Highlight beim Jazzfest: Mike Stern/Bill Evans Band

MikeStern/BillEvansBand feat. Gary Grainger&Dennis Chambers FOTO: Heike Fischer/JFB

Selten hat man beim Jazzfest Bonn das Publikum so hingerissen und enthusiastisch applaudieren erlebt. Und das zu Recht! Die Mike Stern/Bill Evans Band mit Gary Grainger am Bass und dem legendären Schlagzeuger Dennis Chambers lieferten im wunderschönen Saal des Pantheon 97 Minuten Jazzrock aus einem Guss. Die Einheit und die Energie der Band war unübertroffen. Den Abend eröffnete Alma Naidu.

Von Dylan Cem Akalin

Es war Bill Evans, der Miles Davis bei der Session zu „The Man With The Horn“ den Gitarristen Mike Stern empfahl. Kurz zuvor hatte er Barry Finnerty ziemlich rüde rausgeworfen, nachdem dieser sich mehrmals geweigert hatte, nach den Vorstellungen des Chefs zu spielen. In seiner Autobiografie erzählt Davis, wie er dann in die Küche ging, eine Flasche Bier holte und sie Finnerty über den Kopf goss. Das war im Frühjahr 1981. Nach ihren wechselhaften Biografien, die sie immer wieder mal zusammenbrachten, beschlossen Stern und Evans 2013 wieder eine gemeinsame Band zu gründen. Am Samstagabend waren sie mit ihr in Bonn.

Wenn Miles Davis die beiden Spitzenmusiker beeinflusst hat, dann mit seiner Forderung, dass Fusion immer eine Einheit der ganzen Band erfordert. Es gab nicht eine Minute an diesem Abend, an dem die Eindringlichkeit des Flusses nicht vorhanden gewesen wäre. Das ist vielleicht das eindrucksvollste, dieser stetige Fluss der Ganzheit und die schier telepathische Kraft der gegenseitigen Sensibilität.

Die berühmte Yamaha-Solid-Body-Gitarre

Mike Stern ist mit seiner berühmten Yamaha-Solid-Body-Gitarre eine unaufhaltsame Kraft, in seinem großartigen Wortreichtum sowas wie der John Coltrane an den sechs Saiten, denn er scheint nicht nur einen unstillbaren Appetit auf Solos zu haben, sondern schöpft aus einem Wunderhorn an Ausdrucksmöglichkeiten und Kreativität. Das Besondere an seinem Stil ist, so widersprüchlich das zu seinen langen Solos klingt, die sparsame und auf das Wesentliche konzentrierte Nutzen der Stile. Wenn er mit seinem einzigartig attraktiven, schimmernden, raumeinnehmenden Sound improvisiert, dann funkeln und blitzen in seinem vom Bebop bestimmten Spiel Blues, Funk, Pop, Rock. Bei anderen mag das verwinkelt und sperrig klingen, Stern hat daraus einen Stil entwickelt, der dicht, glühend und flüssig ist. Dazu verhilft ihm sein Talent für einfache Themen und sein Gespür, wann er rasend schnelle oder auch zärtlich langsame Linien spielen muss. Der 69-Jährige mit der Prinz Eisenherz-Frisur kann es, wenn nötig, durchaus mit der intergalaktischen Geschwindigkeit eines John McLaughlin aufnehmen. Seine Solos sind so biegsam und harmonisch wie geschmolzener Stahl – zu jedem Körper formbar.

MikeStern/BillEvansBand feat. Gary Grainger&Dennis Chambers FOTO: Heike Fischer/JFB

Demgegenüber steht Bill Evans mit seinem einzigartigen Sound, den man aus tausend Saxofonisten immer heraushören kann. Und Evans gehört zu den Virtuosen, die sich zurücknehmen, wenn es der Band dienlich ist. Was kann der Mann eigentlich alles? Mal sitzt er am Piano, setzt effektvolle Akkorde, brilliert mit leichtfüßigem Spiel, und Singen kann er auch noch – wie er bei „Bonnes On The Ground von Brooks Ritter bewies. Den Song widmete er dem ukrainischen Volk. Der Krieg tue ihm besonders weh, weil er das Land und die Menschen von früheren Touren kenne und liebgewonnen habe, erklärte er.

Gezähmtes Sopransaxophon

An das Sopransaxophon trauen sich viele Musiker nicht ran, weil es schwierig ist, den eigentümlichen Klang des Instruments zu zähmen. Doch Evans erzeugt einen klaren, weichen, wunderschönen Sound. Das Sopransaxophon ist sein Wayne Shorters Spiel bei Miles Davis‘ „In A Silent Way“ oder „Bitches Brew“ aus dem Jazzrock gar nicht mehr wegzudenken – schon weil es sich aufgrund seines dichten Klangvolumens gut gegen die elektrischen Instrumente durchsetzen kann. Evans hat einen melodischen, präsenten Stil, der dem Instrument so eigenen einsamen, meditativen, entrückten Charakter nimmt. Am Tenor hat er einen kraftvollen, harmonischen Sound.

