Gov‘t Mule „Bring On The Music – Live At The Capitol Theatre“ ist eine einzige Verneigung vor dem Rock ‚n‘ Roll
Von Dylan Cem Akalin
Gov’t Mule mit ihrem kreativen Kopf Warren Haynes sind schon ein Phänomen in dieser Menagerie der musikalischen Eitelkeiten und kommerziellen Betriebsamkeiten. Die Rocker machen eine Musik, die gewiss nicht im Mainstream-Radio landet, und sie geben Konzerte, die locker drei Stunden dauern. Und sie geben alles. Jedes Konzert ist, als würden sie es als einmaliges Ereignis auskosten, miteinander abzurocken. Jetzt haben sie zu ihrem 25-jährigen Bestehen ein wunderbares Doppel-Love-Album (2CD/ 2DVD und Blu-ray) herausgebracht, das diese Magie der Gov’t Mule-Konzerte richtig gut eingefangen hat. Am 27. und 28. April 2018 wurden dazu zwei Shows im Capitol Theatre aufgenommen, einem historisches Theater in Port Chester im Westchester County in New York. Leider erscheint nur der erste Abend auf Doppel-CD, dafür wurde der zweite Abend gefilmt und ist auf zwei DVDs oder wahlweise Blu-Ray gepresst.
Zwischen Hymne und schräger Bewegtheit
Sie starten mit dem eher ruhigen „Travelling Tune“ mit den passenden Zeilen „Well hello, people it’s been a long time/So good to see you, how you feelin‘?“ (Aus dem Album „Revolution Come…Revolution Go, 2017) Diese Band muss nicht gleich die Kanone abfeuern, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Und natürlich spielen sie auch den beflügelten Namensgeber – „Mule“ (1995), um dann die wunderschöne Ballade „Beautiful Broken“ (aus dem Album: „The Deep End Volume 1“, 2001) anzustimmen, bei dem die gebrochene Stimme von Haynes so richtig zur Geltung kommt. Und dann sein fulminantes Gitarrensolo! Zwischen Hymne und schräger Bewegtheit.
„Drawn That Way“ (2017) hat diesen schleppenden Shuffle und den wie aus der Ferne gerufenen Gesang. Das Stück hat dieses brodelnde ZZ Top-artige Blues-Storytelling. Der Text ist zunächst irritierend, aber schnell wird klar, dass er die ernüchternde Realität von Trumps Amerika aufgreift. Er greift einen namentlich nicht genannten Anführer an: „Cartoon Retter/Wie atmen Sie noch?/Du kannst nicht aufhören zu lügen/Du bist nur gezeichnet“. Warren Haynes selbst hat zwar mal in einem Interview gesagt, dass es „seltsamerweise“ bei „Drawn That Way“ nicht um einen Politiker gehe, sondern um einen Televangelisten. Passt aber auch auf Trump…
Bei dieser Songauswahl fällt mir wieder auf, wie gut das 2017er Album ist. „The Man I Want To Be“ hat was von einem Prince-Einfluss. Toller Song. Was wäre das für eine Kombi gewesen – Prince und Warren Haynes! Und dass er keineswegs unbeleckt von Pop und Mainstream-Rock ist, zeigt ja auch „Funny Little Tragedy“ (Album: „Shout!“, 2013) , in das er noch lässig „Message In A Bottle“ von Police einflechtet.
Aus einem Nebenprodukt wurde ein Lebenswerk
Wer hätte das gedacht, dass Gov’t Mule sich mal als Band so etablieren würde. Eigentlich begann es 1994 als experimentelle Schnappsidee im Tourbus der Allman Brothers Band. Warren Haynes, der zu dieser Zeit mit geradezu unheimlicher Analogie mit Duane Allman bei den ABB Gitarre spielte, und Allen Woody, ABB-Bassist, überlegten, wie sie ihre musikalischen Interessen und ihre Lust am Musizieren unabhängig von Gregg Allmans legendärer Band in den sechs Monaten des Jahres, in denen sie nicht auf Tour waren, weiter ausleben könnten. Mit Schlagzeuger Matt Abts hatte man den Dritten im Bunde. Gov’t Mule war geboren.
