Der Start ist zurückhaltend. Man ist schon fast geneigt, zu denken, dass das wohl ein seichtes Album wird, das die international erfolgreiche Sängerin, Songwriterin und Jazzmusikerin Melody Gardot da präsentiert. Weit gefehlt. Ihr erstes Live-Album „Live in Europe„, seit 9. Februar 2018 auf Decca Records als 2CD-Album und in limitierter Auflage in Vinyl erhältlich, ist ein Fest. Und die großartige Livestimmung ihrer Konzerte ist brillant eingefangen – ein wahrlich fulminantes Album mit vielen emotionalen, aber auch echten musikalischen Wow-Momenten.
Von Dylan Cem Akalin
Die außergewöhnliche Stimme und die grundlegende Haltung, die sowohl Stärke, ja Großmut, Anmut, aber eben auch Verletzlichkeit ausstrahlt, ist unverkennbar Melody Gardot. Mit ihrer Neuveröffentlichung feiert die 30-Jährige mit dem ungewöhnlichen biografischen Background den Erfolg ihrer Live-Shows auf der ganzen Welt und präsentiert ihre beliebtesten Songs, alle aufgenommen zwischen 2012 und 2016 in verschiedenen Städten der Welt.
Wer die Sängerin schon mal live erlebt hat (etwa in München oder Köln), weiß, dass diese Perfektion, die ihre Stimme immer wieder ausstrahlt, keineswegs im Studio nachbearbeitet werden muss. Das Album präsentiert auch Blues, Chansons und Gospels, während ihre talentierte Band immer wieder echte Risiken eingeht. Das ist es wohl auch, was das Album zu einem Erlebnis macht. Die Zartheit von „Baby I’m A Fool“ oder „Our Love Is Easy“ ist hinreißend.
Nun gut, der nackte Cover-Shot, der die Künstlerin geschmackvoll von hinten zeigt, ist ein Blickfang, aber innen gibt es eine wunderbare Platte. Es ist kein Verkaufstrick. Naja, nicht nur… Inmitten der vielen jungen Frauen, die von den Majorlabels unter Vertrag genommen wurden, nachdem Diana Krall das Publikum schon mit reizenden Bildern zum Kauf von Jazz verführt hatte, hat sich Melody Gardot vielleicht sogar als die beständigste und originellste erwiesen. Gardot ist ein außergewöhnlicher Charakter. Die Musikerin hat sich in den letzten zehn Jahren ein Image als anspruchsvolle Singer-Songwriter-Chanteuse in der Art von Norah Jones oder Madeleine Peyroux geschaffen, dank Alben wie Worrisome Heart (2008) und dem Grammy-nominierten My One And Only Thrill (2010). Aber eigentlich ist sie etwas eigensinniger und exzentrischer.
Auf den beiden CDs ein Standard zu hören, eine zarte Samba-Version von „Over the Rainbow“ und einige selbstgeschriebene Songs, die wie Standards klingen: „Baby I’m a Fool“ und „My One and Only Thrill“. Dazu spielt eine talentierte Band mit Charles Staab (Schlagzeug), Irwin Hall (Saxofon) und dem Bassisten Sami Minaie, die, wie schon gesagt, alles gibt. Da sind beschwingte Vocal-Jazz-Nummern ihrer Erfolgsplatte „My One And Only Thrill“ genauso berücksichtigt wie die von Samba- und Bossa Nova-Rhythmen geprägten Kompositionen des Nachfolgers „The Absence“ und die bodenständigen Blues- und Singer/Songwriter-Stücke ihrer jüngsten Studioplatte „Currency Of Man“. Gänzlich fehlen Songs von ihrer ersten EP Some Lessons: Bedroom Sessions by Melody Gardot und des Debüts Worrisome Heart. Man muss sie aber dennoch loben für die Dramaturgie, die sie in der Zusammenstellung der Songs aufbaut.
Gardot hat sich etwas bewahrt, was immanent für den Start ihrer Karriere war: die seltene Kombination aus natürlichem Talent und musikalischer Raffinesse. Damit wickelt sie ihr Publikum stets mühelos um den Finger. Hinzu kommt diese geheimnisvolle Geschichte mit ihrem Unfall, der Lichtempfindlichkeit, warum ihre Bühne stets relativ spärlich beleuchtet ist.
„Jazz ist ein Seitenblick auf die Musik“, hat Gardot einmal gesagt. „Es ist wie ein Architekt zu sein, der die Grundlagen des Designs kennt, aber versteht, dass die Fassade alles sein kann, wovon man träumt. Ich bin eine freie Person. Ich möchte nicht gefesselt werden.“ Das sind auch so Sätze, warum man diese junge Frau aus Philadelphia so liebt.
Melody sagt: „Dieses Album zeigt mein Herz und die Liebe aller Menschen, die uns auf dem Weg unterstützt haben. Es ist ebenso ein Geschenk für mich, für die Erinnerungen, die es enthält, denn es ist mein Geschenk an dich, den Zuhörer. Dieses Album ist einfach ein sehr langes Dankeschön an euch alle. Ich bin für immer dankbar.“
Wir übrigens auch für diese einzigartige Live-Scheibe, die sicherlich preisgekrönt werden wird. Alles andere würde uns überraschen. Einer der Höhepunkt dieses großartigen Albums ist für mich „March For Mingus“. Die ausdrucksvolle Bläsersektion (Trompete: Shareef Clayton, Sax: Irwin Hall) brilliert mit dynamischem Spiel rund um Mingus‘ „The Black Saint And The Sinner Lady“ und explosiven Soli, dazu der extravagante Gesang der Melody Gardot. Das Album ist heute schon ein Klassiker unter den Live-Jazzalben. Besser geht nicht!
Tracklisting:
CD1
- Our Love Is Easy – Live in Paris / 2012
- Baby I’m A Fool – Live in Vienna / 2013
- The Rain – Live in Bergen / 2013
- Deep Within The Corners Of My Mind – Live in Amsterdam / 2012
- So Long – Live in Frankfurt / 2012
- My One and Only Thrill – Live in Barcelona / 2012
- Lisboa – Live in Lisbon / 2015
- Over The Rainbow – Live in Zurich / 2013
CD2
- (Monologue) Special Spot – Live in London / 2016
- Baby I’m A Fool – Live in London / 2016
- Les Etoiles – Live in London / 2016
- Goodbye – Live in Utrecht / 2016
- (Monologue) Tchao Baby – Live in Utrecht / 2016
- March For Mingus – Live in Utrecht / 2016
- Bad News – Live in Utrecht / 2016
- Who Will Comfort Me – Live in Amsterdam / 2015
- Morning Sun – Live in Paris / 2015 (DVD Audio)