MikeStern/BillEvansBand feat. Gary Grainger&Dennis Chambers FOTO: Heike Fischer/JFB

Der 64-Jährige mit dem Stirnband hat ja in seiner Laufbahn schon viele musikalischen Ausflüge unternommen. Im Jazz und Fusion spielte er schon mit Herbie Hancock, John McLaughlin oder Randy Brecker, aber auch mit Countrystar Willie Nelson, mit Mick Jagger oder den Allman Brothers. Sein Album „Rise Above“ (2016) widmete er dieser Neigung nach Abwechslung: Da kooperiert er mit Musikern wie Gregg Allman, Warren Waynes, JJ Grey und vielen anderen. Entsprechend ist sein Spiel und sind seine Kompositionen ein Schmelztiegel vieler Stile. Dass er stark von Coltrane, dem jungen Wayne Shorter und Michael Brecker geprägt ist, hört man durchaus. Er mischt gerne Elemente von Hip-Hop, Fusion, Reggae, brasilianischer Musik und Funk, aber auch traditionellen Jazz und Roots-Musik zu einer völlig einzigartigen Legierung.

Gary Grainger und Dennis Chambers

Der allgegenwärtige Bass von Gary Grainger und das kraftvolle Drumspiel von Dennis Chambers sind sowas wie die Glasur auf der Torte – der letzte Schliff. Der aus Baltimore stammende Gary Grainger ist aufgrund seiner Vielseitigkeit und Einfühlsamkeit ein gefragter Session-Musiker. Mit dem Gitarristen John Scofield nahm er drei Alben auf. Er spielte aber auch mit Lonnie Liston Smith, Nancy Wilson, George Duke und vielen anderen.

Der Schwung, mit dem Chambers auch schon mal ein Becken von unten scheppert, die tiefen Grooves und energiegeladenen Soli sind atemberaubend, seine flammenden Hiebe auf die Felle und Becken von entfesselnder Kraft.

MikeStern/BillEvansBand feat. Gary Grainger&Dennis Chambers FOTO: Heike Fischer/JFB

Chambers ist ein legendärer Schlagzeuger, der mit Künstlern wie Santana, Steely Dan, Parliament Funkadelic, John Scofield, John McLaughlin und vielen anderen gespielt hat. Der 63-Jährige ist für sein tadelloses und funky Timing bekannt und vor allem seine unglaublich schnellen Schläge, die er mit nur einer Hand auszuführen im Stande ist. Der Mann hat einen sagenhaften Groove und eine kompakte Art zu spielen, die sprachlos macht. Man muss sich nur mal den Halbzeit-Shuffle auf „Babylon Sisters“ von Steely Dan anhören, dann kommt man von diesem Musiker nicht mehr los.

Alma Naidu eröffnete den Abend

Den Abend eröffnete die Sängerin Alma Naidu mit ihrem Quartett. Die 27-Jährige ist eine durchaus talentierte Sängerin mit einer tadellosen Intonation. Doch der vielfach preisgekrönten Künstlerin fehlen noch Ecken und Kanten, eine gehörige Portion Authentizität und eine Stringenz in ihrem Programm. Naidus Repertoire reichte von Jazzstandards („You Don’t Know What Love Is“) über Pop, Singer/Songwriter bis Mittelalter-Folk („Walberla“). Mit ihren eigenen Kompositionen bewies sie Begabung für Melodieführung und effektvolle Stimmungen. Einflüsse von Diana Krall („Heart Pace“), Roberta Gambarini, Alicia Keys und  Joni Mitchell sind sicher da.

Fotoaufnahmen während des Jazzfest Bonn 2022, Alma Naidu am 21.05.2022 im Pantheon in Bonn ©www.heikefischer-fotografie.de

Die Lautstärke ihres Mikrophons war übrigens deutlich zu laut eingestellt. Bei ihren Ausbrüchen, mit denen sie die eindrucksvolle Beherrschung ihrer Stimme bewies, überdeckte sie alle Instrumente.

Ihr hervorragender Gitarrist Philipp Schiepek bekam leider zu wenig Freiraum für solistisches Spiel. Valentin Renner erinnerte mich mit seiner Leichtigkeit, Intelligenz und faszinierenden Kreativität an den wunderbaren Schlagzeuger Paul Wertico. Insgesamt ein unterhaltsames Set, aber mit 75 Minuten deutlich zu lang.

Setlist Mike Stern/Bill Evans Band in Bonn

Tumble Home
Tit For Tat
Wishing Well
Hearts of Havanna
Bones In The Ground
Tipitina’s
Soul Bop
Something In Rose
What Might Have Been
Chromazone
Red House (Jimi Hendrix)

MikeStern/BillEvansBand feat. Gary Grainger&Dennis Chambers FOTO: Heike Fischer/JFB
MikeStern/BillEvansBand feat. Gary Grainger&Dennis Chambers FOTO: Heike Fischer/JFB
MikeStern/BillEvansBand feat. Gary Grainger&Dennis Chambers FOTO: Heike Fischer/JFB
MikeStern/BillEvansBand feat. Gary Grainger&Dennis Chambers FOTO: Heike Fischer/JFB
Fotoaufnahmen während des Jazzfest Bonn 2022, Alma Naidu am 21.05.2022 im Pantheon in Bonn ©www.heikefischer-fotografie.de