Essen. Der Satellit treibt langsam über dem Erdball und kommt immer näher und näher. Man zuckt schon leicht zusammen, wenn die Antennenspitze bedrohlich nah kommt, um den Zuschauer fast aufzuspießen. „Kraftwerk 3D“ ist nicht nur wegen solcher visueller Effekte ein Ereignis. Vier Abende spielten die Elektropop-Legenden in der Essener Lichtburg, einem für diese Zwecke wahrlich fantastischen Theater. An diesem Donnerstag und Freitag (25. Und 26. November 2015) ist das Quartett mit ihrer Show zu Gast im Palladium in Köln zu Gast. Die Tickets sind natürlich längst ausverkauft.
Bevor sich der Vorhang öffnet, erklingt eine roboterhafte, schrill-metallene Stimme: „Ladies and Gentleman, heute Abend: die Mensch-Maschine.“ Was für eine Ästhetik des Kühlen! Vier exakt gleiche Pulte leuchten im Dunkeln wie grafische Figuren auf dem Bildschirm eines Konstrukteurs. Die Bässe und künstlichen Drums donnern aus den Lautsprechern. Die Melodien sind reduziert. Das einzig Menschliche ist das gelegentliche rhythmische Wippen der Beine des einen oder anderen Protagonisten auf der Bühne. Und huscht da vielleicht sowas wie ein zufriedenes Lächeln über das Gesicht des Mannes ganz links? Es kommt einem so vor, als würde Ralf Hütter eine Regung zeigen, als er das Thema von „Computerliebe“ spielt. Das Thema hat Coldplay bei ihrem Song „Talk“ benutzen dürfen.
Ansonsten bleibt es konsequent bei der Kraftwerklinie des distanzierten Auftritts. Erst am Schluss tritt einer nach dem anderen ab, stellt sich kurz in den weißen Lichtkegel, winkt – und ist weg.
VW-Käfer mit dem Düsseldorfer Kennzeichen D-KW 70, was aufs Gründungsjahr hinweist, und Mercedes-Limousinen mit den klassischen Linien der Siebziger gleiten durch eine animierte deutsche Autobahnlandschaft. Diese „Wirtschaftswunder-Landschaft“ wirkt wie aus einem PR-Film. Sehr flach, sehr glatt. Makellose Linien und Farbfelder rauschen über die Leinwand. Die vier Männer in den engen schwarzen Neoprenanzügen mit dem Gitterlinienmuster wirken nicht mehr ganz jung. Ihr Gebaren vor den geometrisch leuchtenden Pulten hat etwas von inhumanen Technokraten. Die Bässe und synthetischen Sounds hüllen den Raum ein, so wie die Bilder, die mit den 3D-Brillen vieldimensional von der Bühne kippen. Und aus den Lautsprechern klingt die minimalistische, aber allen bekannte Zeile: „Wir fahrn, fahrn, fahrn auf der Autobahn.“
Anfang des Jahres hatten sich die vier „Audio- und Video-Operatoren“, wie sie sich selbst bezeichnen, schon an ausgewählte Orte, vornehmlich Museen dieser Welt begeben, um, etwa in der Neuen Nationalgalerie in Berlin, an acht Abenden jeweils acht Alben zu spielen. Diesmal ist es eher eine Best of-Präsentation – von mehr als zwei Stunden.
Bei „Nummern“ fließen Ziffern von der Leinwand, zu „Computerwelt“ drehen sich putzige PC aus der Gründungszeit der digitalen Datenverarbeitung. Natürlich kommt dann auch „Computerliebe“ und das legendäre „Die Mensch-Maschine“. Wie die vier Urväter des Elektropop und Techno da stehen, wirken sie wie Figuren aus dem Science-Fiction-Streifen „Tron“. Indes ist Ralf Hütter ja das letzte verbliebene Gründungsmitglied der wohl einflussreichsten deutschen Band der Popgeschichte.
Bilder aus der Stummfilmzeit flimmern zu “Das Modell”, alte Neonschriftzüge von Klosterfrau Melissengeist bis 4711 bei “Neonlicht“. Das war`s dann aber auch mit der Nostalgie. Alles andere ist die Hingabe zu Ästhetik der Geometrie, der Topologie. Da wabert die Struktur eines mathematischen Raums, Schwarz-Weiß-Aufnahmen von der Tour de France werden digital bearbeitet, der Trans Europa Express fährt durch irreale Dimensionen, die von Linien bestimmt sind.
Erste Zugabe: „Die Roboter“. Der samt-rote Vorhang öffnet sich, und die vier Männer in ihren futuristischen Anzügen sind verschwunden. Stattdessen stehen dort die Klone, Roboter, die den Song performen. Die Puppen mit den blinkenden Krawatten wurden eigens für die Tour hergestellt. Das Publikum tobt. Zu Recht. (Cem Akalin)