Ein Album für die Ewigkeit – Erik Truffaz Quartet „Lune Rouge“

Eric Truffaz FOTOS: Yuji Watanabe

Erik Truffaz Quartet
Lune Rouge

VÖ: 11.10.2019
CD ∙ LP ∙ Digital

In einem verborgen anmutenden Studio, inmitten einer Schweizer Stadt gelegen, reflektieren die Wände das Licht. Erik Truffaz trägt ein weißes Hemd, dessen Knitter und Falten sofort ins Auge springen. Seine Brille hängt an einer Schnur runter. Vor ihm befindet sich eine abgeschirmte Aufnahmekabine, in der sich ein Mikrofon befindet, das älter ist als er. So wie auch die Trompete mehr Jahre als er auf dem Buckel hat, der er gerade Töne entlockt. Alles verströmt die Weisheit des Alters. Zeit. Kunstfertigkeit.

Dann fängt er an zu singen. Den Song eines verwundeten Kindes. Den Song einer abgeschiedenen Seele. Truffaz‘ Trompete tritt mit Unterwasserwelten in Verbindung, mit unerforschten Gipfeln, Gebeten und Kinderreimen. Er macht äußerlich vielleicht nicht viel her. Er gibt nicht den Poeten. Aber in seinem Stück „Lune Rouge“ (Blutmond) kristallisiert sich der Klang des Atmens heraus.

Keine Formalitäten

Rot ist der Mond. Um einen Blutmond sehen zu können, müssen verschiedene Faktoren zusammengehen: eine totale Sonnenfinsternis, wenn der Mond, die Erde und die Sonne in exakter Linie zueinanderstehen, und der Mond in Erdnähe ist, nahe unserer Umlaufbahn. Es ist eine atemberaubende Kombination aus mineralischem Licht, verheißendem Aufprall und glücklichen Zufällen. Der Blutmond ist die Folge einer perfekten Ausrichtung.

Formalitäten spielen während der Aufnahme-Sessions zum Album keine Rolle. Die Musiker kennen sich seit Ewigkeiten. An den Wänden des Flon-Recording-Studios hängen die Vinyl-Platten des Quartetts, die 20 Jahre Revue passieren lassen. Sie hängen da nicht als Trophäen, sondern vielmehr als Bruchstücke eines Mosaiks, das sich kontinuierlich in Arbeit befindet. Nichts ist vollendet, alles atmet. Die Musiker reden nicht viel darüber, was zu tun ist. Der Kollege Marcello Giuliani sieht erschöpft aus, während er durch sein Handy scrollt. Benoit Corboz richtet Tasteninstrumente an, die, einmal aufgebaut, wie das Cockpit eines Raumschiffs aussehen.

Nichts ist statisch

„Wir wollten neue Dinge für das Album“, erklärt Erik Truffaz zwischen einer seiner langen Redepausen, in denen er Stopps einlegt, um seine Gedanken zu sammeln. „Wir haben den Dirigentenstab an Arthur Hnatek weitergereicht und ihn darum gebeten, das Basismaterial zu komponieren, aus dem das Quartett einen Sound gewinnen kann, indem wir Einzelteile zusammenfügen und sie anschließend wieder auseinanderpflücken.“

Der neue Drummer spielt mit den Musikern seit dem Album „Doni Doni“, das in Brüssel entstand. Man überlässt ihm gerne das Parkett. Mit desinteressierter Mimik packt Arthur Hnatek seinen Computer aus, der voller Digital-Feeling und seiner Percussion steckt, mit der wie ein Farbenkünstler hantiert. Man sieht, dass hier frisches Blut am Werk ist.

Alles beginnt mit langen Schwindelanfällen, herzzerreißenden Jams, die so justiert werden, wie sie weiland Teo Marcero für die Electric Tracks von Miles anordenete.

Nichts ist statisch, alles bleibt in Bewegung, obwohl es im Inneren beinahe still ist, wenn ein Album des Erik Truffaz Quartet entsteht.