Tomasz Stańko kämpfte mit Krebs. Aus diesem Grund war er zuletzt immer wieder gezwungen, Konzerte abzusagen. Im März dieses Jahres spielte er zum letzten Mal. Er kam dann mit Verdacht auf Lungenentzündung ins Krankenhaus. Leider stellte sich heraus, dass die Diagnose viel ernster ist. Nach mehreren Monaten des Kampfes gegen den Krebs starb Tomasz Stańko an diesem Sonntag (29. Juli 2018) als einer der größten Jazztrompeter der Welt.
Von Dylan Cem Akalin
Wir Bonner kennen Tomasz Stańko. Er war immer wieder am Rhein, um Konzerte zu geben. Zuletzt 2012 im Haus der Geschichte beim Jazzfest Bonn. Der alte Mann, der da so unauffällig mit einer fast zu großen Schiebenmütze und im Tweed auf die Bühne ging, entlockte seiner Trompete Töne, die den Raum gleich in ein anderes Licht zu tauchen schienen. Voller Anmut und Schönheit, trotz einiger Coolness, zarte Gebilde, wie aus der tiefsten See geborgen, die bald aufbrausen konnten, um sich dann im blauen Sauerstoff in Mikrokosmen zu verwandeln. Die Jazzwelt verliert einen der Großen.
Tomasz Stanko beim Jazzfest Bonn
Stańko nahm Schallplatten für Film und Theater auf und war künstlerischer Leiter des Festivals Jazzowa Jesień in Bielsko-Biała. Als er einmal nach seinen Rentenplänen gefragt wurde, sagte er etwas über die Versuchung, nichts zu tun, aber auch, dass es keine Zeit für den Ruhestand gab.
Tomasz Stanko war ein Trompeter, Komponist und Arrangeur, Leiter vieler Bands. Ein Musiker, der nicht nur in der polnischen, sondern auch in der internationalen Jazzszene bekannt und geschätzt war. Auch in den Vereinigten Staaten, wo er oft mit amerikanischen Musikern spielte und mehrere Jahre in New York lebte.
Man konnte von dem stillen kleinen Mann viel lernen. Stanko hat zum Beispiel oft betont, wie wichtig es ist, Fehler zu improvisieren und zu akzeptieren und sie außerdem als Chance zu akzeptieren, etwas Überraschendes zu tun. Auf die Frage, ob er eine falsche Note rechtfertigen würde, um mit einer korrigierenden Weise wieder aus der Situation zu kommen, sagte er vieldeutig: „Es ist eine sehr wichtige Lebenskompetenz.“ Ein Mann macht Fehler, aber die Kunst wird später aus diesem Fehler herauskommen. Und wir wissen aus der Musikgeschichte, dass vieles erst durch Fehler geschaffen wurden.
Improvisation ist wichtig
Die Improvisation war für den Polen etwas, womit sich die ganze Persönlichkeit des Musikers offenbart, ein wichtiger Baustein des Jazz überhaupt. „Improvisation ist wichtig, sie ist verantwortlich für Stil, Einzigartigkeit. Charlie Parker spielt Saxophon anders als John Coltrane. Ich spiele gerne mit den Jungen. Sie haben alles und etwas Neues, damit ich mich in einer anderen Zeit wiederfinde“, sagte er einmal.
Tomasz Stańko wurde am 11. Juli 1942 in Rzeszów geboren. Er absolvierte die Staatliche Hochschule für Musik in Krakau in der Trompetenklasse. Zusammen mit dem Kontrabassisten Jacek Ostaszewski, dem Pianisten Adam Makowicz und dem Schlagzeuger Wiktor Perelmutter gründete er 1962 die Band Jazz Darings, die als eine der ersten Free-Jazz-Gruppen Europas gilt. Ein Jahr später wurde der Trompeter vom Pianisten und Komponisten Krzysztof Komeda eingeladen. Stanko spielte vier Jahre lang in seinem Quintett. 1967 wurde das Tomasz Stańko Kwartet gegründet, das nach einem Jahr in das Tomasz Stańko Quintet umgewandelt wurde. Die Band nahm drei Alben auf: „Music For K.“ (1970), Jazz Message aus Polen (1972), Purple Sun (1973).
