Interview mit Carlos Santana: Ein Teil des Lichts

Im Juli 2013 trat Carlos Santana in Bonn auf. FOTO: Horst Müller

Vom Tellerwäscher zum Millionär – so könnte man die Karriere des Rockgitarristen Carlos Santana auch überschreiben. Weil er von der Musik allein nicht leben konnte, arbeitete Santana Mitte der sechziger Jahre im Tick Tock’s Drive-In an der 3rd Street in San Francisco. Mittlerweile hat er mehr als 100 Millionen Alben unter die Leute gebracht, gewann zehn Grammy Awards, wurde auf den Hollywood’s Walk of Fame und in die Rock ’n‘ Roll Hall of Fame aufgenommen. 

Das Festival Woodstock wurde für den damals 22-Jährigen zum Sprungbrett. Dauerbrenner wie „Evil Ways“, „Oye Como Va“ und „Black Magic Woman“ stammen aus dieser Zeit. Mit dem hypnotischen Rocksong „Soul Sacrifice“ hatten diese Songs die Hippiegeneration für sich gewonnen, Santanas Melange aus Rock, Latin, Jazz, Pop, Blues hat Grenzen gesprengt und eine neue musikalische Sprache geschaffen. Bei der Aufnahme Santanas in die Hall of Fame hieß es: „Über allem liegt der Glaube Santanas, dass Musik eine Brücke bilden kann, so dass die Menschen mehr Vertrauen und Hoffnung in die Humanität bekommen.“

Der mittlerweile 66-Jährige ist bis heute nicht mehr aus der Musikszene wegzudenken. Das Album „Supernatural“ wurde 1999 sein bisher größter Erfolg mit Hits wie „Maria, Maria“, „Smooth“ und „Corazon Espinado“. Nicht nur das renommierte Rolling Stones Magazine hat Carlos Santana längst auf die Liste der größten Gitarristen aller Zeiten aufgenommen. Der Gitarrist John McLaughlin sagte unlängst in einem Interview, Santana sei für ihn einer der ungewöhnlichsten Musiker. Im Juli 2011 traten die Beiden erneut gemeinsam in Montreux auf. Das Ergebnis ist gerade als DVD und Blu-ray erschienen (Santana & McLaughlin – Live At Montreux 2011/Invitation to Illumination).

Wer Carlos Santana dort oder im vergangenen Sommer bei einem seiner zwei Konzerte in Deutschland, in Bonn oder München, erlebt hat, erlebte wieder einen Menschen, der ganz und gar mit sich im Reinen zu sein scheint, der das Leben in vollen Zügen liebt und auch auf die kleinen Dinge achtet, die einem so viel geben können. Mitten in einem seiner Gitarrensoli beim Open-Air-Konzert in Bonn bleibt sein Blick bei einer vorbeisegelnden Möwe hängen, er stockt, lässt die Band kurz innehalten und lächelt.

Kurz vor Weihnachten trifft  Santana seinen früheren Percussionisten Marcus Malone, der  inzwischen als Obdachloser in Oakland bei San Francisco (US-Bundesstaat Kalifornien) lebt und den er seit gut 40 Jahren nicht mehr gesehen hat. Als er ihm anbietet, ihm zu helfen, ist das kein aufgesetztes Versprechen für die Medien. Santana meint das ernst.

Carlos Santana redet mit leiser Stimme und viel lacht. Mit ihm sprach Cem Akalin.

Als ich Sie 1975 das erste Mal live erlebte, dachte ich spontan: Dieser Mann muss unglaublich glücklich sein. Pure Lebenslust auf der Bühne, extreme Energie, die explodierende Rhythmustruppe. Eine einzige große Party. Dann kam 1977 das Doppelalbum „Moonflower“ heraus, und ich sehe mich seitdem immer wieder bestätigt. Habe ich Recht? Sind Sie ein glücklicher Mensch?

Carlos Santana: Ja, ich bin sehr glücklich. Und ich bin sehr dankbar dafür.

Dankbarkeit. Das Wort spielt für Sie eine große Rolle, oder?

Santana: Weil Glück und Dankbarkeit für mich eng beieinanderliegen. Ich bin glücklich, weil ich Dankbarkeit empfinde.

Wie kommt das?

Santana: Wissen Sie, wenn Sie nicht dankbar sein können, ist das so, als hätten Sie keine Arme und keine Beine. Sie brauchen aber Arme, Beine und Flügel – im übertragenen Sinne – für die Kraft der Imagination. Wenn Menschen mehr Dankgefühl bilden würden, so wie sie Muskeln im Fitnesscenter aufbauen, dann wäre die Welt eine bessere, dann gäbe es keinen Grund für Angst. Kriege gibt es ja nur, weil die Menschen von Angst vergiftet sind.

Glauben Sie, man kann lernen, glücklich zu sein?

