Philipp Röttgers von der Uni Bonn beleuchtet in seiner Bachelor-Arbeit die Entwicklung der Gruppe Genesis.
Mit ohrwurmhaften Melodien und opulenten Bühnenshows hat die britische Rockband „Genesis“ (‚No Son Of Mine‘, ‚I Can’t Dance‘) sich in die Geschichte der zeitgenössischen Musik eingeschrieben. Bis heute sind viele Fans der Meinung, es habe die Gruppe sozusagen zweimal gegeben – sie habe unter ihren Leadsängern Peter Gabriel (1967-75) und Phil Collins (1976-96) völlig unterschiedliche Musikstile gepflegt. In seiner Bachelor-Arbeit „Two eras of Genesis?“ kommt der Anglist Philipp Röttgers von der Universität Bonn zu dem Schluss: Den vielbeschworenen „Bruch“ im künstlerischen Schaffen der Band gab es nicht. Die Studie ist jetzt im Marburger Tectum-Verlag erschienen.
Wer irgendwo auf der Welt ein Radio anmacht, der wird ihre Stücke hören: Jahrzehntelang hat die britische Rockband „Genesis“ die zeitgenössische Musik mitgeprägt. Die ursprünglich fünf, später drei Musiker veröffentlichten 15 Studioalben mit 201 Liedern und verkauften bis heute weltweit rund 140 Millionen Tonträger. Ihr Werk beeindruckt mit opulenten Bühnenshows und ohrwurmhaften Melodien, etwa in „The Brazilian“ (einem hypnotischen Instrumentalstück voller rhythmischer Experimente, Percussioneffekte und ungewöhnlicher Halbtonschritte) oder „Driving the last Spike“, einer Zehn-Minuten-Ballade über das Leid der Eisenbahnarbeiter im 19. Jahrhundert. Der Anglist Philipp Röttgers von der Universität Bonn hat sich in seiner Bachelorarbeit „Two eras of Genesis?“ mit der Geschichte der Band befasst. Er räumt mit der verbreiteten Ansicht auf, es habe die Gruppe „in zwei Versionen“ gegeben, erst einer „fortschrittlichen“, dann einer „kommerziellen“.
Frontmann der 1967 gegründeten Band war zunächst der Sänger Peter Gabriel: Unter seiner Ägide wurde die Gruppe in den frühen 70er Jahren zu einer der führenden Kräfte des „Progressive Rock“. Doch dann stieg Gabriel 1975 aus, den Posten als Leadsänger übernahm Schlagzeuger Phil Collins. „Seitdem gibt es zwei Lager von Fans“, berichtet Philipp Röttgers. Entweder feiere man die »progressiven« Stücke der Gabriel-Zeit und sage, später habe die Gruppe nur noch »billigen Pop« gemacht. Auf der anderen Seite heiße es: „Unter Collins war die Musik viel einprägsamer als mit dem schrägen Zeug zuvor.“ Speziell in Fan-Foren werde das sehr deutlich – zuweilen in ziemlich harter Wortwahl.
Gab es den angeblichen Wandel der Band wirklich?
Philipp Röttgers, geboren 1989, zählt sich zu keiner der Parteien: „Ich bin ein Fan von allem. »Genesis« sind meine Lieblingsband, seit ich ein Kind war.“ Seine Studie ist aus einer Hausarbeit über „Britain in the 60’s and 70’s“ bei Professorin Marion Gymnich im Institut für Anglistik, Amerikanistik und Keltologie der Universität Bonn hervorgegangen. Für seine Bachelor-Arbeit in „English Studies“ – ebenfalls bei Prof. Gymnich – erweiterte er diese Untersuchung auf rund 70 Seiten, für die Buchfassung sogar auf über 100. „Ich wollte hinterfragen, ob es den angeblichen »Wandel« wirklich gegeben hat“, beschreibt der Anglist seinen Ansatz. Dazu stellte er Songs und Bühnenauftritte aus beiden Phasen der Bandgeschichte gegenüber; für seine Analyse zog er auch Rezensionen von Genesis-Stücken und -Auftritten in der Fachpresse und der Fan-Szene, Platten- und CD-Cover sowie Musikvideos heran.
„Durch den Sängerwechsel hat sich nicht viel verändert“, bilanziert Röttgers. Vorher wie nachher habe es epische, lange Stücke gegeben. Vorher wie nachher sei der visuelle Aspekt wichtig: Peter Gabriel setzte auf Kostüme, Phil Collins auf ausgefeilte Musikvideos. Vorher wie nachher entstanden die Stücke aus Jam-Sessions der Musiker. Selbst der Unterschied zwischen den Schlüsselfiguren sei „nicht so groß wie angenommen“, sagt Röttgers: Es sei fast einfacher, Gemeinsamkeiten zu finden. „Zumindest damals hatten beide recht ähnliche Stimmen. Die Art, wie sie ihre Musik schrieben: Drumcomputer an, ans Keyboard setzen, mitsingen. Heute sehen sich beide lustigerweise sogar recht ähnlich.“ Auch sollte die Rolle der anderen beiden Bandmitglieder – Gitarrist Mike Rutherford (auch bekannt mit „Mike and the Mechanics“) und Keyboarder Tony Banks – nicht unbeachtet bleiben. Den Vorwurf, nach 1975 sei Genesis „poppiger verpackt“ worden, sieht Röttgers als unfair an. „In den Achtzigern klang die Musik einfach so. Auch bei Peter Gabriel – man denke an »Sledgehammer« von 1986, eins seiner erfolgreichsten Solo-Werke. Wäre Peter Gabriel geblieben, hätte das auch ein Genesis-Stück werden können.“
Röttgers kritisiert ein Paradox innerhalb der Progressive-Szene: „»To progress« heißt »voranschreiten« – und trotzdem soll eine Band, sobald sie einmal ihren Stil gefunden hat, sich nie mehr verändern.“ Röttgers sieht es ganz anders: Von allen „Progressive“-Bands seien Genesis diejenigen, die noch am ehesten „progressiv“ waren. Bei manch anderer Band seien die Alben wirklich austauschbar. „Genesis hingegen haben immer ihr eigenes Ding gemacht und sich weder von Presse noch Fans beeinflussen lassen.“ (EB)
Publikation: Röttgers, Philipp: Two eras of Genesis? The development of a rock band. Tectum-Verlag, Marburg (Lahn) 2015, 120 S., 24,95 Euro