Vor der Bühne eine einzige Woge von tanzenden, hüpfenden Menschen, die die Arme hochreißen und das Telekom Forum in Bonn zu einem Tanzclub machen. Es ist wohl das erste Mal, dass beim Jazzfest Bonn auf eine Bestuhlung verzichtet wird. Zu Recht, wie sich bei der Abschlussveranstaltung am Samstag mit Toytoy und der Jazzrausch Bigband zeigte.
Von Dylan Cem Akalin
Auch nach anderthalb Stunden schweißtreibendem Auftritt wollte das Publikum die Jazzrausch Bigband aus München nicht ziehen lassen. Aber irgendwann ist immer Schluss. Das Jazzfest Bonn 2022 schloss am Samstag mit einem überaus unterhaltsamen Programm die Konzertreihe. Jazzrausch ist einfach eine sichere Bank, wenn es darum geht, die Zuhörer mitzureißen. Mit ihrer Mischung aus Techno und Jazz führt das Orchester um Bandleader und Posaunist Roman Sladek sowie den für die Kompositionen verantwortlich zeichnenden Electronics-Spezialisten Leonhard Kuhn die Tradition der großen Tanzkapellen der goldenen Swing-Ära der 1920er Jahre fort – so widersprüchlich das auch klingen mag. Ähnlich wie einst die Benny Goodman Bigband das Duke Ellington Orchestra, die Big Band von Count Basie oder Billy Eckstine geht es der Truppe aus München um eine tanzbare Verbindung von modernen Rhythmen und virtuosem Jazz.
Traumhafte Solos
Schon mit dem Electro-Swing „Green Sun“ mit den berauschenden phrygischen Skalen, zu denen erst Moritz Stahl auf seinem Tenorsaxophon, dann Angela Avetisyan traumhafte Trompetensolos spielten, kommt Bewegung in die Beine der Zuschauer. Bläser in Staccato-Attacken über wummernde Techno-Bässe und psychedelisch anmutender Sprechgesang von Patricia Römer bestimmen den Song „Der Literat“, das satte Baritonsaxophon versetzt „Go Go Go“ einen zusätzlichen coolen Anstrich. Mein persönlicher Höhepunkt: „Suche nach Jugend“. Die Nummer startet wie eine Ballade, eine Grundstimmung, das das Baritonsaxophon zunächst aufgreift und die Töne mehr haucht als bläst und sich dann aber, unterstützt vom wunderbaren Orchester, immer mehr in Rage spielt.
Der Echo-Effekt der versetzt arrangierten Bläsersätze in „Emergent Evolution“ ist beeindruckend, ebenso die elektronischen Soundkreationen und das Posaunensolo von Sladek am Schluss. Man darf Jazzrausch, 2015 als Hausband des Münchner Nachtclubs Harry Klein gegründet, durchaus unterstellen, dass die intelligenten Arrangements durchaus den Sound von Kraftwerk, Philip Glass und Terry Riley aufgreifen und um den unnachgiebigen Techno-Beat ergänzen, den man bisweilen am ganzen Körper beben spürt. Ganz klar, das ist mehr eine Musik für das Live-Erlebnis als für den Couchmusikgenuss.
Toytoy mit Salomea
Musikalisch überzeugend präsentierte sich das Quartett Toytoy, das im zweiten Teil ihres Sets von der wunderbaren Rebekka Salomea Ziegler unterstützt wurde. Alex Eckert (Gitarre), Daniel Stritzke (Bass), Samuel Wootton (Percussion) und Silvan Strauß (Drums) haben sich ganz eindeutig von Frank Zappas Phase von „Roxy & Elsewhere“ und besonders „Studio Tan“ beeinflussen lassen – eine Mischung verschiedener Stile mit ungeheurem Spaß am perkussiven Spiel. Die vier virtuosen Instrumentalisten tasten sich mit „Da Funk“ noch mit einer recht melodiösen Nummer heran, lassen es dann bei „Tahin“ funkig knallen, da springt Wootton zwischen Congas und Xylophon hin und her und bietet Eckert ein rhythmisches Fundament für ein herrlich schräges Gitarrensolo. Bei „Hotel Mermoz“ hätte man sich indes von dem Gitarristen etwas mehr Wagnis gewünscht.
Das war aber dann auch die einzige Nummer, die noch Wünsche offenließ. „Back To The Fusion“ verblüffte mit waghalsigen Unisono-Läufen der Gitarre und des Xylophons. Stellenweise fühlte man sich hier wirklich an Zappas „The Adventures of Greggery Peccary“ erinnert. Schräge Rhythmen und eine starke Basspräsenz bestimmten „A7 North“. Stritzkes Spiel hätte Abraham Laboriel sicher gefallen. Ein wenig Weather Report und ein wenig Lee Ritenour schwirrten einem bei „Get Here“ durch den Kopf.
Mit dem Auftritt von Salomea kam etwas mehr Urban Soul, cooler Acid Jazz und Psychedelic durchtränkter Jazz Funk ins Spiel. Salomea hat eine fantastische Stimme, die eine intelligente Balance von Coolness, festlichem Soul und staubigem Rap hält. Der Frau hätte ich noch den ganzen Abend zuhören können. Bei „Playdate“, ihrer ersten Nummer mit der Band, war das Mikro leider schlecht eingestellt, was bei dem entspannten „Empress“ glücklicherweise behoben wurde. Drum and Bass und Rap bilden das Gerüst für „Bosstime“, Electro-Soul für „Breathe“. „Ex Faktor“ könnte auch von Incognito sein. Mit einer genialen Version des Daft Punk-Hits „Around The World“ verabschiedet sich die Band vom hingerissenen Publikum. 73 Minuten reiner Genuss!
