Laura Totenhagen präsentierte beim Jazzfest Bonn am Freitagabend im LVR-Landesmuseum ihr neues Album. Das Publikum reagierte enthusiastisch.
Von Dylan Cem Akalin
Das Laura Totenhagen Quartett beginnt ihr Konzert mit zwei Vertonungen von zwei äußerst poetischen Texten der chinesischen Lyrikerin Gong Peiyu, die sich Shu Ting nannte, eine scharfe Kritikerin von Maos Kulturrevolution. Zeilen voll malerischer Schönheit und doch bitter im Geschmack.
Vor allem „Fairy Tales“, das zweite Stück. Darin spielt Shu Ting mit den Grenzen von Realität, Lebenswahrheit und Wunschdenken. Vielleicht in heutigen Zeiten brandaktuell: Und Totenhagen hat sich dafür entschieden, dieses herb-süße Gedicht mit verträumten Harmonien zu vertonen, geht es doch darum, sich die Welt als etwas Besseres zu denken, als sie wirklich ist. „You gazed past ailing trees,/ past crumbling walls and rusty railings.” Ignorieren wir, wie schrecklich die Welt wirklich ist? Oder ist die Hoffnung, dass es nach dem Sturm immer wieder aufhellt, dass nach dem Schmerz Entspannung kommt, etwas Menschliches?
Im melodiösen Klangbild
Totenhagen bleibt bei dieser Interpretation weitgehend im melodiösen Klangbild, besinnlich von Felix Hauptmann am Piano begleitet. Stefan Schönegg hat hier seinen ersten von mehreren wunderbar poetischen Basssoli, Leif Berger zeigt von Beginn an, dass er ein empathischer Schlagzeuger mit sensiblem Verständnis für die vielfältigen Möglichkeiten seiner Trommeln und Becken ist.
Das grenzt schon an eine gewisse Dreistigkeit, mit welcher Selbstverständlichkeit und welchem Selbstbewusstsein dieses großartige Quartett trotz ihres jungen Alters sich auf waghalsige Exkursionen begibt. Was für eine Sicherheit in der Stimme diese junge Frau hat! Vom satten, wohlklingenden Alt zu Höhen, die Glas zersplittern lassen könnte, langanhaltende Tonfolgen wie mit dem Lineal gezogen („Sigh No More“, einem vertonten Shakespeare-Text!), sirenengleich, die sie kontrolliert bricht, mal in klassischen Scatgesang wechselt, dann wieder laboriert, was ihr Instrument noch an Ausdrucksfarben bringt, sie gurrt, säuselt, quietscht, gluckst und rasselt (wie bei „Assembly Line“), sie bezirzt, verführt, verzaubert das Publikum, um es dann gleich wieder auf einen anderen Kurs zu schicken. Brillant. Und die Festivalbesucher belohnen sie mit enthusiastischem Applaus.
Was macht diese Band aus der Komposition des Jazzpaares John Taylor/Norma Winston? Berger unterstützt mit den Trommeln die bedrohliche Kulisse, begleitet Totenhagens tiefen, fast heiseren Gesang, als müsse sie zum Schafott, der Song bekommt eine Brecht’sche Schroffheit, die sich immer weiter steigert in einen instrumentalen Sturm. „Ode To A Goat“, das übergeht in „Words“, eine Eigenkomposition zu einem Text des palästinensischen Nationaldichters Mahmoud Darwish, beginnt wie ein Abzählreim, das zu einer Moritat gerät.
Vor zwei Jahren präsentierten die Bonner Stadtwerke bei ihrer Reihe JazzTube noch in der U-Bahnhaltestelle Universität/Markt: Sie spielen sich aber immer weiter zu den Wolken.