Santana: In meiner Vorstellung steckt das Gehirn voller Elektrizität, voller Funken, und es nimmt andere Funken auf. Sie sind der Monitor, der entscheidet, welcher Funke gut ist und welcher nicht. Sie selbst beurteilen, welcher Funke schädlich ist, welcher meine Familie verletzt, mich selbst, welcher wunderschön ist. Wir haben die Wahl. So ist es auch mit dem Glücklichsein.

Sie waren immer ein spiritueller Mensch. Sie waren einst ein Jünger des indischen Gurus Sri Chinmoy. An was oder an wen glauben Sie heute? Oder liegt der Glaube in Ihnen selbst?

Santana: Ja, so ist es. Ich respektiere Jesus, Buddha, Allah, Rama … und alle gleichzeitig. Ich glaube an folgendes: Bevor Sie einen Namen, eine Staatsangehörigkeit oder eine Fahne haben, der Sie folgen, sind Sie ein Teil des Lichts. Sie sind Licht! Und dann werden Ihnen diese Kleider angezogen: Sie sind Mexikaner, Tscheche, Franzose, Afrikaner und was sonst noch, dann bekommen Sie den Familiennamen Ihrer Mutter oder Ihres Vaters. Aber all diese Dinge sind doch wie Astrologie, also Schicksal. Es gibt Menschen, die sagen, ich bin im Sternzeichen des Krebses geboren, also werde ich dieses oder jenes Schicksal haben.

Und wie ist das bei Ihnen?

Santana: Wer mich fragt, welches Sternzeichen ich habe, dem antworte ich: Alle – und keines von ihnen.

Klingt, als wären Sie mit sich selbst im Reinen. Waren Sie immer erfolgreich, ich meine auch privat? Gab es niemals Tiefschläge?

Santana: Das ist für mich alles eine Form der Kristallisation. Ich liebe dieses Wort. Kristallisation.

Was heißt das in diesem Zusammenhang?

Santana: Kristallisation bedeutet: Du selektierst, du wählst aus, du perfektionierst deine Energie. Ich wäre gerne an einem Platz, einer Art Bob Marley- und Michael Jackson-Ort.

Das verstehe ich nicht.

Santana: Bob Marley, Michael Jackson, John Coltrane – sie haben eine Art von Unsterblichkeit erreicht. Jimi Hendrix, John Lennon. Sie haben einen besonderen Grad von Gutem, Großartigkeit und Spektakulärem erreicht: Jedes Kind auf dieser Erde sollte Bob Marleys „One Love“ oder Coltranes „A Love Supreme“ hören. Ich komme gerne in eine Stadt, wo ich tolle Eltern, Kinder und Teenager sehe, die tanzen und ihr Herz fühlen. Das meine ich mit diesem Ort. Das ist das, was ich mit meiner Musik erreichen will. Dass die Menschen etwas fühlen.

Sie geben Ihren Mitmenschen ja nicht nur musikalisch etwas von sich ab. Sie und Ihre Ex-Frau Deborah King haben vor fast 20 Jahren die Milagro Foundation gegründet, die benachteiligten Kindern Bildung ermöglicht. Haben Sie selbst Armut erlebt?

Santana Ja, absolut. Von 1947, als ich geboren wurde, bis 1959 etwa. 1962 zogen wir von Mexiko nach San Francisco. Das war ein Riesenunterschied! Unsere Lebensumstände in Tijuana waren schon ziemlich ernst.

Inwiefern?

Santana: Wir lebten in Armut. Aber mein Vater und meine Mutter hatten Grundsätze: Du kannst arm sein, aber du musst nicht schmutzig herumlaufen. Du hast vielleicht ein armes Zuhause, aber es ist sauber. Du bist vielleicht arm, aber du bist ehrlich und hast Integrität. Armut ist kein Grund dafür, zu stehlen oder zu betrügen. Meine Eltern erzogen mich zu einem guten Menschen.

Waren das die Beweggründe, diese Stiftung ins Leben zu rufen?

Santana Wissen Sie, Auszeichnungen oder Spendengelder zu sammeln, erfüllen mich nicht. Was mich wirklich erfreut, ist, glückliche Kinder zu sehen. Nein, lassen Sie mich das so erklären: Letztes Jahr bekam ich ein Video von einem Mädchen. Sie sagte: „Mr. Santana, ich habe mexikanische Wurzeln und bin schwarz, und ich bin die erste in meiner ganzen Familie, die aufs College gehen wird. Ich hatte zwar gute Noten, aber meine Familie hatte nicht das Geld, um ein Kind aufs College zu schicken. Dank Ihnen kann ich jetzt studieren.“ Das finde ich wirklich stark.

Sie selbst haben das so nicht erlebt. Die Musik wurde Ihnen besonders von Ihrem Vater vermittelt. Können Sie sich an Ihre erste E-Gitarre erinnern?

