Angeblich soll er bisher an mehr als 2200 mitgewirkt haben, so genau weiß es nicht mal er selbst. Wer aber denkt, Ron Carter spult nach dieser Zeit nur noch ab, der sollte sich mal „Foursight – Stockholm, Vol.1, 2019“ anhören, eine Liveaufnahme aus dem Jazzclub „Fasching“ in Stockholm vom 17. November 2018. Herausragend ist nicht nur die Produktion mit beispiellosem Sound, sondern auch das Spiel des legendären damals 81-jährigen Bassisten Ron Carter und seinem Foursight Quartet.
Von Dylan Cem Akalin
Ron Carters Bass klingt immer noch immer frisch und entschlossen. Sein Spiel ist kraftvoll, präzise, bedingungslos klar, filigran und elegant. Niemand sonst klingt wie Ron Carter. Sein Kontrabass erzeugt oft einen knackigen Groove wie ein E-Bass, ist aber immer klar als Klang eines klassischen Musikinstruments zu definieren. Und auch als Solist zeigt er, dass er immer noch der auserlesene Melodist bleibt, der er schon immer war.
„Ich liebe diese CD wirklich!“, schreibt Ron Carter selbst
„Bei uns weiß niemand genau, was wann passiert. Genau deshalb ist jedes Konzert eine echte Herausforderung. Wir spielen fast immer 35 bis 40 Minuten ohne Pause. Keine Pausen, nur kleine Änderungen, die den Beginn eines neuen Songs anzeigen. So etwas funktioniert nur mit dieser Band! Es ist, als gäbe man ein Privatkonzert in einem Wohnzimmer, oder wir könnten ein Kammermusikensemble sein, das die Kraft eines großen Orchesters entwickelt, ohne einen bestimmten Lautstärkepegel zu verlassen. Dies ist uns zweifellos in Stockholm gelungen. Ich liebe diese CD wirklich!“, schreibt Ron Carter selbst. Und er hat recht!
Dazu hat der bald 83-Jährige eine Wahnsinnsband: Renee Rosnes am Piano, Jimmy Greene am Tenorsaxofon und Payton Crossley an den Drums. Greene, der spätestens seit seinem ausgezeichneten Album „Beautiful Life“ (2014) bekannt ist, ist eine sichere Bank. Ausgezeichnet mit mehreren Grammy Awards, einem soliden Tenor, der im Hard Bop verankert ist und in seiner Ansprache oft an John Coltrane erinnert, manchmal aber auch an Sonny Rollins. Die kanadische Pianistin Renee Rosnes kann auch auf eine vielbeschäftigte Karriere mit Musikern wie Joe Henderson, Wayne Shorter, Bobby Hutcherson und anderen blicken. Wunderbar ihre zarte Berührung und Fantasie, die sich immer wieder im Duett mit Ron Carter entfaltet.
Payton Crosley, ein ebenso effizienter wie subtiler Schlagzeuger (sein Spiel auf den Becken ist an Leichtigkeit nicht zu übertreffen), unterstützt das Ensemble ständig.
Erinnerung an seine Zeit mit Miles Davis
Carters neues Live-Quartett-Album erinnert an Carters Arbeit mit Miles Davis in den 1960er Jahren. Er greift sogar das Repertoire von damals auf. Und das nicht nur mit „Joshua“. Als Saxophonist Jimmy Greene das vertraute Thema von „Joshua“ anspielt, hört man das Publikum mit Beifall auf das vertraute Thema reagieren. Ron Carter war der Bassist im berühmten Quintett von Miles Davis aus den 1960er Jahren, als dieser dieses Stück aufnahm. Greene klingt sogar ein bisschen wie George Coleman. Pianistin Renee Rosnes spiegelt auch die Eleganz und harmonische Raffinesse eines Herbie Hancock wider. Die Ausnahme ist vielleicht der Schlagzeuger Payton Crossley, der mehr im Stil von Jimmy Cobb spielt als der explosivere Tony Williams.
Aber das Besondere an diesem Album ist, dass es nicht die frühe Ära kopiert, sondern sie auf intelligente und irgendwo sehr zarte Weise in die Gegenwart holt. Und Ron Carter dominiert die Musik mit seinen tiefen langen Tönen, die er mit einem treibenden Puls variiert, wie auf dem Eröffnungs-Track „Cominando“, der ein bisschen funky klingt wie sein Blues „Eighty-One“, den er mal mit Miles Davis aufgenommen hat. Ein wunderschönes Album.
Carter hat eine erfolgreiche angeschlossen, als er 1968 das Quintett von Miles Davis verlassen hat. 1970 nahm er das bittersüße „Little Waltz“ auf seinem Album „Uptown Conversation“ mit Herbie Hancock und dem Flötisten Herbie Mann auf. Sein wogender Blues „Nearly“ wurde 1981 mit Chet Baker, Kenny Barron und Jack DeJohnette auf seinem Album „Patrão“ aufgenommen. Auf „Nearly“spielen sowohl Greene als auch Rosnes interessante Soli. Und der Standard „You and the Night and the Music“ bildet einen schönen Schlusspunkt dieses Albums. Ein faszinierendes Album von Anfang bis Ende.