Wenn einer wie John Scofield sein neues Album „Combo 66“ nennt, dann hat das eine Bewandtnis. Ja, er ist 66 geworden. Doch wehmütig wird der Ausnahmegitarrist deswegen nicht. Da sind natürlich auch die Assoziationen an die Route 66 und an die goldenen 60er-Jahre des Jazz. Also ein gewisser Freiheitsgedanke? Ein Blick zurück? Auf jeden Fall. Dennoch verfällt Scofield mit seinem Album in keine Nostalgie-Melancholie. Im Gegenteil. „Combo 66“ ist so dynamisch, so vorwärtstreibend, so spielfreudig, dass der Titel eigentlich doch nur ironisch gemeint sein kann. Es ist sein vielleicht bestes Album seit Jahren
Von Dylan Cem Akalin
Der hinreißende Sound fällt sofort auf. Da ist tatsächlich ein gewisser Sixties-Klang, jedenfalls in Orgel und Piano, John Scofields Gitarre nimmt das zwar auch hin und wieder auf, aber er bleibt bei seinem ganz eigenen, total modernen Ton. Mit „I Can‘t Dance“ eröffnet Scofield sein neues Albums. Er kann vielleicht nicht tanzen, aber die rhythmischen Zärtlichkeiten seines Quartetts lassen niemanden ungerührt. Scofield, Pianist und Organist Gerald Clayton, Bassist Vicente Archer und Schlagzeuger Bill Stewart zeigen auf den neun Scofield-Kompositionen, die wieder mit Raffinesse und Eleganz geschrieben sind, was für eine tolle Truppe er da zusammengestellt hat. Stewart kennt man ja schon von einigen Alben, mit ihm ist Scofield sicher seit drei Dekaden freundschaftlich verbunden. Er verbindet Intelligenz mit Emotionen, Kraft mit Leichtigkeit.
Stewart war es wohl auch, der Scofield den brillanten Bassisten Vicente Archer empfahl, seinen Bandkollegen im Trio von Trompeter Nicolas Payton. Bei sind Meister des Jazz, vielfältig und können darüber hinaus auch sehr funky spielen.
Talentierter Geschichtenerzähler
Das jüngste Mitglied der Band ist der 34-jährige Pianist aus Los Angeles, Gerald Clayton, der seinen Ruf als einer der einfallsreichsten Spieler seiner Generation im Straight-Ahead-Bereich begründet hat. Mit Scofield kann er dieses Gebiet tiefer erkunden. Der Mann ist talentiert. Keine Frage. Aber zu seinem schwungvoll Stil kommt auch die nötige Portion Abenteuerlust.
Scofield hat schon lange das Talent, hübsche, eingängige Melodien zu schreiben, wie „I Can’t Dance“ beweist. Mid-Tempo, Walking-Bass Orgel wechseln sich ab. „Combo Theme“ folgt einem sehr ähnlichen Muster, allerdings mit reduzierter Geschwindigkeit, mit Clayton am Klavier. Und Scofield beweist sich mit seinem einzigartigen Jazz-Blues-Country-Rock-Vokabular als talentierten Geschichtenerzähler, der aus den vielen Motiven etwas Wunderbares webt.
Vielfalt und Einfallsreichtum
Vielfalt und Einfallsreichtum bestimmen das ganze Album. Da ist zum Beispiel diese flotte Komposition „Icons At The Fair“, ein Stück, das das Herz jeden Jazzfans höher schlagen lässt. Dieses sowohl vornehme wie robuste Drumspiel, die Gitarre, die wie auf Zehenspitzen nur so davoneilt, als gebe es keine Schwerkraft! Und genau dasselbe gilt für das Piano, das Erinnerungen an Herbie Hancock weckt. Das Stück will man immer und immer wieder hören.
Sco hat einen Stil, der von der Harmonie an Pat Martino erinnert. Es ist dieser perfektionierte Anschlag, der klingt, als sei der Gitarrist mit seinem Instrument verschmolzen. Und da ist diese getriebene Subtilität, ja, denn Scofield bleibt für all seine Energie ein Gitarrist, dessen harmonische Schattierung für seine Kunst ebenso wichtig ist wie der Swing, den er und seine bemerkenswerte Rhythmusgruppe hier von Anfang bis Ende beibehalten.
„Willa Jean“ wird begleitet von rockigen Akkorden, ist aber eine Segelfahrt der Melodien. „Uncle Southern“, der Titel deutet es schon an, ist ein beflügelter Country-Waltz mit einer burlesken sakralen Orgel. „Dang Swing“ ist so eine verspielte, leichtfüßige Nummer, in der Sco einen swingenden Blues mit Country-Elementen versetzt. Diese Halloween-Orgel zu Anfang von „New Waltzo“! Man kann sich gut vorstellen, dass die Jungs Riesenspaß bei diesem leicht rockigen Song hatten. Die Orgel weht stets wie ein bedrohlicher Spaß durchs Stück, jaulend und fauchend und brummend.
Tiefe Jazz-Wurzeln
Natürlich beschenkt uns Scofield auch mit einer verträumten, auserlesenen Ballade: „I’m Sleeping In“. „King Of Belgium“ ist eine Hommage an den 2016 mit 94 Jahren verstorbenen belgischen Mundharmonika-Maestro Toots Thielemans. Der Song rundet das Album mit etwas Old-Time-Swing und dem geschmackvollen Spiel zwischen Gitarre und Piano ab. Es könnte fast aus dem Tal Farlow Songbook stammen und erinnert wieder daran, wie tief Scofields Jazz-Wurzeln sind.