Younee stellte am Dienstagabend sich und ihre Musik im Rahmen des Beethovenfestes in der Bonner Harmonie vor. Um es vorwegzunehmen: Das Publikum war hingerissen und genoss Younees fast zweieinhalbstündige Solo-Performance, in der sich Klassik, Popsongs, Rock und Jazz auf fließende Art paarten.
Von Cem Akalin
Beethoven war ein Bluesmusiker, Rachmaninow ein Metal-Rocker, Bach ein Leichtgewicht-Jazzer. Younee, die gefeierte koreanischstämmige Pianistin, ist eine Musikerin, die sich von klassischen Komponisten inspirieren lässt, um daraus ihr eigenes Crossover-Ding zu machen. Und das tut sie mit respektablem Erfolg.
Rachmaninow schrieb zeitlebens nur zwei Sonaten, und seine zweite bietet sich in vielerlei Hinsicht für eine Bearbeitung an. Schon allein die Tonart in b-Moll, die in der Klassik wenig gebräuchlich ist und vor allem in der Romantik gebräuchlich war. Aber sie lässt sich wunderbar in die Blues-Pentatonik übertragen. Insofern böte sich Younee auch Tschaikowskis 1. Klavierkonzert op. 23 für eine Bearbeitung an. Rachmaninows Sonate sei ihr in den Sinn gekommen, erzählt sie, als sie in einem Berliner Studio an einem alten Flügel gespielt habe. Der kräftige, metallische Sound des Klaviers habe sich so nach Rachmaninow angehört. Und so startet „Speeding Instinct“ auch noch mit den kraftvollen, energischen Rachmaninow‘schen Akkorden, um sich dann aber recht schnell in bluesige Rockläufen aufzuläsen. Die Pianistin lässt sich bei ihrer Improvisation aber auch auf wilde, atonale Akkordfolgen ein: „ein Gefühl wie auf einer deutschen Autobahn – ohne Tempolimit“, sagt sie später lachend.
Younee beginnt ihr Konzert indes ein wenig verhalten mit Mussorgskys „Pictures at an Exhibition / Bilder einer Ausstellung“. Dass das Stück als Rockthema taugt, hat Keith Emerson mit Greg Lake und Carl Palmer ja schon 1971 bewiesen. Natürlich kommt Younee nicht an den Progressive Rocker heran, dazu bleibt sie auch zu sehr am Thema verhaftet, dass sie in verschiedenen Variationen wiederholt. Erst zum Ende beginnt sie mit rhythmischen Experimenten. Und das sind die Stärken dieser Pianistin, die alterslos erscheint (und offenbar PR-mäßig ein Gheimnis daraus macht): Sie hat ein traumwandlerisches Gespür für Rhythmen und Strukturen, dass es sprachlos macht, mit welcher scheinbaren Mühelosigkeit sie mit ihnen umgeht. So wie bei „Ausflug“. Und die Musikerin entführt die Zuhörer tatsächlich mit diesem beschwingten Stück in eine Eisenbahn und lässt imaginäre Landschaften entstehen. Spontane Melodienfolgen, Bluesige Läufe, Ragtime-Stimmung.
Sicherlich arbeitet Younee mit den Motiven und Instrumenten von Soundtracks, nutzt die strukturelle Vielfalt der Klassik, überträgt die Formenlehre in den Blues, den Soul, den Jazz und der Rock. „Absent Variation“ handele von der Einsamkeit, erklärt die Künstlerin, die im ersten Teil des Konzertes in einem schneeweißen Kostüm auftritt. Groß, schlank, die schwarzen Haare offen, der Gestus am Steinway ist durchaus der einer klassischen Pianistin, wie sie die linke Hand schon mal dramatisch in der Schwebe hält. Die zarte Melodie taucht in immer neuen Facetten auf, die Strukturen verwischen, ja, das könnte durchaus in der Tradition eines Rondo entstanden sein. Doch Younee ist eine intelligente Komponistin und ausdrucksstarke Interpretin und spielt auch schon mal Katz und Maus mit ihren Zuhörern. Gerade dieses Stück bietet sich für so mannigfaltig musikalische Ansichten an, so wie Einsamkeit sich eben auch mal sehr diffus, vielleicht recht unkonkret anfühlen kann, unentschlossen, in welche Richtung man sich in dieser Stimmungslage bewegt, so verfahren sind die Musikübergänge, die sich am Ende aber auf merkwürdige Weise heimisch und durchaus auch gewaltig anhören. Ein großartiges Stück!
Und die junge Schöne kann auch noch singen. „Hello Hello“ kommt sehr poppig daher, das melancholische „Blue Saturday“ erinnert stark an Gwen Stefanis Gesang bei „Don’t Speak“.
Younee lässt sich eben auch von ihrem Instinkt für Stimmungen leiten, lässt ihre Wut über weltpolitische Missstände sehr eingängig bei „Toccata And Blues In E Minor“ aus, ihre Empathie für Trauer bei „On The Road“: verträumt, sensibel, wie hingeflüstert könnte das Stück wunderbar zu einer Schlussphase in einem Wim Wenders-Film passen.
Sehr stark: Ihre freie Improvisation als erste Zugabe. Aus einer Bach’schen Grundstimmung entwickelt sie das vielleicht jazzigste Stück des Abends – irgendwo zwischen Lynne Arriale und Keith Jarrett. Vielleicht das beste Stück des Abends.