Ich vermisse diesen Mistkerl. Seine Musik war einzigartig, seine Shows ein Erlebnis. Der Mann hatte einen eigenwilligen Kopf. Man musste nicht mit allem einverstanden sein, was Frank Zappa gesagt hat. Dennoch: Als Künstler war er einfach genial. Und wenn man sich so manche Titel heute nochmal anhört, dann merkt man doch wie unglaublich zeitlos sie waren, zum Teil sogar von erschreckendem Weitblick! Happy Birthday, Frank, whereever you are! Am 21. Dezember 2015 wäre er 75 Jahre alt geworden. (siehe auch „Experimente ohne Grenzen“, „Don Preston vermisst Frank Zappa“, „Ed Palermo„)
Von Cem Akalin
Wie soll man sich an Frank Zappa erinnern, wird der Musiker und Komponist wenige Monate vor seinem Tod 1993 von Jamie Gangel, einer Reporterin des amerikanischen Senders NBC, gefragt. Das sei völlig unwichtig, antwortet Zappa. Er sitzt in einem bequemen Sessel in seinem Heim in Los Angeles. 52 Jahre alt, die Haare streng zurückgebunden, der graue Bart scheint den Kopf zu stützen, die Augen sehen müde aus. Doch insgesamt wirkt der sonst immer so angriffslustige Künstler in sich ruhend, so als sei er mit sich und der Welt im Reinen. Sogar mit Tipper Gore, der Frau des früheren Vizepräsidenten und Senators Al Gore, hatte er sich versöhnt. Jahrelang hatte er mit der Initiatorin des Parents Music Resource Centers (PMRC) um die Freiheit der Kunst gestritten. Er hatte an zahlreichen Anhörungen im Kongress als Sprecher der amerikanischen Musiker teilgenommen und vergeblich zu verhindern versucht, dass Tonträger mit dem Parental Advisory-Aufkleber versehen wurden, die seit Mitte der 1980er Jahre vor „deutlicher Sprache oder Inhalt“ (explicit lyrics or contents) warnen. Als die Gores von der hoffnungslosen Krebserkrankung Zappas hörten, schrieben sie ihm einen Brief.
„Wollen Sie nur wegen der Musik in Erinnerung bleiben?“, hakt die Journalistin nach. „Es ist völlig unwichtig, in Erinnerung zu bleiben.“ Er macht eine lange Pause, zieht an seiner Zigarette. „Wissen Sie, Leute wie Reagan oder Bush wollen, dass man sich ihrer erinnert. Sie investieren eine Menge Geld und Arbeit, damit die Menschen denken, dass dieses Erinnern an sie einfach grandios ist.“ Und Frank Zappa…?“ „…ist es egal.“ Er lächelt. Am 21. Dezember wäre Frank Zappa 75 Jahre alt geworden.
Es war sein letztes Interview. Danach gab es von ihm vor der Kamera nur noch ein Statement über seinen Freund Nicolas Slonimsky. Es zeigt Zappa kurz vor seinem Tod. Er liegt mehr, als dass er in dem Sessel sitzt. Das Sprechen fällt ihm sichtlich schwer, das Lächeln auch. Aber wenn er über Slonimsky redet, den zeitgenössischen Komponisten, der zwei Jahre später im Alter von 101 Jahren stirbt, dann legt sich eine warme Herzlichkeit über das vom nahenden Tod gezeichnete Gesicht.
Es ist das Ende eines Künstlers, für den das Leben Teil seiner „konzeptionellen Kontinuität“ war. Seine Musik, seine Freunde, die er dauernd mit Tonbandgeräten aufnahm, alles gehörte gleich einer gigantischen Collage zu einer formvollendeten Ganzheit. Und er war lediglich der Dirigent dieser lebenslangen artistischen Performance – vom ersten Fernsehauftritt bei der Steve-Allen-Show 1963, wo er, noch sauber rasiert und im adretten Anzug, demonstrierte, wie man mit einem Fahrrad musizieren kann, bis zu diesem letzten kurzen Auftritt in der Öffentlichkeit. „Alles, sogar dieses Interview, ist Teil meiner Arbeit als, sagen wir, Entertainer“, erklärte er schon Jahre zuvor.
