Starkes Hardcore-Programm in der Kantine Köln. Mit 30 Minuten war der starke Auftritt der Waliser Dream State um Sängerin CJ Gilpin viel zu kurz, Novelist FR aus Paris überraschte mit energievollem Auftritt, Being As An Ocean bediente vor allem die Hardcore-Fans und brachte die Stücke aus dem neuen Album nicht immer mit der nötigen Begeisterung rüber.
Von Dylan Cem Akalin
Tatsächlich überzeugte der Hauptact noch am wenigsten. Merkwürdigerweise war der Sound bei Being As An Ocean am schlechtesten abgemischt, so dass oft nur ein dumpfer Gesamteindruck blieb. Sehr schade. Auch, weil man den Eindruck hatte, dass die Band nicht voll hinter dem aktuellen Werk steht.
Dream State startete viel, viel zu laut, was glücklicherweise nachjustiert wurde. Die Band brachte für mich noch die größte Abwechslung im Programm – und das, obwohl sie nur exakte 30 Minuten auf der Bühne waren. Ab was für 30 Minuten! Die Power ist sagenhaft. Die 2014 gegründete Gruppe mit Sängerin CJ Gilpin, den Gitarristen Aled Evans und Rhys Wilcox sowie dem Schlagzeuger Jamie Lee hat einen ganz eigenen Stil entwickelt, um ihre tiefsinnigen und sehr persönlichen Lyrics mit einem mächtigen musikalischen Ausdruck zu versehen.
Und CJ Gilpin ist einfach sensationell! Es gibt nicht viele Künstler, die live noch einen draufsetzen. Sie gehört eindeutig dazu, wie sie brüllende Gesangsmelodien, kraftvolle Screaming-Passagen und bewegende, klare Vokalparts miteinander verflechtet. Und was für eine Bühnenpräsenz die kleine Person hat! Sie wirbelt, kniet, liegt und krümmt sich, beugt sich tief ins Publikum, umarmt und drückt ihre Fans. Und wie sich hinterher beim kurzen Gespräch zeigt: CJ ist ein unglaublich herzlicher Mensch. Offen, ehrlich und authentisch. Und genau das bringt sie apodiktisch in ihrer Musik rüber.
Mit ihren ziemlich persönlichen und offenen Texten über Ängste, innere Widerstände, Heuchelei, mit Fragen über gesellschaftliche Zwänge trifft sie genau die Themenkreise, die junge Leute beschäftigen und Ältere beschäftigen sollten. Mit dem Opener „Made Up Smile“ hat die Band ein Stück gewählt, das einen melodischen Rahmen für jede Menge brachiale Gefühlsausdrücke bietet. Eine junge Frau, die nicht mehr mitspielen will in einer falschen Welt, in der man nur mit geschminktem Lächeln vorankommt. „I don’t want to pretend I’m fine“ („Ich will nicht so tun, als ob es mir gut ginge“), schreit sie ins Mikrofon.
Bei „Hand in Hand“ drückt die Band instrumental mächtig aufs Gaspedal. Der Bass dröhnt so überragend wie die fetten Gitarrenriffs, um immer wieder plötzlich innezuhalten und dann umso aufbrausender weiterzuspielen. Was für starke Lyrics: „All I had was myself/I keep running into hell“, schreit CJ ins Mikro.
Den inneren, verzweifelten Kampf mit den eigenen Dämonen beschreibt sie in dem Song „Help Myself“ von der EP „Recovery“. Der Song klingt wie eine Metalcore-Version von Siouxsie and the Banshees, in dem sich glockenfeine Zeilen mit Screaming-Parts wechseln, eine Herausforderung für die Sängerin und ein emotionaler Höhepunkt des Auftritts.
„Open Windows“ hat einen starken Chorus und einen stampfenden Rhythmus, der nach Tatendrang schreit. „Bleeding out my pockets just to try and save your neck.“ Ein Song über die Unfähigkeit, seine Angst und Traurigkeit zu überwinden – trotz offener Fenster. „Twenty Letters“ beginnt so melodisch und zerbrechlich, bleibt es aber nicht lange. Denn hier geht es um das Bekenntnis einer starken Frau, die schon durch die kalte Dunkelheit gegangen ist und sich nie wieder brechen lassen wird. Der Schrei nach Hilfe war musikalisch selten so stark wie bei „White Lies“. Mit dem großartigen Titelstück ihres Albums „Primrose“ endet der ausgezeichnete Gig.
