Der Bass dringt in die Eingeweiden, das Klavier füllt den Raum wie die Orgel in Notre Dame. Roger Waters ist wütend. So wütend, dass er nach 25 Jahren sein erstes echtes Album rausbringt, und das klingt so sehr nach den frühen Pink Floyd, dass man sich verwundert fragt, wieso der Mann nicht schon früher mal losgelassen und Neues erschaffen hat. Gerade ist „Is This The Life We Really Want“ erschienen.
Von Dylan Cem Akalin
Stimmengewirr, Fetzen von Politikerreden und TV-News. Das Flüchtlingsdrama, Brexit, der Rechtsdrall vieler Regierungen, Trump, den der einstige kreative Kopf der britischen Psychedelic-Rocker auf einer Seite im Booklet zeigt – unterlegt auf einer Akte mit geschwärzten Zeilen, die lediglich die Worte freilegen: „a leader with no brains…“, besonders Trump macht Waters wütend. Ein Pink Floyd sieht rot!
Diese ganze Weltentwicklung, die Gleichgültigkeit, ja Abgestumpftheit der Menschen. Waters hat sich mit seinem Meisterwerk „Is This The Life We Really Want“ den Zorn von der Seele geschrieben. Das klingt manchmal durchaus übellaunig, anklagend, mächtig, aufrüttelnd. Aber der Mann ist mit 73 Jahren wohl auch von einer gewissen Altersmilde beseelt, und so lässt er seinen Gedanken doch meistens recht sanft ihren musikalischen Lauf. Streicher säuseln, die Akustikgitarre klingt wie am Lagerfeier, die Keyboards kriechen mit viel Hall aus den Lautsprechern. Produzent Nigel Godrich (Radiohead, Paul McCartney) hat sicher großen Einfluss gehabt.
Erinnerungen an „Meddle“, „Dark Side of The Moon“ und besonders „Wish You Were Here“ werden wach. Auch an „Animals“ und „The Final Cut“, da gibt es durchaus Anklänge an Klassiker wie „Have A Cigar“, „Echoes“ und „Sheep“, dissonante Ausbrüche wie bei „Ummagumma“. Die Synthesizern schmatzen, dröhnen, Hundegebell, tickende Uhren, Stimmengewirr, Auszüge vom Trump-Statements („I won!“), hymnische Gitarren in David-Gilmour-Manier, die schier endlos dahinsegeln. „Smell The Roses“ oder „Picture That“ grooven mit einer Leichtigkeit, wie Pink Floyd zuletzt in den siebziger Jahren. Man weiß ja, dass Roger Waters Perfektionist ist, und so ist der Sound des Albums auch verlässlich grandios.
An den Aufnahmen waren folgenden Musiker beteiligt: Roger Waters (Gesang, Akustikgitarre, Bass), Nigel Godrich (Arrangement, Soundcollagen, Keyboards, Gitarren), Gus Seyffert (Bass, Gitarren, Keyboards), Jonathan Wilson (Gitarren, Keyboards), Joey Waronker (Drums), Roger Manning (Keyboards), Lee Pardini (Keyboards) und Lucius (Gesang) mit Jessica Wolfe und Holly Proctor.
Waters hat nicht nur ein neues Album rausgebracht, es ist eine öffentliche Bekanntmachung, ein Aufruf, sich der Gier und Dummheit der Mächtigen zu stellen. Und weil Waters sich nicht mit Nichtigkeiten belastet, geht er gleich in die Vollen: „Wenn ich Gott wär‘…“ Ja, dann, würde er wohl sicher einen besseren Job machen, singt er ohne jede Spur von Bescheidenheit. Und der Brite, der schon seit Jahrzehnten in New York lebt, beschreibt die ganze Absurdität heutiger Kriegsführung: Was stellen sich die Männer und Frauen eigentlich vor, wenn sie viele Tausend Kilometer entfernt aus einem klimatisierten Raum aus Drohnen, vollgestopft mit tödlichen Waffen, steuern? In „The Most Beautiful Girl“ besingt Waters ein kleines Mädchen, das bei einem US-Raketenangriff auf sein Dorf im Süden des Jemen getötet wurde.
„Is this the life we really want? It surely must be so. For this is a democracy, and what we say goes“, singt Waters fragt: Wollen wir das? Dass ein Vollidiot Präsident ist, dass Menschen ohne ordentliche Anklage im Knast verschwinden? Dass Kinder bei der Flucht ertrinken? Dass ein Student von Panzern überrollt wird? Dann deshalb, weil wir das so wollen: „It is because we all stood/by silent an indifferent – It’s NORMAL!“
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