5. September 1980, Düsseldorf. Ich warte gespannt auf Peter Gabriel. Dass die Vorband Simple Minds hieß, habe ich erst hinterher auf dem Ticket bemerkt. 18 Mark hat der Eintritt in eine neue klangrevolutionierte Welt gekostet. Gabriel hatte damals neue Türen aufgeschlagen, hinter denen sich faszinierende, fast verstörende musikalische Erlebnisse verbargen.
Und die schottische Post-Punk Band hatte gerade erst ihr Album „Empires And Dance“ herausgebracht. Jim Kerrs Gesang erinnerte zu dieser Zeit noch ein wenig an Dave Gahan von Depeche Mode. Die Wucht, mit der die Band etwa „Today I Died Again“ präsentierte, dieser hymnische, geradezu körperlich erfahrbare Sound, der Punk, Rock, Pop, Elektro und Progressive verschmolz, war ungeheuerlich. Die hypnotische Kraft von „This Fear of Gods“ oder „Celebrate“ und die so ehrliche Leidenschaft von Jim Kerr sprangen gleich über, und auch die Botschaft stimmte: „We can live, I can live“.
Fast 35 Jahre später… Wir trefen Sänger und Frontmann Jim Kerr im Kölner Hyatt Hotel zum Interview.
Mit Hymnen wie „Promised You a Miracle“, „Don’t You (Forget About Me)” oder “Alive and Kicking” hat sich die Band Simple Minds in den 80er und 90er Jahren ganz nach oben katapultiert. Sie ist der erfolgreichste schottische Musikexport und gilt als Live-Ereignis. Am 11. Juli 2014 ist die Band zu Gast auf dem Kunst!Rasen in Bonn. Jim Kerr ist überaus gut gelaunt. Abends hat er ein Konzert, deshalb rät ihm der Manager, nicht zu viel zu reden. Unsere Interviewzeit ist begrenzt. Doch Kerr hält sich nicht dran. Zum Glück! Mit ihm sprach Cem Akalin.
Wow, Jim, Sie sehen großartig aus. Sehr gut in Form. Wie machen Sie das? Haben Sie einen Rat für mich?
Jim Kerr: (lacht) Sie sollten auch regelmäßig ins Fitnessstudio gehen!
Wie ein Großvater, entschuldigen Sie bitte, sehen Sie nicht aus. Sie sind vor zwei Jahren Großvater– mit 52 — geworden. Ihre Tochter hat Zwillinge bekommen. Wie fühlt sich das an?
Kerr: Sehr gut! Besonders, wenn die Großmutter Chrissie Hynde ist.
Es ist unglaublich, aber wissen Sie, wann ich Sie zum ersten Mal gesehen habe?
Kerr: Wann?
Das war 1980, und Sie haben als Vorgruppe für Peter Gabriel in Düsseldorf gespielt. Erinnern Sie sich?
Kerr: Natürlich! Ich erinnere mich an die Tour, weil das eine große Sache für uns war. Das war die erste Möglichkeit, vor großem Publikum aufzutreten, und Peter war ein echter Held für uns. Ist er immer noch. Peter Gabriel ist ein Star und hat sich stets seine Bescheidenheit bewahrt.
Ich war ziemlich erstaunt, dass Ihr vom Sound her so sehr zu Gabriels damaligen Soundkonzept gepasst habt. Ihr gingt da mehr in Richtung Artrock, versetzt mit Synthierock und diesem damals typischen britischen New Wave-Sound. Was war Ihre musikalische Intention?
Kerr: Unser Hauptziel war es, eine richtig gute Live-Band zu sein.Wir hatten aber auch ein bestimmtes Musikverständnis, das von der Post-Punk-Haltung der Do-It-Yourself-Philosophie geprägt war.
Ihr drittes Album „Empires and Dance“ war noch ziemlich vom Post-Punk geprägt.
Kerr: Stimmt, irgendwie schon. Aber wissen Sie, es ist schön, dass wir uns hier in Köln treffen, weil uns damals sehr viele deutsche Bands beeinflusst haben?
Welche denn?
Kerr: Diese ganzen sogenannten Krautrockbands, wie Can, Neu, Tangerine Dreams natürlich, Kraftwerk… Diese obskure deutsche Musik war damals in Glasgow zwar nicht besonders populär, aber in unseren Zirkeln schon. Deshalb sehen wir sie schon als Teil unserer musikalischen Wurzeln, genauso wie Velvet Underground, die Doors, Roxy Music und die ganze Artrock-Bewegung.
Sie spielen live auch einige Covers…
Kerr: Ja, Songs von unserer Heldin Patti Smith, „Hello, I Love you“ von den Doors, „Gloria“ von Van Morrison.