„Komponieren ist ein Akt, Klänge zu organisieren“, beschrieb er seine Arbeit. Und darin war er ein Meister. Zappa wusste außerordentlich gut mit Klängen umzugehen. Ich erinnere mich an ein Gitarrensolo, das er 1976 bei „The Torture Never Stops“ in der Kölner Sporthalle spielte: Es trieb den Zuschauern vor Schönheit die Tränen in die Augen. Im nächsten Augenblick wechselte er mit sarkastischem Blick wieder in eine ruckende Atonalität.
Zappas Musik war geprägt vom Doo Wop, eine in den 1950er Jahren insbesondere von Afroamerikanern gepflegte Musikform, die Rock-’n’-Roll- und Rhythm-and-Blues-Schemata in kunstvolle mehrstimmige Gesangsstücke adaptierte. Die Wurzeln im Gospel, Jazz und Blues waren unüberhörbar. Vor allem in den Gesangsarrangements Zappas tauchten diese Elemente immer wieder auf. Aber Zappa verflocht in seiner Musik auch Einflüsse zeitgenössischer Komponisten wie Edgar Varèse, Anton Webern oder Igor Strawinsky, er lotete die Grenzen des Rock und Jazz aus, persiflierte nicht nur die Musik des Beat und Pop, sondern insbesondere deren Botschaften.
Fast jedes seiner zahlreichen Alben ist einzigartig und doch Teil eines Gesamtkunstwerks, eben seiner „conceptional continuity“: Vom couragierten Debüt mit der Aufforderung „Freak Out!“ (1966) und dem dadaistischen „Absolutely Free“ (1967) über das vor kompositorischen Einfällen nur so strotzende Jazzrock-Album „Hot Rats“ (1969), die anarchischen Musiktheater mit Flo & Eddie, die kultischen und virtuosen Alben der frühen 1970er Jahren mit seiner wohl grandiosesten Besetzung, zu der Keyboarder George Duke und Perkussionistin Ruth Underwood gehörten (Unvergessen: „Inca Roads“!), bis hin zu seinen klassischen Projekten mit dem Ensemble Modern („The Yellow Shark“, 1993) – jedes ist weitgehend unabhängig und neuartig, und doch Teil des Ganzen. Die Musikwissenschaft jedenfalls stellt den talentierten und intelligenten Musiker in eine Reihe mit Künstlern wie Charles Mingus, Duke Ellington, Thelonious Monk oder Elvis Presley. Es ist dieser idiosynkratrische Sound, der Zappas Musik wohl unsterblich macht.
Hier noch eine seltene Aufnahme. Unter dem Titel „Lieder-Liches“ zeigte der Beat-Club am 6. Oktober 1968 Frank Zappa und The Mothers of Invention:
Kein Künstler vor ihm, aber auch keiner nach ihm hat solch eine spannende Musik gemacht, die voller Überraschungen, neuer Wendungen und doch voller liebevoller Melodien war. Dass sein Sohn Dweezil Zappa, 46, das musikalische Vermächstnis seines Vaters am Leben erhält und mit einer ausgezeichneten Band immer wieder auf Tour geht, ist nur zu begrüßen.
Frank Zappa, der Mann, der keine Tabus kannte und „katholische Mädchen“ ebenso sarkastisch besang wie „jüdische Prinzessinnen“, der alles in Frage stellte und geradezu ein journalistisches Gespür für aktuelle Themen hatte, der Präsidenten beschimpfte („There was Milhous Nixon ’n Agnew too! / ’n Both of Those Suckers was Worse ’n You!“), das prüde Amerika mit frivolen Texten schockte und ebenso auf die Schippe nahm wie das, aus seiner Sicht, hochmütige Europa („Es gibt keine Hölle, aber es gibt Frankreich.“) war viel mehr als der vom Establishment oft so belächelte „Bürgerschreck“. Das klebrig-süße Image des American Way of Life, in den 50er und 60er Jahren von der Konsumindustrie auf allen Kanälen angepriesen, war Zappa zuwider und immer wieder Ziel seiner bissigen Attacken.