Zunächst stellte sich das Power-Trio vor, dass sie eine Platte veröffentlichen würden, um eine kurze Tour zu unterstützen, und dass sie praktisch nur unstrukturierte, improvisierte, kaum komponierte Songs spielen würden. Doch sie merkten schnell, dass das alles nicht so einfach war. Sie mussten für den Plan ein Plattenlabel mit einbeziehen. Also nahmen sie ein paar Songs auf, zum Beispiel „Trane“, der komplett improvisiert, während „Monkey Hill“ eher ein unkomplizierter Rock’n’Roll-Song war. „World of Difference“ war dann eine Kombination aus beiden Ansätzen. 25 Jahre später hat Gov’t Mule zehn Studio-Platten veröffentlicht. Zu Gov’t Mule gehören heute neben Haynes und Abts Danny Louis (Keyboards) und Jorgen Carlsson (Bass).
Spontanität und Improvisationsfreude
Bring On The Music – Live At The Capitol Theatre unter der Regie des renommierten Fotografen Danny Clinch, ist auch sowas wie eine emporgestreckte Faust der Band, die am 26. August 2000 den Tod ihres Bassisten und engen Haynes-Freundes Allen Woody verkraften musste. Woody starb an einer Überdosis Heroin. Das Live Album markiert einen Triumpfmarsch, ist eine Würdigung von Spontanität und Improvisationsfreude in einer Popkultur der Berechenbarkeit und Oberflächlichkeit.
Da sind so unglaubliche Passagen, die einem die Härchen auf der Haut aufrichten und den Geist durchpusten, voller Leidenschaft, voller Abwechslung – da meint man sich plötzlich bei den Doors („Sin’s A God Man’s Brother“), dann wieder bei den Allmans oder im Soul der 60er Jahre – , voller Spielfreude und Hingabe. Schon allein die Wildheit von „Dark Was The Night, Cold Was The Ground“ ist es wert, sich dieses Werk anzuschaffen. Das Album ist eine einzige Verneigung vor dem Lebensgefühl, dem Geist und der Freiheit des Rock ‚n‘ Roll.
Disk 1 von 2
1. Travelling
Tune, Pt. 1
2. Railroad Boy
3. Mule
4. Beautifully Broken
5. Drawn That Way
6. The Man I Want To Be
7. Funny Little Tragedy >
Message In A Bottle > Funny Little Tragedy
8. Far Away
9. Sin’s A Good Man’s Brother
10. Mr. Man
11. Dark Was The Night, Cold Was
The Ground
Disk 2 von 2
1. Life
Before Insanity
2. Thorns Of Life
3. Revolution Come, Revolution
Go
4. No Need To Suffer
5. Dreams & Songs
6. Time To Confess
7. Comeback
8. World Boss
9. Bring On The Music
10. Traveling Tune, Pt. 2
Titel der DVD:
- Hammer & Nails
- Thorazine Shuffle
- Larger Than Life
- Forsaken Savior
- Broke Down On The Brazos
- Endless Parade
- Lola Leave Your Light On
- Blind Man In The Dark
- Raven Black Night
- Traveling Tune (alternate version)
- Stone Cold Rage
- Whisper In Your Soul
- Little Toy Brain
- Trane > Eternity’s Breath > St. Stephen (jam)
- Pressure Under Fire
- Fool’s Moon
- Revolution Come, Revolution Go (alternate version)
- Bring On The Music
- Intro
- Traveling Tune (part 1)
- Railroad Boy
- Mule
- Beautifully Broken
- Drawn That Way
- The Man I Want To Be
- Funny Little Tragedy > Message In A Bottle > Funny Little Tragedy
- Far Away
- Sin’s A Good Man’s Brother
- Mr. Man
- Life Before Insanity
- Thorns Of Life
- Trane
- Revolution Come, Revolution Go
- No Need To Suffer
- Dreams & Songs
- Time To Confess
- Comeback
- World Boss
- Bring On The Music
- Traveling Tune (part 2)
- Dark Was The Night, Cold Was The Ground