Mit Richie Scarlet an der Gitarre und Bernt Ek (Bass und Gesang) hat Corky Laing einen richtig guten Griff gemacht. In dieser Besetzung klingt Mountain so sehr nach Mountain wie lange nicht. Als Laing vor sechs Jahren mit Phil Baker an der Gitarre und Joe Venti am Bass tourte (da hatte Leslie West schon wegen seiner gesundheitlichen Probleme sich nur noch auf Auftritte um seinen Wohnort in New York beschränkt), vermochte das Trio nicht so recht zu überzeugen. Das war am Mittwochabend in der Harmonie in Bonn ganz anders.
Von Dylan C. Akalin
Leider recht spärlich besucht, feierten die Fans Corky Laing’s Mountain dennoch so euphorisch, dass Laing und seine Jungs das Curfew überschritten. Der 74-jährige Drummer war super gut gelaunt und in Erzähllaune. Gut, die Geschichte, dass er zwei Goldene Schallplatten für den Auftritt von Ten Years After auf dem Woodstock-Festival bekam, obwohl er nicht mal da war („Two Gold Records from Woodstock and I wasn’t even fucking there!“) amüsiert ihn derart, dass er ihn jedes Mal aufs Neue erzählen muss. Wirklich witzig war aber seine Erzählung, wie er Keith Moon in den 1960ern traf. Da war Laing, gebürtig aus Montreal/Kanada, noch beim Rocktrio Energy und eröffnete die Konzerte der damaligen British Invasion Bands wie The Who. An einem Abend fand Laing zwischen dem zerstörten Bandequipment ein edles schwarzes Jackett mit der britischen Fahne drauf und steckte es ein. Als er an der Garderobe von The Who vorbeikam, hörte er Moon klagen, seine schöne Jacke, die ihm seine Oma eigens für die Tour genäht habe, sei weg. Das sei ihm so ans Herz gegangen, dass er Moon die Jacke wiedergegeben habe. „Schau mal, was ich gefunden habe…“ Keith Moon sei geradezu vor Freude in Tränen ausgebrochen, habe Laing abgeknutscht und ihm gesagt, er liebe ihn dafür, dass er seine Jacke gefunden habe. Das wiederum rief ein Unbehagen in Laing hervor, und er gestand Moon, dass er die Jacke eigentlich habe klauen wollen. „Ich dachte, jetzt bringt er mich um“, erzählt Laing lachend. Stattdessen sei ihm Keith Moon abermals um den Hals gefallen und habe gesagt: „Jetzt liebe ich dich umso mehr.“
Warum Laing die Geschichte so ausführlich erzählte? Weil er so sehr von Moons Drummerqualitäten beeindruckt gewesen sei. „Das war eine einzige Choreographie. Keith spielte mit Leidenschaft und Freude. Und er machte Dinge am Schlagzeug, die waren sagenhaft.“ Wenn er ihn gefragt habe, wie er diese oder jene Stelle in einem Song gespielt habe, habe er nur geantwortet: „Keine Ahnung. Ich spiele einfach.“ Er habe Moon oft beobachtet und sei stark von seinem Spiel beeinflusst worden, sagte Laing.
Und ein anderer Musiker habe ihn damals ebenso stark beeindruckt wie geprägt: Bob Dylan. In seinem Songwriting bei Mountain habe er daher immer versucht, diese beiden zusammenzubringen. Eine schöne Einleitung zu einer Solo-Performance zu Dylans „Like a Rolling Stone“. Zu kraftvollen Drums singt, brüllt, spricht er die Zeilen von Dylans berühmten Song. Ein besonderer Moment an diesem Abend, der auch etwas von einer Kunstperformance hat.
Klar, startet das mehr als anderthalbstündige Konzert mit einem Trommelwirbel und „Dreams of Milk & Honey“. Bei „Long Red“ übernimmt Laing den Gesang, der mehr als Rezitativ rüberkommt. Bei „Mississippi Queen“ klingt er fast so rau und staubig wie Captain Beefheart. Am Schlagzeug ist Laing tatsächlich immer noch so kraftvoll wie Keith Moon, hat aber mehr dieses kräftige Feingefühl eines Buddy Rich.
Dazwischen begeistert Bernt Ek, früher mal bei den The Shamrocks, mit seinen Vocals zu „Theme for an Imaginary Western“. Seine Stimmlage kommt dem von Jack Bruce und Felix Pappalardi ziemlich nah. Und hier löst Richie Scarlet zum ersten Mal so richtig die Handbremse und verblüfft mit einem ebenso empfindsamen als auch rastlosen Solo. Mann, hat der einen Sound! Geschmeidig mit eine Wildkatze, angriffslustig wie eine Kobra und mit Sustain ohne Ende.
„Nantucket Sleighride“ beginnt ja mit diesem eindringlichen, etwas am Folk angelehnten Eröffnungsgesang. Ek gelingt es ganz hervorragend, dieses Feeling zwischen Rock und Folk einzufangen. Der Song basiert auf der wahren Geschichte des Walfängers Owen Coffin, der freiwillig sein Leben gab, damit er vom Rest seiner hungernden Crew gefressen werden konnte. Das Piano-Intro, das Scarlet spielt, deutet den Prog-Sound an, den Mountain damals auf dem Album verwendete. Der fast schon brutale Einstieg mit der Gitarre, fühlt sich wie ein Speer im Fleisch eines Wals an, der weitere zunächst eher ruhige Verlauf des Songs mit den intensiven Drumfills, die Tempowechsel, die Interaktion zwischen Bass und Drums mit bisweilen stolpernden Rhythmen und besonnenen Passagen sind bedeutend für den musikalischen Erzählstrang, der uns mitten auf den einsamen Ozean führt. Scarlet mag weniger von den Ruhepolen eines Leslie West haben, aber seine Intensität ist immens. Die gut Zehn-Minuten-Version kommt beim Publikum jedenfalls richtig gut an.
Humorvoll geht es mit „Never in My Life“ weiter, das am Schluss einfach nicht enden will und Laing sich einen Spaß macht, seine Mitspieler immer wieder aufs Neue anzutreiben. „Travellin‘ in the Dark“ bietet Scarlet weiter Gelegenheit, seine Klasse zu zeigen. „Sittin‘ on a Rainbow“ befördert uns mit seiner Wildheit gedanklich in eine derbe Honky-Tonk-Bar. Bei „Don’t Look Around“ fallen bei all der Intensität die psychedelischen Elemente auf. Abgesehen von dem fantastischen Solo von Scarlet ist es Laings intensives Schlagzeugspiel, das den Song auf eine Weise vorantreibt, als würde er einem direkt ins Gesicht schlagen. Mit „I’m Going Home“, dem Ten Years After-Song, beendet die Band ihr reguläres Set und spielt als Zugabe noch „Silver Paper“ als eine Art Rausschmeißer-Trinklied. Ein großartiger Abend!
Setlist
Dreams of Milk & Honey
Long Red
Theme for an Imaginary Western
Mississippi Queen
Nantucket Sleighride (To Owen Coffin)
Never in My Life
Like a Rolling Stone
For Yasgur’s Farm
Why Dontcha
Travellin‘ in the Dark
Sittin‘ on a Rainbow
Don’t Look Around
I’m Going Home
Silver Paper