Santana: Ja, natürlich. Mein Vater hatte sie mir gekauft. Das war noch in Tijuana.

In Woodstock spielten Sie diese kirschrote Gibson SG. Haben Sie sie noch?

Santana: Oh, nein. Die ging irgendwann kaputt. Sie wurde in Stücke geschlagen, weil sie sich einfach nicht mehr ordentlich stimmen ließ. (lacht)

Heute spielen Sie ja vornehmlich Paul Reed Smith-Gitarren, aber egal welche Gitarre Sie in die Hand nehmen, Sie haben immer diesen Santana-Sound mit extrem hohem Wiedererkennungscharakter. Steckt das in Ihren Fingern?

Santana: Ja, das steckt wohl in meinen Fingern. Aber wissen Sie, ich bin ja selbst eine Komposition vieler Menschen, die ich liebe: Dazu gehören mein Vater, B.B. King, Otis Rush, Buddy Guy, Ravi Shankar. Ich habe meinen Sound ja nicht geschaffen. Jemand hat mir diesen Sound mitgegeben.

Wer denn?

Santana: Derselbe, der dafür sorgt, dass sich die Erde dreht. Ein höheres Wesen.

Gábor Szabó, der ungarische Jazzmusiker, scheint Ihnen auch einiges zu bedeuten. Seine Komposition „Gypsy Queen“ wird im zweiten Teil von „Black Magic Woman“ zitiert, und auf Ihrem letzten Album haben Sie ihm auch eine ganze Hommage gewidmet.

Santana: Oh ja, mit Szabó habe ich mich wirklich viel beschäftigt. Ich habe ihn 1965/66 für mich entdeckt. Ich bekam eine Platte von ihm geschenkt. Sie hieß „Spellbinder“. Sie hatte diese spanische, nein, das war nicht spanisch, es war ungarische Zigeunermusik. Ich liebte diesen Sound! Wissen Sie, Zigeunermusik ist so unglaublich vielschichtig, je nachdem woher die Menschen stammen – ob aus Ungarn, Spanien, Indien oder Frankreich. Und dennoch haben sie eine gewisse Universalsprache.

So wie Sie? Sie haben mit so unterschiedlichen Musikern zusammengearbeitet, dem Jazzsaxofonisten Wayne Shorter, John McLaughlin, John Lee Hooker, Chad Kroeger, Michael Jackson, Alice Coltrane. Sind Sie eine Art Schmelztiegel?

Santana: Oh, das ist gut. Das absolut Wichtigste ist: Sei wie Wasser. Wenn du dich wie Wasser verhältst, kannst du dich vervollkommnen. In der Musik geht es nicht darum, etwas abzuschließen, da geht es nicht um Vergleiche. Musik ist Vollkommenheit.

Was ist dran am Gerücht, dass Sie die Mitglieder der alten Santana-Band wieder zusammentrommeln?

Santana: Ja, das stimmt. Ich möchte gerne die Original Santana-Band zusammenbringen. Das Projekt mit der alten Band ist fürs Frühjahr 2014 geplant.

 

Zur Person:

Geboren am 20. Juli 1947 in Autlán de Navarro, Mexiko, als Sohn eines Mariachi-Violinisten. 1960 zieht Familie nach San Francisco.

1969 erscheint das Debütalbum „Santana“. In den US-Charts erreicht es Platz vier. Der Auftritt beim Woodstock-Festival macht den Musiker weltweit bekannt.

Weitere LP-Klassiker der Anfangsjahre: „Abraxas“ (1970, u. a. mit den Hits „Samba Pa Ti“ und „Black Magic Woman“), „Santana III“ (1971), „Caravanserai“(1972).

1987: Aufritt im Ostberliner Palast der Republik. 1989 erhält er seinen ersten Grammy. 1999 veröffentlicht er das Erfolgsalbum „Supernatural„, das mit acht Grammys ausgezeichnet wird.

Er hat drei Kinder aus der Ehe mit Deborah King. Seit drei Jahren ist er mit der bekannten Jazzdrummerin Cindy Blackman verheiratet. Das Paar lebt seitdem in Las Vegas

Mitte Dezember trat Santana in der ausverkauften Arena VFG in Guadalajara, Mexico, auf. Er wurde begleitet von eiknigen der bekanntesten Latin-Muiker wie ChocQuibTown, Lila Downs, Gloria Estefan, Juanes, Miguel, Fher Olvera of Maná, Niña Pastori, Samuel Rosa of Skank, Romeo Santos, Soledad und Diego Torres. Santana stellte mit ihnen auch sein neues Album CORAZÓN vor, das in diesem Frühjahr erscheinen soll. Die Singleauskopplung „Saideira ft. Samuel Rosa“, die er auf YouTube gestellt hat, ist in Deutschland leider nicht abrufbar.