Nein, über Tommys Tod will sie nicht reden. Und am liebsten möchte sie, dass nicht eine einzige Zeile über das tragische Ende des großartigen Komponisten und Musikers in dieser Geschichte steht. Doch der freiwillige Tod von Tom Evans, der für viele zusammen mit Peter Ham ein ebenso geniales Songwriter-Duo wie einst Paul McCartney und John Lennon bildete, ist doch von zentraler Bedeutung. Für das ungewöhnliche Leben der Marianne Evans, ihren Sohn Stephan – und vielleicht auch die Pop- und Rockgeschichte. Denn der unglückliche Niedergang der britischen Band Badfinger, die um 1970 als die einzig rechtmäßigen Nachfolger der Beatles galten, markiert einen Wendepunkt: Es ist die Geschichte von grenzenloser Gier, die hingebungsvolle Kreativität, Liebe und Freundschaft gnadenlos niedertritt. „Als wir Badfinger verloren, verloren wir unsere Unschuld“, sagte Mary Pang, Ex-Freundin von John Lennon, enge Freundin der Bandmitglieder und Ex-Frau des mächtigen Plattenproduzenten Tony Visconti.
Marianne Evans, 68, kann ihre rheinische Herkunft nicht verleugnen. „Ich wurde im Kessenicher Klösterchen geboren“, erzählt die Witwe von Tom Evans. Wir sitzen in ihrem gemütlichen Wohnzimmer, die Balkontür steht offen und der Wind trägt das sanfte Brummen der Rheinschiffe herein, das sich mit der leisen Musik mischt, die aus dem Internetradio klingt. Der Radiosender Heart London ist Mariannes Brücke von Beuel in ihre einstige Wahlheimat Großbritannien. Platten legt sie schon lange nicht mehr auf. Die von Badfinger sowieso nicht. „Da hängen zu viele emotionale Erinnerungen dran“, sagt sie. Nach dem Tod ihres Mannes, da durfte in ihrem Haus lange Zeit nicht mal Musik laufen. Stephan, damals sechs Jahre alt, konnte es nicht ertragen.
Möbel im englischen Edwardian Stil, impressionistisch anmutende Bilder an den Wänden, auf der Kommode stehen Bilder von ihrem Sohn, von Tommy, die schweren Auszeichnungen der American Society of Composers, Authors and Publishers (ASCAP), die ihr Mann bekommen hatte, die Platinum-CDs und Goldenen Schallplatten hängen an der Treppe ins obere Geschoss der Wohnung am Beueler Rheinufer. Ein Bild auf dem Sekretär zeigt sie und Paul McCartney. „Das ist kürzlich gemacht worden, als ich von Paul zum Essen mit anschließendem Konzert von ihm in Liverpool eingeladen worden war“, erzählt sie.
Das Leben der Marianne Evans ist die Geschichte von Abenteuern und Schicksalen, ein Filmstoff, an dem ein Martin Scorsese oder Francis Ford Coppola sicherlich seine Freude hätte. Im Drehbuch kämen Leute wie Paul McCartney, John Lennon, George Harrison, Jimmy Page, Jon Anderson, Rod Steward, Elton John und viele andere Stars vor. Als Chris de Burgh in der Kölner Lanxess-Arena „Without You“ sang, da widmete er den Song „einer special lady im Publikum“: Marianne Evans. Sie alle kennen das Schicksal von Marianne und Tom Evans. Sie könnte selbst ein Buch schreiben, in dem die Legenden der Pop- und Rockgeschichte auf jeder Seite ein- und ausgehen würden. Es wäre aber weniger ein „Who is Who“, als vielmehr die Geschichte einer Überlebenskünstlerin.
Ihre Ausbildung hat sie in einer Drogerie an der Sternstraße absolviert, wohl wissend, dass sie sicherlich niemals in diesem Job arbeiten würde. Ihr Herz hatte sie längst an diese Musikrichtung verloren, die schon zu Beginn der 1960er Jahre die Sehnsucht nach Freiheit, Wildheit, nach Abkehr vom Mief des konventionellen Lebens auslöste.
