Eine Legende in der Harmonie Bonn: Carl Palmer von ELP

Carl Palmer 2019 in Bonn. FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Am Dienstagabend steht das Schlagzeug im Vordergrund: Ganz vorne, auf der Mitte der Bühne der Harmonie. Denn heute Abend holt RTP (Rock Time Produktion) einen Meilenstein der Musikgeschichte nach Bonn. Carl Palmer, historischer Schlagzeuger der bekannten Rock-Prog Band Emerson, Lake & Palmer (ELP) in den 70er Jahren und später der (weniger bekannten) Asia, kommt immer wieder mit überraschendender Energie zurück. Dieser fitte, braungebrannte fast 70-Jährige, in schwarzer Hose und psychedelisch-buntem Hemd, mischt Kraft und Höflichkeit mit ausgesprochenem englischem Stil und erobert damit die Begeisterung und die Sympathie des  Publikums einer rappenvollen Harmonie Bonn.

Von Tania Rusca

Neben ihm rechts und links stehen die jüngeren Paul Bielatowicz an der Gitarre und Simon Fitzpatrick am Bass und Chapman Stick: Kein Keyboard in der aktuellen Besatzung, als wäre Keith Emerson sowieso unersetzlich. Und überraschenderweise scheint dies die perfekte Lösung zu sein, um die „Best Of Set“ von ELM mit erneuertem Schwung, Begeisterung und Freude zu interpretieren.

Gastsänger ist Lino Vairetti

Der Gesang wird von Gastsänger Lino Vairetti von der italienischen Prog-Rock-Band Osanna übernommen. Es ist kein Zufall, denn die italienischen Bands der 70er Jahre haben selbst ein ganz ein großes Stück der Prog-Rock-Musikgeschichte geschrieben. Vairetti ist fast Altergenosse von Palmer und, wie er vor Kurzem in einem italienischen Interview erklärt hat, es tourt seit der 70ern rund um die Welt – ausschließlich mit „maskiertem Gesicht“. Heute springt er mit dickem Make-up auf der Bühne, um ein Auge herum rot, um das andere schwarz, der Rest des Gesichts ist weiß – es sieht aus wie ein auseinandergezogenes Yin und Yang. Ein enigmatischer Joker, dessen starke Stimme für die Lieder von ELP perfekt ist. Er erzählt mir später kurz, dass er mit der Musik von ELP großgeworden sei. Dabei habe er seine Inspiration gefunden, und er sei so stolz und froh, jetzt Palmer selbst begleiten zu dürfen.

Lino Vairetti FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Die Show fängt schlagartig (muss man wirklich sagen!) mit „Peter Gunn Theme“ an und geht direkt in den Kern von ELP weiter mit „Karn Evil 9“ aus „Brain Salad Surgery“. Aber das ist nur der Anfang, denn, so erklärt Palmer, es sei schon merkwürdig, dass ELP als „Prog-Band“ bezeichnet werde. Sie sei vielmehr eine „eklektische“ Band gewesen, die verschiedene Sounds und Inspirationen zusammengebracht habe. Dazu zählen auch schöne Balladen, wie die unverzichtbare „Lucky Man“, aber auch Virtuosität, die sich an der klassischen Musik orientiert.

Inspiriert von der „Carmina Burana“

Tatsächlich spielt Gitarrist Paul Bielatowicz ausgerechnet für das Bonner Publikum die Mondschein-Sonate von Beethoven, während das technische Können von Simon Fitzpatrick sich im Chapman Stick-Solo von „Trilogy“ zeigt. Auch „ Toccata“ (Fuge in D Minor von Bach) in der Version der Band Sky ist dabei. Palmer erklärt, ELP hätten immer vorgehabt, das Stück zu spielen, seien aber nie dazu gekommen. Und ein Medley, inspiriert von der „Carmina Burana“.

Paul Bielatowicz an der Gitarre FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Diese „literarischen“ Zitate mischen sich unter die Auswahl vieler ELP-Meisterwerke. Palmer spielt ein (für seine Verhältnisse) ziemlich bescheiden bestücktes Schlagzeug im durchsichtigen, hellblauen Plexiglas, das seinen raschen Bewegungen auch hinter den zwei Bass-Drums folgen lässt. Palmer hält den rechten Trommelstick wie einen Hammer, den linken wie den leichten Pinsel eines Aquarellisten zwischen den Fingen, die Handfläche nach oben. Er schlägt, kratzt, sticht und streichelt sein Instrument mit der Meisterhaftigkeit seiner 60-jährigen Erfahrung.

Simon Fitzpatrick am Bass und Chapman Stick FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Denn das Leben von Carl Palmer ist wirklich ähnlich wie das eines musikalischen Wunderkinds einer anderen Epoche, etwa von Mozart, Beethoven oder Bach. In einer Familie aufgewachsen, wo alle (wirklich alle!) Mitglieder spielten oder tanzten, lernte der junge Carl Frederick Kendall zu spielen — wahrscheinlich so früh wie zu sprechen. Er fing mit der Geige an (wie die Oma), dann verliebte er aber sich plötzlich und unaufhaltsam in das Schlagzeug, das er zu seinem 11. Geburtstag bekam.

„21st Century Schizoid Man“

Bald verdiente sich Carl Palmer sein Geld mit der Musik, spielte in verschiedenen Bands und mit 16 war er schon professioneller Musiker. Der Rest ist Geschichte. Eine lange, erfolgreiche aber auch unbekannte und anstrengende Geschichte: Denn die glorreiche Band mit Emerson und Lake existierte tatsächlich nur von 1970 bis 1978 (ausgenommen die kurze Reunion in den 2000er Jahren). Carl Palmer ist nicht nur ELP. Man kann alle Projekte, Bands und Touren von Palmer kaum auf die Schnelle zusammenfassen. Wichtig ist, und faszinierend, dass dieser lange Weg Palmer wieder nach Bonn gebracht hat. Die Wege der Musik sind unendlich.

Carl Palmer in Bonn. FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski

Mit „21st Century Schizoid Man“ nährt man sich an das Ende der Show. Das Lied, erzählt Palmer, der bisher fast jedes Stück mit einer Erklärung eingeführt hat, sei das erste, das ELM zusammenspielte, obwohl es ein King Crimson-Song war. Der erste Song… es ist lange her. Nächstes Jahr, erinnert Palmer noch, ist das 50-jährige Jubiläum von ELP. Und wir sind sicher, dass er mit der gleichen Energie auftreten wird. Und dass wir auch wieder da sein werden.

Carl Palmer in Bonn. FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
Carl Palmer in Bonn. FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
Carl Palmer in Bonn. FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski
Carl Palmer in Bonn. FOTO: Peter „Beppo“ Szymanski