Tears for Fears und Kim Wilde eröffnen die KunstRasen-Saison 2019 mit einem wunderschönen Konzertabend in der Bonner Rheinaue. Mehr als 5500 feiern die Ikonen der 80er Jahre.
Von Dylan Cem Akalin
Die Achtzigerjahre haben so manche selt- und wundersame Pop-Phänomene hervorgebracht. Aber nur wenige waren so auserlesen, charmant und langlebig wie Tears for Fears. Zwei Teenager aus der Provinz, die beide aus zerrütteten Verhältnissen in Bath kamen und ihre schwierige Kindheit in eine Musik kanalisierten, die teilweise an Duran Duran erinnerte, aber trotz dieser schwierigen Themen und Texte, die von Arthur Janovs Psychologiebuch „The Primal Scream“ inspiriert waren, auf elegante Weise einen rockbasierten Pop voll melancholischer Stimmungen schufen. Mehr als 30 Millionen Alben haben sie verkauft.
Kraft und Volumen in den Stimmen
Heute sind die einst so introvertierten Teenager reife 57-Jährige geworden, die trotz der grau melierten Haare immer noch attraktiv aussehen und, noch wichtiger, fantastische Stimmen haben. Sie haben an Kraft, Volumen und Range nichts eingebüßt. Das verblüfft und begeistert zugleich. Und die Musik von Sänger/Bassist Curt Smith und Sänger/Gitarrist Roland Orzabal bleibt anscheinend immer noch relevant. Erinnert sei an das wunderschöne Cover von „Mad World“ von Michael Andrews und Gary Jules. Oder Weezers Version von „Everybody Wants to Rule the World“, mit dem das Duo den Abend am Freitag eröffnet – als Intro aber Lordes Version desselben Songs vom Band laufen lässt. Und die Band klingt mit der modernen Technologie und dem überarbeiteten, verfeinerten Sounding so frisch wie eh und je.
Die Band hat in ihrer Karriere so viele Hits hervorgebracht, dass sie keine Scheu haben muss, gleich zu Beginn einige ihrer besten Songs zu spielen. „Nach Secret World“ starten sie „Sowing the Seeds of Love“ von 1989 mit einem coolen Rhythmus – eine hymnische Hommage an die Beatles aus der Psychedelic-Ära.
„Pale Shelter“
Und dann kündigt Smith die melancholischen, hinreißenden Songs vom 1983 erschienenen Debütalbum der Band, „The Hurting“, an. Die synthiegetragenen Hits „Pale Shelter“ und „Change“ sind auch heute noch absolut faszinierend, und wir, die mit dieser Musik ergraut sind, fühlen uns wohlig und zugleich etwas wehmütig zurückversetzt in die Zeiten der hautengen schwarzen Hosen, der spitzen Schuhe und der schwarzen Hemden, deren Ärmel wir damals fast bis zur Schulter hochgekrempelt hatten. Vielleicht sind die Songs auch heute noch so faszinierend, weil sie den Soundtrack einer Generation bilden, der die Mixtur aus Emotion, Dramatik und Coolness perfekt auf den Punkt bringt.
Vieles hängt aber auch mit diesen beiden sowohl konkurrierenden als auch harmonierenden Stimmen von Smith und Orzabal zusammen. Der satte Ausdruck von Orzabal, den man unter Tausenden Stimmen sofort heraushört, der Energie und Stärke mit Romantik und Weltschmerz verbindet, Smith, der für die zerbrechlichen Töne zuständig ist – das ist Tears for Fears.
„The dreams in which I’m dying are the best I’ve ever had“
„Mad World“ mit der Zeile „The dreams in which I’m dying are the best I’ve ever had – I find it hard to tell you ‚cause I find it hard to take“ greift Janovs Idee auf, dass das „tiefere Gehirn“ in unseren Albträumen mit uns spricht. Dass es darum gehe, das Biest im Inneren mit Gedanken und Einsichten zu bezwingen. Und „Memories Fade“ („Die Erinnerungen verblassen, aber die Narben bleiben“), von Orzabal seelenvoll gesungen, deutet darauf hin, dass die Ängste von Teenagern auch bei den Überfünfzigjährigen noch ein Thema sein können. Radioheads „Creep“ mit dem Text über das Thema Selbstverachtung und der berauschenden Melodie klingt, als wäre es ein Stück von ihnen. Großartiges Cover. „Woman In Chains“, ein Orzabal-Duett mit der Hintergrundsängerin Carina Round, sticht besonders heraus, es ist ein prächtiger Aufschrei gegen das Patriarchat. „Head Over Heels“ hat eine so schwindelerregende Melodie, die glückselig macht. Und dann spielen sie als Abschluss ein großes fast siebenminütiges Finale von „Shout“ – und der ganze Platz singt mit: „Schrei, schrei, lass alles raus!“ Es ist kein Ausdruck eines Schmerzes, sondern von purer Freude.
Kim Wilde
Zuvor hat uns eine gut gelaunte Kim Wilde mit prächtiger Band unterhalten. Etwas rockiger als im Original, etwas frecher. Wir tanzen und wippen und freuen uns am Schluss – natürlich – auf „Little Kids in America“. Die blonde 58-Jährige hat es immer noch drauf, auch wenn ihre Ansagen zwischendurch so leise sind, dass man sie kaum vernehmen kann.