Da ist etwas geschehen mit Laia Genc. Schon zwischen den beiden Alben „Australia & Beyond“ und „Talisman“ scheint Laia Genc eine innere und damit künstlerische Entwicklung durchgemacht zu haben. Auch wenn „Talisman“ in einigen Momenten eine gewisse Melancholie ausstrahlt, spielt die Pianistin kraftvoll und beschwingt, wirken die Kompositionen der Pianistin wie befreit. Sie haben einen Reifegrad erreicht, der vom Selbstbewusstsein ihrer Komponistin zeugt, die rhythmisch anspruchsvoll und dennoch auf betörende, spontan erlebbare Weise aufspielt. Und jetzt also „Birds“. Das soeben erschienene Album stellt Genc am Sonntag im ausverkauften Kölner Stadtgarten vor.
Von Dylan Cem Akalin
Und auch mit ihrem neuen Werk beweist die 39-jährige gebürtige Berlinerin ihre schier unerschöpfliche Ausdruckskraft. Live bekommt man einen ungefähren Eindruck vom großartigen Zusammenspiel ihres Trios: Bassist Markus Braun spielte bereits beim vorherigen Album mit, neu ist Drummer Jens Düppe – mit beiden hat Genc eine exzellente Wahl getroffen.
„Phoenix“, das das Trio erst gegen Ende ihres Konzerts anstimmt, ist vielleicht das zentrale Stück auf dem Album und beim Konzert am Sonntagabend: Es beginnt in freier Weise im offenen Spiel von Schlagzeug und Bass, Düppe stimmt fast einen indisch anmutenden, ganz leisen Rhythmus an, Genc schlägt die Saiten im offenen Flügel an, und wie aus dem Nichts schält sich eine flüsternde Melodie heraus, die sich immer mehr Struktur entwickelnd fortführt.
Das Trio lässt sich Zeit, nimmt sich die Gelassenheit, um Spannung aufzubauen: Expressivität durch Ruhe, ja, die Werke strahlen eine Friedlichkeit aus, die indes nur dazu dient, die Saat für kreative Ausflüge zu säen. „Birds“ ist ein durchaus treffender Titel für das Album, das bestimmt ist von Offenheit und Weite, der Zuhörer kann den breiten Horizont geradezu greifen. Der Opener „The Bird“, bei dem sich Düppe auf filigranes Beckenspiel und Braun auf leise Bassparts konzentrieren, zeugt genau von diesem Freimut. Dazu fügt sich Düppes Komposition „Allemande“ vorzüglich ein: ein fast kammermusikalischer Start, der von Tempowechseln (bis zu fast rockigen) lebt, von der Organik der Spieler. Zeit, das unterstreicht Düppe mit gelegentlich angedeutetem Uhrticken, spielt hier die entscheidende Rolle.
Mit „You Gave Me“, ein Stück, das sie ihrer Großmutter gewidmet hat, und „Butterflies“ beweist Genc, dass sie nicht nur singen, sondern auch das kompositorische Zeug hat, wunderschöne Melodien zu schreiben. „Butterflies“, geschrieben während ihres Stipendiumaufenthalts in Istanbul, hat die Zerbrechlichkeit von angenehmen Träumen, die man sich so gerne bewahren will, die sich aber aufgrund ihrer schattigen Verflüchtigung unweigerlich auflösen.
„Julimond“ habe sie nach einem Spaziergang an der Nordseeküste geschrieben, erzählt sie. Die Abendstimmung, gefüllt von der diffusen Mittsommerhelligkeit des Nordens, sei voller zwielichtiger Farben gewesen. Herausgekommen ist ein lyrisches Werk, das auch von der epischen Erzählweise der Pianistin lebt. Überhaupt ist Genc eine Musikerin, für die das Unberechenbare ihrer Sprache zur Suche nach Ausdrucksmöglichkeiten gehört. Die Musik erscheint wie der Versuch, den gegenwärtigen Moment des vollendeten Ausdrucks festzuhalten. Dazu gehört ungeheurer Mut, sich selbst so fallenzulassen, sich der Musik so hinzugeben, um auch das Unvorhergesehene geschehen zu lassen. Das Ergebnis ist eine Musik, die klanglich wie kompositorisch, auf faszinierende Weise organisch ist.
Mit einer Hommage an den vor drei Jahren verstorbenen Vibraphonisten Rupert Stamm entließ Genc ihr Publikum in den ersten Adventsabend. „Die Stille unter dem Meer“ zeugt von der sensiblen, traumwandlerischen Interaktion des Trios: Brauns poetisches Bassspiel, Düppe streicht mit Besen und Plastiktüte (!) über die Trommelfelle – ein Stück, bei dem das sachte Vordringen in neue Klangräume eine durchaus experimentelle Ästhetik erzeugt. Großartig!
Das Album „Birds“ gibt es bei Amazon.