„Im Keller einer Freundin haben wir versucht, Blues zu spielen. Aber ich dachte, es wäre einfacher, Schlagzeug zu lernen als Gitarre. Also habe ich mir ein Schlagzeug gekauft. Das war 1963.“ In Köln gab es damals einen legendären Club. Im Storyville am Kaiser-Wilhelm-Ring spielte alles, was Rang und Namen hatte. Oder noch nicht. Jedenfalls war der Beatclub, der vorwiegend Bands aus England auf die Kölner Bühne brachte, wohl das begehrteste Freizeitziel der jungen Frau. „Ich habe jede Band gefragt, ob ich mal mit ihnen spielen dürfte, und manchmal hat es auch geklappt“, erzählt sie lächelnd.
Auf diese Weise lernte sie zum Beispiel Jon Anderson, den charismatischen Sänger der britischen Progrock-Band Yes kennen. Er wohnte zwischendurch sogar mal bei Mariannes Eltern an der Colmantstraße. Seine Liebesbriefe hat sie immer noch. „Ich habe damals alle seine Umhänge genäht, die er auf der Bühne trug“, erzählt sie. Und später in London hat sie die Band von Auftritt zu Auftritt gefahren, weil keiner der Burschen ein Auto hatte.
Ihr erster Versuch, mit 16 nach Liverpool auszubüchsen, endete schon am englischen Hafen. Da war diese Band. Rory Storm & The Hurricanes, zu denen auch mal ein gewisser Ringo Starr gehörte. „Alles Jungs mit langen Haaren. Ich fragte sie, ob sie mich nicht mitnehmen könnten. Und das taten sie auch. Als dann aber der Zöllner am Landesteg meinen Pass sehen wollte, mich fragte, was ich da alleine als 16-Jährige in England wollte und
ich sagte, dass ich die Band begleite, schickte er mich postwendend wieder zurück.“ Marianne lacht und ihre großen braunen Augen werden klein, als würde sie zum Horizont blicken.
Ihren späteren Mann Tom lernte sie 1967 kennen. Da nannte sich die Band noch The Iweys. Tom sah ihr Bild mit der Blume im Haar bei einer Freundin von ihr. „Wer ist das? Diese Frau werde ich einmal heiraten“, soll er gesagt haben. „Ich wollte zunächst gar nichts von ihm. Er sah ja gut aus, aber immer wenn ich ihn traf, hatte er eine Andere im Arm“, erinnert sie sich.
1968 zog sie mit einer Freundin nach London und begann zunächst als Garderobenmädchen in der Wunderbar am Leicester Square durch und diente sich Als Mädchen für alles im Greenwich Theatre an, wo sie unter anderem Maurice Gibb kennenlernte. „Hinter dem Herrods gab es so ein sehr cooles und elegantes Lokal, das Elegant Bistro, wo Leute wie Catherine Deneuve und Ingrid Bergmann einkehrten, wenn sie in London waren. Eines Tages bin ich dahin und hab nach einem Job gefragt. Ich hatte keine Ahnung von Weinen oder den verschiedenen Gerichten, die es da gab, habe die ganze Nacht Servieren geübt und gelernt. Die wollten ein Zeugnis von mir, das hat mir ein Freund aus einem Café in Bonn besorgt – und am Ende bekam ich den Job.“
15 Jahre hat sie dort gearbeitet – auch in der Zeit, als Badfinger schon längst Stars waren. „Es war absurd. Im Radio liefen die Songs, aber die Band hatte nicht mal genug Geld zum Essen. Nachts gab mir der Küchenchef Steaks mit, auf die die Jungs schon sehnsüchtig warteten.“ Mittlerweile war sie mit Tom und den anderen in ein Haus des damaligen Managers Bill Collins gezogen. „Da war noch eine andere Band. Wir lebten zu 14 Leuten in dem Haus. Die Band bekam praktisch nur ein Taschengeld von 30 Pfund die Woche. Tommy hat über alles Tagebuch geführt. Jede Packung Zigaretten, die er sich gekauft hat, trug er ein.“ Die Tagebücher mit handgeschrieben Songtexten verwahrt Marianne mittlerweile in einem Bankschließfach auf.
Als The Iveys unterschrieben sie ihren ersten Vertrag bei Apple. Die erste Single „Maybe Tomorrow“ floppte zwar, aber die Beatles, die sich für die Band stark machten, glaubten an sie. Der neue Name wurde inspiriert durch John Lennons „Badfinger Boogie“, Paul McCartney schrieb für sie den Song für die erste Single unter neuem Namen.
(Fortsetzung „Badfinger – The Story“)