Während Gilpin zwar eindeutig im Rampenlicht steht, muss man einfach die subtilen und wunderschön ausgeführten Unisono-Gitarrenharmonien von Evans und Wilcox herausstellen. Wenn sich die beiden Gitarristen mit dem Schlagzeuger Jamie Lee verbinden, um die fetten Momente des Konzertes zu verstärken, dann kommen wirklich explosive Momente heraus. Wir werden noch viel von dieser Band hören.
Novelists aus P
Die progressive Metalcore-/Djent-Band Novelists aus Paris hat mich ebenfalls ziemlich umgehauen mit ihrem Gemisch aus melodischen Prog-Parts und tiefschwarzem Metalcore. Sänger Matteo Gelsomino ist eine sichere Hausbank. Kein Wunder, dass ihn später Being As An Ocean für ein Stück auf die Bühne holen. Beeindruckend ist aber auch die Gitarrenarbeit von Florestan Durand und Charles-Henri Teule. Für satte Basssounds ist Nicolas Delestrade zuständig, am Schlagzeug sitzt Amael Durand. Das Quartett gewinnt nicht nur in der französischen Metalszene immer mehr an Bedeutung.
Die raffinierten und effektiven Kompositionen explodieren angesichts des Publikums, das sich vom ersten Stück an mitgerissen fühlt. Und es gibt sogar einen Moment von hymnischer Poesie, als Matteo Gelsomino das Publikum bei „The Light, The Fire“ bittet, die Taschenlampen der Handys einzuschalten, bevor er sich mit diesem unbarmherzigen Titel loslegt.
Auch hier variieren die klaren Vocals mit Growlings. Bei „Eyes Wide Shut“ erleben wir einige geile Gitarrensoli. Die Songs liegen zwischen effektiven und energischen Refrains, die von den beeindruckenden Vocals von Matteo getragen werden, und kontemplativeren Couplets. Die Energie wird von der Leidenschaft des Sängers getragen, der von rasenden Rhythmen getrieben wird – von den hervorstechenden Musikern Nicolas Delestrade am Bass und Amael Durand hinter den Trommeln losgetreten.
Being As An Ocean
Die Headliner Being As An Ocean werden ihrem Ruf als Metalcore-/Post-Hardcore-Meister sicherlich gerecht. Vor allem Sänger Joel Quartuccio ist Energie pur. Und man hat den Eindruck, er verbringt den größten Teil des Auftritts mit und bei den Fans. Am besten haben mir indes die Leadgitarren von Tyler Ross gefallen. Der Mann ist in jeder Situation in der Lage, Emotionen zu übertragen, die dann über Joels Lyrik und Gesang übertragen werden.
Die Setlist besteht aus sieben Tracks aus „Waiting For Morning To Come“ und sieben des aktuellen Albums „PROXY: An A.N.I.M.O Story“, aus dem vor allem die ruhigeren Parts kommen und mir am besten gefallen haben. Diese Kombi aus Pop und Alternative, Elektronischer Musik und Metalcore, aus Rap, klarem Gesang, Screams und etlichen Soundsamples sind wirklich stark. Aber sie könnten besser rüberkommen. Und ich habe den Eindruck, dass der Sound eher auf diesen Teil des Konzertes abgestimmt ist. Denn da stimmt der Klang im Gegensatz zu den lauten Parts. Und die Fans von Being As An Ocean wollen vor allem die älteren kraftvollen Stücke hören. Das spürt man.
Und so ist man doch ein wenig hin- und hergerissen von dem Auftritt zwischen überraschter Begeisterung und der angestrengten Erwartung nach einem wirklichen Höhepunkt. Dennoch: Die Band hat eine Chance verdient – und die Fans schienen auf jeden Fall begeistert.