Erstaunliche Entdeckung: My Ugly Clementine macht Musik, die uns ablenkt von der Krise

MY UGLY CLEMENTINE FOTO: Hanna Fasching

Ein präsenter Bass, eine an Elektro und coolem britischem Indie-Pop orientierte Melodie, eine ungemein einnehmende klare Frauenstimme, der Rhythmus so elegant, dass die Eiswürfel im Glas tanzen und dazu ein Text, der schmunzeln lässt. Das ist My Ugly Playground. Musik, die uns hinaustreiben würde in die Sonne oder die Nacht, um auf der Straße zu tanzen. Wenn es grad nicht so beschissen wäre.

Von Dylan Cem Akalin

Klasse, dass es dieses Wiener Frauenquartett gibt. Das bringt einen auf andere Gedanken. Die Texte sind so klar wie verblüffend direkt. „Ich bin nicht Deine Freundin, nur weil ich so nett zu dir bin und dich liebe. Denn in meiner Welt leben wir mit und kümmern uns um uns“, heißt es in „Who“. Oder diese wunderbare Liebeserklärung: „I Don’t Care If You Wash Your Hair“. Kann es in Zeiten von Kontaktsperren und Ausgehverboten eine ehrlichere Anerkennung der anderen Person geben? Oder „Try Me“, eines meiner persönlichen Highlights auf dieser erstaunlichen Entdeckung. Eine Mischung aus Nico-mäßiger Kühlheit und der jugendlichen einsamen Stimme einer Suzanne Vega. Ein Gesang über Verlust, über Schuld, und verletzende Nähe.

Sorry, ich habe mich von der Begeisterung hinreißen lassen. Also erstmal ein paar Basics. Das Quartett hatte noch nicht einmal eine Single auf den Markt gebracht, und dennoch war ihr Konzert in Wien binnen Stunden ausverkauft. Gerade erst vor einem Jahr gegründet wurde My Ugly Clementine zum Hype. Und nicht nur, weil sie in Österreich als Supergroup gilt, sondern weil sie einfach hinreißend gut sind.

Die Mitglieder dieser Band sind richtig bekannt bei unseren Nachbarn. Bassistin Sophie Lindinger ist Teil des Elektro-Pop-Duos Leyya, Gitarristin Mira Lu Kovacs (früher: Schmieds Puls) singt auch für 5K HD. In der Wiener Pop-Szene sind das gefragte Acts, und sie haben schon etliche Musikpreise abgeräumt. Zusammen mit Kathrin Kolleritsch (Schlagzeug) und Nastasja Ronck (Gitarre) macht My Ugly Clementine einen gitarrenlastigen Alternative-Rock/Indie-Pop mit gedankenvollen Texten voller ironischer Untertöne und sensationellen Gesangsparts, die sich die vier Frauen aufgeteilt haben. Die Musik liegt zwischen dem souligen Cyberpunkrock-Groove von Garbage und der Zerbrechlichkeit von Norah Jones – aber mit ganz lässigen Zutaten aus New Wave Zeiten, aus Grunge. Sehr modern klingt das und abgebrüht, selbst wenn sie singen: „Ich versuchte, für dich cool zu sein.“ Kann ich mir nicht vorstellen.

Und die Frauen verstehen was von Songwriting. Zum Beispiel „Cool For You“ besticht duch fette Riffs, melodischen Hooklines und schrägen Gitarren. Der Song „The Good The Bad The Ugly“ ist ein Loblied auf das Selbst, auf das Glück, du selbst zu sein. Und dabei beginnt er mit den gelangweilten Zeilen einer Schönen: „Wenn ich jedes Mal ein Pfund bekommen würde, wenn mir einer sagt, ich würde ja nur gut aussehen und sei so süß…“ Doch der Song entwickelt sich zu einem selbstbewussten, rotzigen Leck-mich-am Arsch: „If you want/Me to stay/Accept the good, the bad, the ugly, the brain“.

„Peptalk“ besticht vom empfindsamen Gesang, der lediglich von einer metallischen Gitarre begleitet wird. Eine Offenbarung des Inneren, die am Ende von wuchtigen Drums zu einem drückenden Ende geführt werden.