Rettung vor deprimierender Einsamkeit
Eines seiner vielleicht größten Leistungen war es, den Jazz vor deprimierender Einsamkeit zu retten, in die insbesondere der europäische Jazz immer weiter drohte abzustürzen. Und Stimulanzien – aber dazu später mehr. In der Nacht hörte er Radio, vorzugsweise zur Sendung von Willis Conover bei Voice of America, nachmittags suchte er mit seinen Schulfreunden in Krakaus Clubs auf, die sich dem Jazz zuwandten. In dieser Musik mochte er die Rebellion, die Nonkonformität, die Freiheit. Er sah in ihr den Gegenpol zu Schule und zur bürgerlichen Sicherheit des Familienhauses. Das war das, was ihn anzog. Seine ersten Bühnenproben erhielt er, indem er auf Tanzpartys spielte, aber er merkte schnell, dass das nicht das Richtige für ihn war. Die Tänzer wussten ihn nicht zu schätzen. Und er wollte Jazz spielen – je moderner, desto besser.
Als er mit den Jazz Darings im Frühjahr 1963 in Schlesien spielte, wurde Michał Urbaniak auf ihn aufmerksam. Urbaniak war damals schon ein großer Star des polnischen Jazz, und er lud ihn ein, mit dem jungen, talentierten Trompeter Krzysztof Komeda-Trzciński zu spielen. Dazu kam es im Oktober 1963 beim Warschauer Jazz Jamboree Festival – ein Schlüsselmoment in Tomasz Stankos Karriere.
Überall auf der Welt
Bis Mitte der 1980er Jahre trat Stańko mit verschiedenen Musikern auf, unter anderem mit dem Saxofonisten Tomasz Szukalski und dem Schlagzeuger Edward Vesala, ohne sich mehr mit irgendeiner Musikgruppe zu vereinigen. 1985 gründete er das Freelectronic-Team, in dem er sich auf Experimente mit synthetischen Klängen konzentrierte. In den 1990er Jahren kehrte Tomasz Stanko zum akustischen Spielen zurück. Er gibt Konzerte und Platten beim Plattenlabel ECM Records mit jungen Musikern des Simple Acoustic Trios.
Tomasz Stańko gab Konzerte fast überall auf der Welt, aufgeführt und aufgenommen, u.a. mit Cecil Taylor, Jan Garbarek, Peter Warren, Stu Martin, Don Cherry, Gary Peacock, Dave Holland, Dino Saluzzi, Adam Makowicz, Janusz Muniak, Zbigniew Seifert und eben Michał Urbaniak. Er ist Preisträger polnischer und internationaler Auszeichnungen. Als erster polnischer Künstler wurde er mit dem European Jazz Prize (2003) ausgezeichnet. Im Jahr 2004 erhielt er das Commander’s Cross des Ordens Polonia Restituta für herausragende Leistungen für die Musikkultur, für Leistungen in der künstlerischen Arbeit, und im Jahr 2012 das Commander’s Cross mit dem Stern des Ordens von Polonia Restituta für herausragende Leistungen für die nationale Kultur, für Errungenschaften im künstlerischen Schaffen.
Tomasz Stańko hat etwa vierzig Alben aufgenommen, Musik für mehrere Dutzend Filme komponiert, darunter „Pożegnanie z Maria“ (Regie: Filip Zylber), „Reich“ (Władysław Pasikowski), „Egzekutor“ (Filip Zylber) und Theateraufführungen: „Balladyna“, „Unzufriedenheit“, „Befreiung“.
Die wichtigsten Alben von Tomasz Stańko sind „Music for K.“ (1970), Witkacy – Pejotl (1988), Freelectronic: Schweiz (1988), Soul of Things (2002), Suspended Night (2004) und Lontano (2006).