20 Songs liefern The Sonics am Freitagabend ab. Kein Wunder, die Band aus Tacoma, Washington kommt aus einer Zeit, als Songs kaum länger als 2:30 Minuten hatten. Aber die Energie eines Tornados. Stell sich ihnen keiner in den Weg! The Sonics bringen eine Stimmung in die Harmonie, die selten ist. Es ist voll (aber merkwürdigerweise nicht ausverkauft), es ist heiß, es ist Party – mit anderen Worten Rock ‚n Roll!!! Der bislang beste Abend beim Crossroad Festival 2018!
Von Dylan Cem Akalin
Sie tragen alle schwarz. Sie kommen auf die Bühne wie echte Gentlemen des Musikbusiness. Aber davon darf man sich nicht täuschen lassen. Wie heißt es so schön auf einem Stück „Don’t Judge a Book by the Cover“, was sie leider an diesem Abend nicht gesungen haben. Jake Cavaliere trägt eine Frisur wie die Rock ‚n‘ Roller Londons der frühen 60er Jahre und sieht aus, als wäre er eine Figur aus „From Dusk Till Dawn“. Die Tattoos quellen aus dem Hemdkragen raus, der Gesichtsausdruck ist stoisch. Aber an der Orgel und beim Gesang ist der Kalifornier, der auch Frontmann der Psycho-Garage-Rock-Band The Lords of Altamont ist, grandios.
Sensation an den Drums
Bassist Don Wilhelm, seit der Reunion 2007 bei der Truppe, scheint nur maximal drei Gesichtsausdrücke zu haben, so cool ist er. Er steht da, als würde er zu Hause im Wohnzimmer spielen – und singen kann er auch noch! Evan Foster sieht aus, als würde er Milch in einem Provinz-Diner ausschenken, ist aber ein Wirbelwind an der Gitarre und ausgezeichneter Sänger. Und dann ist da noch Dustin „Dusty“ Watson. Der Mann mit der Jazzausbildung und einem Herz für den kalifornischen Punkrock ist ja wohl eine Sensation an den Drums. Einziges Urmitglied der Sonics ist Rob Lind (Saxofon, Gesang, Mundharmonika). Die übrigen alten Mitstreiter Gerry Roslie an Orgel und Hauptsänger, Bassist Andy Parypa und sein Bruder Larry Parypa (Lead guitar) sowie Bob Bennett (Drums) sind in den vergangenen Jahren einer nach dem anderen ausgestiegen, aus gesundheitlichen Gründen oder weil sie einfach nicht mehr auf Reisen gehen wollten.
Jahrzehnte von der Bildfläche verschwunden
Tatsächlich waren The Sonics ja Jahrzehnte von der Bildfläche verschwunden. Nachdem sie in den 60er Jahren eine Reihe von Hits veröffentlicht hatten, darunter „Psycho“, „The Witch“, „Boss Hoss“ und „Have Love Will Travel“, gingen die Bandmitglieder getrennte Wege. Saxophonist und Sänger Rob Lind zum Beispiel war in Vietnam und dann lange Zeit als Pilot einer kommerziellen Fluggesellschaft unterwegs. Man kann sich den gutaussehenden Herrn mit den graumelierten Haaren gut als attraktiven Captain vorstellen.
Die Sonics blieben aber unvergessen, und Angebote zur Wiedervereinigung gab es offensichtlich immer wieder, erzählte Rob einmal. Aber er habe nie daran gedacht, wieder Musik zu machen. 2005 musste er sich sogar ein neues Saxofon kaufen, weil sein ursprüngliches Instrument nicht mehr aufzutreiben war. Er war so sehr weg aus der Musikszene, dass er nicht mal mitbekommen hatte, dass Bands wie The Fall und die Black Lips Sonics-Songs spielten.
Robert Plant ist großer Fan
Im Jahr 2007 stimmte er schließlich zu, zwei Shows in Brooklyn zu spielen. Aber die Jungs waren überhaupt nicht mehr mit der neuen Technik vertraut. Früher schlossen sie ihre Gitarren an den Verstärker und legten einfach los. „Als wir 2007 wieder live spielten, gingen wir zum Soundcheck und baten die Tech-Crew, uns diese Blackboxes zu erklären“, sagt er dem Dalles Observer und meinte damit die Bühnenmonitore, die in den letzten Jahrzehnten Standard geworden sind. „Wir haben immer nur unsere Instrumente angeschlossen und gespielt, ohne viel über die Einzelheiten nachzudenken.“ Ein Reporter des Rolling Stones erinnert sich, dass er 2007 von New York nach London zu fliegen, um Led Zeppelin zu ihrer einmaligen Reunion zu interviewen. Das erste, was ihn Robert Plant gefragt habe sei gewesen, wie den die Sonics gewesen seien!
Energische Entschlossenheit
So sehr die Fans gerne die alten Haudegen gesehen hätten, der sympathische Rob Lind hat sie gut vertreten – wie die übrige Truppe auch. Die energische Entschlossenheit, dieses kompromisslose, raue des Ur-Gens des Rock ‚n‘ Roll hatten The Sonics zu großen Vorbildern des Garage-Rock, der Punk-Bewegung und des Grunge gemacht. Bennett galt für Kurt Cobain und Dave Grohl als bester Drummer aller Zeiten, und Gerry Roslies gesanglichen Ausbrüche hat sich Grohl ja bis heute bewahrt. Little Steven, Bruce Springsteen und viele andere Musiker kopierten vieles der Sonics. An diesem Abend wurde wieder klar, warum.
Die Truppe da auf der Bühne sieht zwar aus wie eine Gruppe von Geschäftsleuten, aber welche, die nach Ärger suchen. Tatsächlich hatten The Sonics damals ja was von Vorstadt-Kriminellen, denen man am besten nicht in die Augen sah. Und wir hören eine ganze Menge der legendären Songs. „Dirty Robber“ etwa, eigentlich von den Wailers, aber von den Sonics auf ihrer ’65 LP bekannt gemacht, neues Material wie „Sugaree“, Ray Charles‘ „I Don’t Need A Doctor“ mit einem eindrucksvollen, vulkanischen Heulen.
Foster spielt nicht wie Parypa eine Sunburst-Les-Paul-Gitarre, sondern eine Telecaster, was den Sound rotziger macht. Auf „Strychnine“ glänzt er mit einem wuchtigen Chuck Berry-Schlag. Lind ist wie ein standfester, unerschütterlicher Baum, sowas wie eine brüllende Erinnerung an die alten Zeiten, als das Saxofon im Rock ‚n‘ Roll noch fester Bestandteil der Bands war. Das Publikum schmettert fast jeden Song mit und auch bei dem neuen Material, das erst im Frühjahr erscheinen soll. Ein Hammerauftritt!