Julia Kadel ohne ihr Trio: Sie überzeugt mit einem großartigen Soloauftritt beim Bonner Jazzfest im Haus der Volksbank.
Von Dylan Cem Akalin
Jeder Ausdruck, der über ihre Finger aus dem schwarz-polierten Steinway-Flügel erklingt, ist ihrem Gesicht abzulesen: Wut, Liebe, Begeisterung, Ärger, Leidenschaft, Ekel, Bewunderung, Momente der Erkundung. Sobald sich Julia Kadel den 97 Tasten des Konzertflügels widmet, ist diese Veränderung zu beobachten.
Die 30-Jährige Berlinerin, die ganz unprätentiös die Bühne im Volksbankhaus in der Rheinaue betritt, strahlt übers ganze Gesicht, wenn sie eines der Solostücke beendet hat und den Applaus entgegennimmt. Beim Spiel indes ist sie hochkonzentriert, völlig versunken am Klavier. Manchmal, so scheint es, kommt das Kind aus ihr heraus, das sich überlegt, welchen Streich es als nächstes anstellen kann. Wie ein ausgelassenes Kind, das mit Fingerfarben eine Fläche bearbeitet, schafft sie mehrschichtige Klangcollagen voll eloquenter Schöpferkraft.
Beim legendären Jazzlabel Blue Note
Die Musikerin, die schon allein wegen ihres Plattenvertrags beim legendären Jazzlabel Blue Note mediale Hymnen erfuhr, nennt ihre Stücke „Im Vertrauen“, „Fragen“, „Schichten der Nacht“ oder „Unter der Erde“. Einzig die reduzierte, aber raffiniert ausgestaltete 6/8-Komposition „Hello Sadness“ trägt einen englischen Titel.
Ihr 15-minütiger Opener ist ein Wirbel aus Fetzen von Ragtime, Blues, dramatischen Akkorden und fieberhaften Arpeggien. Bei einem Stück, „das ich diesem Haus widme“, beginnt sie mit den Schlägeln die Klaviersaiten zu schlagen, auf den Holzrahmen zu klopfen, einzelne Saiten zu ziehen und zu zupfen, bevor sie mit großer Tiefe ihr Spiel an der Klaviatur beginnt. Was auch immer ihr durch den Kopf geht, sie verzieht das Gesicht, arbeitet sich um die Harmonien, die sich dann endlich in Wohlgefallen auflösen. Sie lacht. Ist offenbar zufrieden und gibt sich einer kleinen Melodie hin.
Es ist nicht verwunderlich, dass eine neue Generation von deutschen Jazz-Pianisten die Aufmerksamkeit der internationalen Szene erweckt. Künstler wie Julia Hülsmann, Michael Wollny, Florian Weber, Pablo Held oder eben Julia Kadel haben einen ganz eigenen Zugang zur improvisierten Musik entwickelt, eine Gemisch, das geprägt ist von intellektueller Auseinandersetzung mit dem Medium Musik und ganz tiefem emotionalem Ausdruck. Das hilft jedem Einzelnen, seine eigene Formsprache zu entdecken.
Ihre Musik verlangt Aufmerksamkeit
Und das wunderbare an Kadels Spiel ist, dass sie das, was sonst aus der Triobesetzung heraus entsteht, auch solo umsetzen kann. Vieles gelingt auch deshalb, weil sie ein überaus kraftvollen Anschlag hat und ihre Improvisationen aus scheinbaren Gegensätzen reifen: Lyrik und Rauheit, Struktur und Eigenständigkeit, Freiheit aus Gestaltung und Form heraus. Sie ist keine, die ihr Publikum mit schmeichelndem Gesäusel umgarnt, ihre Musik verlangt Aufmerksamkeit, weil sich ihre großartige Poesie auch durch atonale Landschaften bewegt. Ein fesselnder Abend.