Sein geradezu radikales Misstrauen gegenüber Obrigkeiten, Polizei, Kommerz, alle Formen der Kirche und dem Staat ist sicherlich biografisch begründet. Der Sohn sizilianischer und neapolitanischer Einwanderer schrieb in seiner nicht immer ernst gemeinten Autobiografie, sein Vater habe ihm stets erzählt, die Geschichte sei zur Unterhaltung der herrschenden Klasse geschrieben worden. Die Menschen der unteren Klassen konnten nicht lesen und somit war es ihnen egal, ob man sich ihrer erinnerte oder nicht. Der Vater, der als Chemiker bei der Armee arbeitete, war offenbar gleichermaßen ein Spötter wie er selbst. Seine Mutter beschreibt er als „devote Katholikin“.
Früh schon kommt er in Konflikt mit der Obrigkeit. Amerika ist misstrauisch gegenüber allem, was die bürgerlichen Sauermänner auch nur schief ansah. Das FBI lässt Zappa von einem Undercoveragenten beauftragen, in seinem Musikstudio ein „pornografisches Tonband“ zu produzieren. Der finanziell klamme Zappa willigt ein, nahm mit einer Freundin ein paar Stöhngeräusche auf – und wurde am Ende wegen „Verschwörung zur Pornografie“ angeklagt. Auch wenn er schnell wieder aus dem Gefängnis entlassen wurde – der Richter musste selbst beim Anhören der vermeintlich schmutzigen Bänder lachen – es war ein einschneidendes Erlebnis für den jungen Musiker.
Zappa hinterließ ein gewaltiges Werk – und ein gigantisches Archiv an Aufnahmen. Denn der bekennende Workaholic, der in der Regel von morgens bis tief in der Nacht in seinem Studio arbeitete und weitgehend von Kaffee und Zigaretten („Tabak ist mein Lieblingsgemüse“) lebte, hatte praktisch alles aufgenommen, was er tat. Vor seiner letzten Tour 1988, auf die er sich in großer Besetzung mit Bläsern begab, ließ er seine Band mehr als hundert Stücke einstudieren. Fünf Tage die Woche, acht Stunden täglich, probten sie fünf Monate lang. Alles wurde auf Band festgehalten. Der geschickte Geschäftsmann wusste, dass er den Musikern so weniger zahlen musste. Studioarbeit musste mit deutlich höheren Honoraren bezahlt werden, als vorbereitende Proben.
Der perfektionistische Pedant forderte viel von seinen Musikern. Das war schon immer so. Die Grandmothers of Invention, eine Band seiner frühesten Mitstreiter aus den 1960er Jahren persiflieren die Marotten ihres einstigen Chefs heute noch, indem sie sich geheimnisvolle Zahlen zurufen. Damit seine Shows die nötige Spontanität und Dynamik behielten, ließ Zappa seine Band nämlich wesentlich mehr einstudieren, als auf so einer Tour überhaupt nötig war. Das ließ ihm selbst auch die Freiheit, mitten in einem Stück in ein anderes wechseln zu lassen. Das mag irre sein. Für das Publikum bedeutete das aber, immer in Spannung zu bleiben. Anders als bei anderen Bands, die meistens in London dasselbe Set wie in Mannheim oder in Madrid spielen, war bei Zappa jede Show ein Unikat.
„Wieso er sich denn mit seinen Texten mit so vielen Leuten anlege“, wird er in seinem letzten Interview gefragt. Seine Antwort ist typisch für Frank Zappa: „Weil ich so hässlich bin. Gib einem Kerl eine große Nase und verrücktes Haar – und er ist zu allem fähig!“