Der Urtrieb des Poeten: Der Liedermacher Konstantin Wecker gibt ein Konzert auf dem Museumsplatz

Konstantin Wecker, 2005 im Beueler Brückenforum. FOTO: Horst Müller
Musiker, Schauspieler, Autor. Konstantin Wecker ist ein Multi-Talent, ein Utopist, ein Romantiker. Die Konzerte, die er zurzeit mit Hannes Wader bestreitet, sind in der Regel ausverkauft. Die Fans bleiben ihm treu, trotz seiner Drogenskandale. Oder vielleicht, weil er einer ist, der sich stets menschlich und verletzbar gezeigt hat. Der keine Scheu hat, Niederlagen einzugestehen. Der 64-Jährige ist gefragt wie lange nicht. Mit Konstantin Wecker telefonierte Cem Akalin.
Schönen guten Tag, Herr Wecker, wo erwische ich Sie gerade?

Konstantin Wecker Im Auto, unterwegs von Karlsruhe nach Stuttgart.

Sie sind derzeit auf Tournee mit Hannes Wader, finden daneben immer noch Zeit für etliche Filmprojekte, schreiben Musicals, Filmmusiken, haben einen Lehrauftrag an der Uni Würzburg, um mal einen kurzen Einblick in Ihr Schaffen zu geben. Herr Wecker, Sind Sie auf der Flucht?

Wecker Der Eindruck trügt. Die Filme, die jetzt anlaufen, sind teilweise vor ein, zwei Jahren gedreht worden. Wenn das im Jahr ein, zwei Filme sind, dann ist das nicht dramatisch. Das hält sich alles in Grenzen. Was aufwendig ist, das sind die Filmmusiken und Musicals. Das mache ich, wenn ich gerad nicht auf Tournee bin.

Sie haben rund 100 Live-Auftritte jährlich.

Wecker Andere Leute arbeiten auch das ganze Jahr. Ich glaube nicht, dass ich mehr arbeite als ganz normal arbeitende Menschen.

Demnächst kommt noch die neue CD, ein Dokumentarfilm …

Wecker Kann sein, dass es sich viele meiner Kollegen in meinem Alter etwas leichter machen. Das geht bei mir aus verschiedenen Gründen nicht.

Warum nicht?

Wecker Ich bin immer noch nicht schuldenfrei.

Mit 12, 13 Jahren sind Sie mal ausgerissen von zu Hause. Wohin zog es Sie?

Wecker Das habe ich auch nach intensiver Recherche in meinem Innersten nicht herausgefunden.

Das Elternhaus, so liest man, kann es wohl nicht gewesen sein, was Sie rausgetrieben hat?

Wecker Nein. Ich habe meine Eltern sehr bewundert. Natürlich war meine Mama etwas streng. Vielleicht bin ich auch vor dem geflohen, aber ich hatte großes Glück mit meinem Elternhaus. Trotzdem zog es mich fort. Ich wollte als freier Dichter leben.

„Ich sing für alle, die mit mir noch auf der Suche sind nach einer Welt, die es vielleicht nie geben kann“, heißt es in einem Lied. Wenn Sie also schon nicht auf der Flucht sind, dann zumindest auf der Suche – nach was?

Wecker Die Menschen sind doch alle auf der Suche: nach Glück, nach einem Sinn. Es ist eine mystische Suche, die Suche nach Gott. Es gibt so viele Namen und Worte dafür. Aber auf der Suche sind wir alle. Man muss doch sehr abgestumpft sein zu behaupten, man sei am Ziel angekommen.

„Es gibt kein Leben ohne Tod“, haben Sie über Ihre Drogenabhängigkeit gesagt. Ist Ihre jetzt so hohe Produktivität das Ergebnis neuen Lebens?

Wecker Ich war früher nicht weniger produktiv. Natürlich gibt es solche Einschnitte im Leben. Ich habe oft versucht, die Kunst des Scheiterns zu beschreiben, dass solche Niederlagen im Leben eine große Chance sind, um wieder mehr in sich zu entdecken.

Die neue CD, die im September erscheint, heißt „Wut und Zärtlichkeit“. Geht es um solche Dinge?

Wecker „Zwischen Zärtlichkeit und Wut, fasse ich zum Leben Mut“, habe ich geschrieben. Es gehört beides zusammen. Auf der CD sind sarkastische Lieder und solche, die man Liebesliedern zuordnen kann, aber auch politische.

Sie engagieren sich immer noch gegen Nazis, gegen Atomkraft, gegen Krieg, gegen Stuttgart 21. Haben Sie mit 64 nicht langsam genug vom ewigen Protest?

Wecker Na ja, wenn der Zustand der Welt ein anderer wäre, dann würde ich gerne aufs Protestieren verzichten. Wir befinden uns heute in einer Finanzwirtschaft, die alles bestimmt, den Weg von Politikern entscheiden kann. Solange man hellwach ist, sollte man seinen Mund aufmachen. Für Künstler besteht dazu auch eine gewisse Verpflichtung.

