Ein Traum: Outlanders von Tarja Turunen und EDM-Pionier Torsten Stenzel

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Von Dylan C. Akalin

Ich bin begeistert. Um’s vorweg zu sagen, ich stehe nicht auf Symphonic-, Gothic- oder Dark-Metal mit Operettengesang a la Nightwish. Insofern war ich skeptisch bei diesem Projekt von Tarja Turunen. „Outlanders“ geht aber in eine ganz andere Richtung. Das Projekt der finnischen Sopranlegende Tarja Turunen und dem EDM Pionier Torsten Stenzel entstand in mehr als zehn Jahren und wurde von einigen der einflussreichsten Gitarristen der Rock- und Jazzszene unterstützt.

In jedem Song ist ein besonderer Gitarrist zu Gast, darunter Al Di Meola, Trevor Rabin, Joe Satriani, Jennifer Batten, Steve Rothery, Mike Oldfield, Walter Giardino, Ron „Bumblefoot“ Thal, Vernon Reid und Marty Friedman. Das Titelstück beginnt mit elektronischen Soundcollagen, in die zunächst eine Flamenco-Gitarre eine wie aus der Ferne herüberwehende Linie. Und dann beginnt die geheimnisvolle Rezitation der fast flüsternden Frauenstimme: Die finnischen Zeilen klingen für ungeübte Ohren wie Elbisch. „Jokainen päivä on erilainen/Joka aamuun kätkeytyy oma ihmeensä, maaginen hetki“ („Jeder Tag ist anders/Jeder Morgen birgt sein eigenes Wunder, einen magischen Moment“). Dann wechselt der argentinische Gitarrist Walter Giardino, Kopf der Heavy-Metal- und Hardrock-Band Rata Blanca, zur E-Gitarre und lässt sich von dieser zauberhaften Stimmung zu einem wunderschönen Solo tragen, das teilweise von der Sopranstimme unisono begleitet wird. Ein Song zum Immer-wieder-Hören.

Die Trance- und EDM-Beats und Electronic-Sounds sind der Erdboden, auf dem die Songs wachsen. Tarjas erstaunliche Stimme und die individuelle Saitenarbeit jedes Gitarristen machen aus jedem Stück ein eigenes Gewächs, das sich aber harmonisch einfügt. Man ist geradezu wehrlos, wie sie dich in ihren Bann ziehen. Es sind die ausgefeilten Arrangements und sicher auch die entspannte Atmosphäre des Albums, die es einem so leicht machen, sich fallen zu lassen.

Gitarre von Trevor Rabin

„Closer To The Sky“ transportiert dieses Gefühl auch durch die packenden Gitarre von Trevor Rabin. Zurückhaltung ist das prägende Moment auf „The Cruellest Goodbye“. Tarja präsentiert sich hier als Künstlerin, die nicht mit der Kraft der Stimme protzen muss, sondern den Ausdruck in den leisen Momenten sucht. Und gerade dieses Bescheidene sorgt für Gänsehautmomente, und Al Di Meola fügt sich dieser Philosophie: Seine klassische Gitarrenarbeit ist atemberaubend.

Dieses Beben auf der Haut setzt sich nahtlos weiter auf „World In My Eyes“. Diese langsam herankriechenden Soundladungen, in die sich bald ein Rhythmus und ein Gesang einmischen, der nach Kate Bush klingt, hüllen dich ein, umschwirren dich mit den vielen kleinen Effekten. Vernon Reids flippige Gitarre wird von diesem Klanggebilde zunächst aufgesaugt wie von einem Tornado, löst sich dann aber wie ein Greif, der diese organische Konstruktion mit starken Flügelschlägen umrundet.

Steve Rothery als Gast

Düster, aber mindestens ebenso fesselnd ist „Mystique Voyage“. „Welcome to my world“, heißt es zu Beginn unheilschwanger. Steve Rothery reißt das Zepter dann aber an sich. Sein auf Melodie bedachtes Spiel könnte auch vom Sound her von Steve Hackett sein. Ein starker Track, der ein Publikum sicher live in einer lauen Sommernacht umhauen würde.

„The Sleeping Indian“ beginnt mit einem kosmischen Intro, das gut zur Space Night im Bayerischen Fernsehen passen würde. Joe Satriani hätte ich bei seinem Einsatz nicht erkannt. Sein eigentliches Spiel beginnt erst nach einem Intermezzo einer männlichen Sprechstimme. Dann aber ist er ganz da. Satriani mit umwerfender Gitarreneinlage. Raffiniert, emotional, virtuos.

Marty Friedman, Mike Oldfield u.a.

Der luftige Gesang auf „Land Of Sea And Sun“, der manchmal hauchdünn ins Folk zu rutschen scheint, wird von einer sagenhaft subtil und fließenden Gitarre begleitet. Kaum zu glauben, dass das Marty Friedman, Lead-Gitarrist der Thrash-Metal-Band Megadeth ist.

„1971“ lebt von diesen Gegensätzen der klangvollen Leadgitarre und den schmatzenden, unruhigen Sounds und Rhythmen. Auch hier ist wieder Walter Giardino am Werk, der sich von nichts in seiner Ruhe abbringen lässt.

Ruhig und sanft, aber kräftig wie der Mississippi fließt „We Own The Sky“ daher. Ron „Bumblefoot“ Thal nutzt das, um die ganze Bandbreite seines Könnens zu demonstrieren, von der knisternd, klaren Gitarre über fast bombastische Riffs zu Tarjas fantastischem Gesang und Torstens Trance-induzierenden Beats, staccatohafte Riffs bis zu flinken Stunts.

Auf „Never Too Far“ präsentiert Mike Oldfield sich mit Stimmungen zwischen Christopher Cross und Al Stewart. „Echoes“ entführt uns in eine karibische Trägheit, aus der Jennifer Batten vor allem im letzten Drittel ihre großartige Virtuosität mit Sinn für Harmonien präsentiert.

Das Album endet mit „A Peaceful Place (Return To The Oasis)“, einem weiteren Titel, an dem Walter Giardino beteiligt ist. Der Song hat einen etwas lebendigeren Rhythmus, wenn auch die segelnden Gitarrenlinien uns ein letztes Mal in eine andere Welt entführen. Ein Traum.