Sind Sie denn mit der musikalischen Entwicklung Ihrer Band zufrieden?
Kerr: Gute Frage! Ich würde sagen, ich bin zumindest nicht unzufrieden, wenn ich zurückblicke. Wissen Sie, niemand ist vollkommen. Aber ich bin auf gewisse Weise erfüllt und dankbar für die Erfahrungen, die ich gemacht habe. Es ist, wie das Leben eben so ist mit seinen Höhen und Tiefen. Manchmal haben Sie eine gute Idee, aber es ist der falsche Zeitpunkt, manchmal sind Sie gut in Form, manchmal nicht. That’s Life!
Durch Ihre Musik zieht sich eine Sache immer wieder durch: Leidenschaft, ja so etwas Stürmisches.Sind Sie selbst ein leidenschaftlicher Mensch?
Kerr: Ja, schon. Aber es kommt doch auf die Definition von Leidenschaft an. In manchen Religionen ist Leidenschaft eine schlechte Sache, weil Sie die Kontrolle verlieren können. Leidenschaft kann Rationalität überdecken. Wenn Sie Leidenschaft aber als Hingabe verstehen, zum Beispiel als Begeisterung, live aufzutreten, als Verpflichtung, bei jedem Gig hundert Prozent zu geben, und das nicht nur bei den großen Auftritten in New York oder London, sondern bei wirklich jedem einzelnen Konzert, dann ist Leidenschaft eine gute Sache.
Was macht denn zurzeit die Liebe?
Kerr: Was meinen Sie?
Geben Sie auch hundert Prozent in der Liebe?
Kerr: Ahh, ohh, ich bin nicht gut darin, solche Fragen zu beantworten! (lacht)
Sagen wir mal so: Gibt es jemanden, der Sie zum Valentinstag Rosen schicken?
Kerr: Nein, zurzeit nicht. Aber wissen was? Ich habe zum Valentinstag auch keine Rosen bekommen. (lacht)
Wie ist das eigentlich für Sie, wenn Sie Songs, die teilweise ja gut 30 Jahre alt sind, singen?Wie fühlen Sie sich dabei?
Kerr: Die Songs sind für mich zeitlos. Ich denke nicht, dass sie die Schwerkraft von 30 Jahren haben. Wir führen die Songs für ein Publikum auf, das die Musik als augenblickliches Ereignis erlebt. Beim Soundcheck denkt man schon mal: Oh, nein, nicht den Song schon wieder. Aber vor Publikum bekommt jeder Song die Frische, die er verdient. Und wenn ich die Leute sehe, wie sie ihre Handy zücken und dich aufnehmen, dann weiß ich, dass das Songs sind, die längst nicht mehr uns gehören, sondern längst sowas wie Allgemeingut sind.
„Don’t You Forget about me“ war dann1985 auch international ein Durchbruch.
Kerr: Ja, dank des Films “Breakfast Club”. Das war großartig, uns auf Platz eins der amerikanischen Billboard Charts zu sehen. Und „Alive and Kicking“ war in den USA auf Platz 2 – aber gleich hinter Michael Jackson. Damit kann ich leben. (lacht).
Was treibt Sie an, immer noch Songs wie „Alive And Kicking“ aufzuführen?
Kerr: Wissen Sie, es ist nicht einfach ein Job, es ist nicht Teil einer Karriere, nicht einmal deine Kunst, die dich antreibt, es ist Teil deines Lebens. Das ist wie bei diesen alten Blues-Musikern. Sie brauchen sie nicht zu fragen, warum sie immer noch Musik machen, sie brauchen ihnen einfach nur ins Gesicht zu schauen. Wir brauchen keine Motivation, auf die Bühne zu gehen. Wir wissen, wer wir sind.Wir gehen nicht auf die Bühne, um ein Album zu präsentieren, sondern weil es unser Leben ist.
Sie haben ja auch einige politische Texte geschrieben, etwa „Belfast Child“ oder „Mandela Day“ zu Nelson Mandelas 70. Geburtstag. Sie haben ihn damals im Londoner Wembley Stadium am 11. Juni 1988 aufgeführt – als Solidaritätsbekundung des damals noch inhaftierten Südafrikaners.
Kerr: Das war ohne Zweifel eines der Highlights unserer Karriere!
Sind Sie Mandela einmal begegnet?
Kerr: Ja, mehrmals. Ein wunderbarer Mann!
Was dachten Sie, als er kürzlich gestorben ist?
Kerr: Man wusste ja schon seit geraumer Zeit, dass es ihm nicht gut ging. Dennoch war es traurig und eine Gelegenheit, über einen großen Politiker nachzudenken. Mir kommt sonst kein Politiker in den Sinn, der ihm das Wasser reichen könnte.