„Die Dagegen-Republik“ titelte der Spiegel unlängst. Das Volk der Widerborste kämpfe gegen die Projekte von Politikern. Sie müssen sich pudelwohl fühlen. Ist es zurzeit wieder in, dagegen zu sein?

Wecker Wie sagte Stephane Hessel so schön …

… der frühere französische Widerstandskämpfer …

Wecker „Protest ist ein Grundbedürfnis und Grundrecht des Menschen.“

Es scheint ja Ihre Zeit zu sein. Die Zeit der Weckers und Waders. Sie bespielen große Hallen, die fast überall ausverkauft sind. Sie treffen offensichtlich den richtigen Ton. Oder was ist es, das das Publikum anzieht?

Wecker Ich hatte schon immer mein Stammpublikum. Sie dürfen nicht vergessen, dass es mich schon seit fast 40 Jahren als Künstler gibt. Ich habe ein sehr treues Publikum, das mit mir älter wird. Und dann gibt es immer wieder Phasen, wo man etwas mehr out ist oder mehr in.

Aber es scheint doch ein Bedürfnis nach politischen Aussagen, nach politischen Liedern zu geben.

Wecker Ja, langsam fällt es auf, dass der Hannes und ich sehr geradlinig geblieben sind. Wir haben uns nicht verbiegen lassen. Vor fünf, sechs Jahren bin ich noch als unverbesserlicher Alt-68er beschimpft worden. Heute wendet sich das, und man sagt: Das sind doch die, die aufrecht geblieben und nicht den Weg von Schröder und Fischer gegangen sind.

Andererseits sind die alten Lager von Links, Bürgerliche, Rechts doch völlig verschwommen.

Wecker Das stimmt. Das sieht man ja bei Stuttgart 21. Der Protest dort hat nichts mehr zu tun mit den üblichen Verdächtigen.

Gibt es das überhaupt noch, linke Ansichten, eine linke Grundhaltung?

Wecker Ja, schon. Dieter Hildebrand sagt immer, das sind die, die mehr soziale Gerechtigkeit wollen. Ich persönlich hatte gerade mit den linken Kadergruppen immer viel Ärger. Mit den ideologischen Marxisten, Stalinisten, Trotzkisten. Alle wollten mich vereinnahmen. Aber ich hatte mit denen nichts am Hut.

Im Gegensatz zu Wader, der Mitglied der DKP war, haben Sie sich nie eindeutig zu einer Partei bekannt. Warum?

Wecker Ich habe mich immer mehr dem Anarcho-Lager zugehörig gefühlt.

Glauben Sie wirklich, Menschen können ohne Herrschaftsverhältnisse auskommen?

Wecker Das ist meine Utopie. Ich denke da wie Arno Gruen, der Schweizer Psychoanalytiker, der sagt, dass der Mensch eigentlich ein mitfühlendes Wesen ist. Dass er kein Wesen ist, das eine starke Hand und eine Herrschaft braucht. Ja, ich glaube an diese Utopie.

Ich darf ein Lied von Ihnen zitieren: „Einen braucht der Mensch zum Treten“.

Wecker Damit will ich sagen, dass genau dieses den Grund liefert, eine Utopie zu haben. Ich hätte ohne meine herrschaftsfreie Utopie dieses Lied gar nicht geschrieben. Ein höchst sarkastisches Lied.

Sie singen nicht immer politisch. Im Gegenteil. Gefühlt haben Sie mehr Lieder über die Liebe und den Tod, das Leben und das Leiden geschrieben, oder?

Wecker Da haben Sie sehr Recht. 80 Prozent beschäftigen sich mit Liebe. Eigentlich sind doch alle Gedichte Liebeslieder, auch die politischen. Weil sie aus einer verzweifelten Liebe heraus geschrieben wurden, weil man denkt, es geht nicht so liebevoll zu in der Welt, wie man es gerne hätte. Es ist der Urtrieb des Poeten, über die Liebe zu schreiben.

Haben Sie den Blues? Oder ist es der Weltschmerz?

Wecker Ich habe überhaupt nicht den Weltschmerz. Man soll jemandem, der sich engagiert, nicht unterstellen, er hätte den Weltschmerz. Im Gegenteil. Widerstand macht richtig Spaß.

Hält das jung?

Wecker Das weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass die Bühne ein Ort der Alterslosigkeit ist.

„Alter ist eine Katastrophe“, heißt es in Ihrer Biografie. Bitte, machen Sie mir Mut!

Wecker Diesen Satz würde ich heute nicht mehr schreiben. Als ich meinen 60. Geburtstag hatte, hatte ich eine schwere Krise. Wegen dieser blöden 6. Es gibt vieles, was katastrophal ist am Alter. Keine Frage. Aber auch vieles in der Pubertät ist katastrophal.

Ihre Tour heißt wie die CD „Kein Ende in Sicht“. Wann ist endgültig Schluss?

Wecker Tja, Hannes sagt immer, man werde ihn irgendwann von der Bühne wegtragen. Ich glaube, mich auch.22