von einer gewissen wunderschönen Dunkelheit. Das schönste in deiner Musik ist doch, wenn du eine gewisse poetische Melancholie schaffst. Und das traf bei Chris Cornell hundertprozent zu. Er war für mich einer der besten Songwriter überhaupt.
Was ist das, was dich so berührt? Hat das etwas mit Erinnerungen zu tun?
Eloi: Unbedingt! Da ist diese unglaubliche Tiefe in seiner Musik, die mich in jüngsten Jahren geprägt hat.
Hast du auch eine „dunkle Seite“ in dir?
Eloi: Auf jeden Fall!
Ihr hört ja alle sehr unterschiedliche Musik. Was hörst du gerade so, Jan?
Jan: Ich liebe laute Musik! Soundgarten, Alice in Chains, viel Metal und Hardcore. Das macht unsere Musik eigentlich auch aus, dass wir so unterschiedliche Einflüsse mitbringen. Andere hören sehr viel eher ruhige Musik.
Casper: Ich bin gar nicht so festgelegt. Eine Zeit lang habe ich viel Fools und Tower of Power gehört.
Eloi: Ich höre ziemlich viel Frank Sinatra.
Tatsächlich? … ein großartiger Sänger…
Eloi: Den kann ich eigentlich ständig hören.
Casper: Vielleicht der beste Sänger, den es gegeben hat.
Wie bringt Ihr denn diese ganzen Stile so zusammen, dass Ihr Eure eigene Musik schaffen könnt?
Casper: Erste Regel ist: Es gibt keine Regeln, keine Agenda, keine Grenzen. Bei uns gilt: Hört es sich gut an, dann tu’s, wenn nicht, lass die Finger davon. So einfach ist das.
Nichtsdestotrotz habt Ihr Euren eigenen Sound…
Casper: Das will ich hoffen! Natürlich ändern wir uns auch mit den Jahren. Und mit unserem letzten Album finde ich haben wir eine Balance gefunden zwischen Wildheit und Intimität. Und ich bin wirklich froh, dass wir uns kreativ immer weiterentwickeln. Ich denke, wir sind noch nicht am Ende.
Für Euer letztes Album wolltet Ihr etwas anderes haben. Ihr habt Euch für Michael Beinhorn als Produzenten entschieden, der auch berühmte Platten mit den Red Hot Chili Peppers und Soundgarden gemacht hat. Warum er?
Eloi: Wir wollten unsere Musik Frisch und spannend halten. Was wir bis dahin gemacht haben, das hat funktioniert. Aber uns kam es vor, als wären wir in einer Art von Formeln angelangt, aus denen wir raus mussten. Wir wollten einfach in die Tiefe springen und schauen, was passiert.
Wolltet Ihr Euch von den alten Kensingtons verabschieden?
Eloi: Nein, aber du musst dich manchmal einfach mal neu erfinden.
Jan: Es war eine Art Revolte, ein Ausbrechen aus der Comfortzone.
Casper: Es kann deine Kreativität anregen, wenn du dich mit Neuem konfrontierst.
Eines ist in Eurer Musik geblieben: die großartigen Arrangements, tiefgründige Lyrics und mitreißende Hymnen, die Stadien füllen können. Ich habe gelesen, dass Ihr viel jamt…
Casper: Stimmt.
Wie entsteht solch eine Musik?
Casper: Eigentlich wissen wir schon an einem sehr frühen Stadium des Songwriting, in welche Richtung es laufen wird. Manchmal ändert sich das auch im Verlaufe des Prozesses. Aber eigentlich führt die erste Idee, die du hast, dich schon auf den richtigen Pfad. Wir haben das Glück, dass wir alle vier sowas wie einen Grundkonsens in der Musik haben.
Eure Musik klingt ziemlich britisch.
Casper: Unser Bandname kommt ja nicht von ungefähr! (lacht) Aber wir haben in Holland nicht wirklich vele bekannte Rockbands, natürlich hören wir sehr viel britischen Rock und Pop. Musik aus den USA, Australien…
Nach „Vultures“ kam „Control“. Was hat es mit diesen Titeln auf sich?
(Alle lachen)
Jan: Wir versuchen, möglichst mit einem Wort alle Songs zu erfassen.
„Vultures“? Also Geier?
Casper: Das entstand in einer Zeit, wo wir wirklich versucht haben, unsere Köpfe über Wasser zu halten. Auch finanziell. Und da gab es echt viele Leute, die versucht haben, uns auszunutzen. Aber es ging auch um Rivalität. Nicht so sehr in Bezug auf deine Außenwelt, sondern der Gegner in dir selbst.
Wie meinst du das?
Casper: Die beiden Seelen in deiner Brust, die eine vernünftige, die dich vielleicht auch zum Aufhören mahnt, und die andere, die weitermachen will.
Eloi, was hat es mit dem Tattoo auf deinem Unterarm auf sich? „He stakes all his silver/On a promise to be free”. Das ist aus einem alten Joni Mitchell-Song. Du würdest auch dein ganzes Silber für deine Freiheit setzen?
Eloi: Das ist mein Lebensmotto.