Jazzthing veröffentlicht die nächsten 50 Porträts seiner Reihe „American Jazz Heroes„. Auch in „Volume 2“ vermittelt Arne Reimer wieder ganz hervorragende Eindrücke seiner Besuche bei den Helden des Jazz.
Von Cem Akalin
Odean Pope zieht fürs Foto einen Anzug an, John Hendricks trägt ein purpurnes Samtjackett, und auch Archie Shepp ist wie aus dem Ei gepellt. Billy Hart lehnt gelöst in Jeans und Sweatshirt an seinem Schlagzeug, die Augen entspannt geschlossen. Mickey Roker sieht aus, als würde er grad seinen Keller aufräumen, Sunny Murray, der in Paris in einer kleinen Einzimmerwohnung von Sozialhilfe lebt, trägt Jogginghose und T-Shirt. Die Klamotten könnten eine Spende der Heilsarmee sein. Freddie Redd hat seinen Hut neben sich auf der Mauer liegen und schaut schmerzlich in die Ferne.
Der Fotograf und Musikkritiker Arne Reimer hat sich auf die Reise begeben, um die Helden des amerikanischen Jazz aufzusuchen. Ein Jazzliebhaber auf Hausbesuch sozusagen. Oder auf der Suche nach dem wahren Ausdruck, nach dem, was hinter der Musik steht. Oft ungeschminkt und bodenständig, manchmal erschreckend ernüchternd, eigentlich traurig. Es ist Reimers zweiter Band. Die ersten 50 Besuche waren schon so hingerissen. Der zweite ist es ebenfalls.
Das sind also die Legenden, die wir ehrfurchtsvoll auf den Bühnen erleben, deren Platten wir respektvoll auflegen, manchmal auch mit gewisser Demut und Leidenschaft im Herzen hören? Sehen so die Helden des Jazz aus? „Wenn ich mir meinen Kontostand ansehe, fühle ich mich nicht wie eine Legende“, sagt Charli Persip. Der Schlagzeuger spielte mit den Größten. Mit Dizzy Gillespie und Harry James, mit Phil Woods und Quincy Jones, mit Dinah Washington und Don Ellis. Die Liste würde locker eine Zeitungsspalte füllen.
Und jetzt? Das Foto, das Arne Reimer von ihm gemacht hat, zeigt ihn mit nacktem Oberkörper. Reimer erzählt, wie das Bild entstanden ist. An einem heißen Sommertag in der Wohnung im Norden Manhattans. Der Musiker war gerade beim Fernsehen mit ein paar Kindern, als der Besucher an die Tür klopfte. In der Wohnung sieht es aus, als wäre sie gerade ausgeräumt worden, und nur noch der Schrott liegt herum.
Charlie Persip & the Jazz Statesmen von 1960 war eines seiner Alben, die er als Bandleader aufnahm. Alles mit Musikern, die danach steile Karrieren hinlegten: Trompeter Freddie Hubbard, Saxofonist Roland Alexander, Pianist Ronnie Matthews und Bassist Ron Carter. Die Musik ist im Wesentlichen Bebop mit einigen starken Soli von den Hörnern. Wer durch die Seiten dieses meisterhaften Bandes blättert, holt unweigerlich die alten Alben heraus und vergleicht die Bilder. Auf der alten Platte lehnt der adrette junge Mann noch mit Hoffnung in den Augen lässig auf den Trommeln.
Reimer ist nicht nur Erzähler und Dokumentar, er ist auch sowas wie ein Vertrauter. Sie spielen ihm ihre Lieblingsplatten vor und sprechen von ihren kleinen Zipperlein, sie erzählen von früher, als die Welt des Jazz aus Schwarz-Weiß-Fotos bestand.
Carla Bley und Steve Swallow, das Musikerpaar, lebt in Woodstock in Upstate New York, einer ländlichen Gegend, wo man ein Auto braucht, um seine Nachbarn zu besuchen. Hier leben viele Jazzlegenden. Darunter etwa Pat Metheny oder Jack DeJohnette, man trifft sich im Supermarkt, aber ansonsten komponiert jeder vor sich hin. Und, vertrauen sie Reimer an, Bley und Swallow komponieren auch niemals gemeinsam.
Sonny Rollins lebt auch in Woodstock, in einem Haus am Waldrand. Er erzählt Reimer, dass er umgezogen ist, weil er in dem alten Haus immer kalte Füße hatte. Und dass er mit seinen 83 Jahren nicht mehr so viel Luft in der Lunge hat wie früher. Er schiebt es nicht aufs Alter, sondern auf 9/11. Den Tag des Terrors hat er in seinem Apartment in New York erlebt.
Charles Lloyd empfängt Reimer in seiner „Denkfabrik“ im kalifornischen Big Sur. Er schwelgt in Erinnerungen an Miles Davis, John Coltrane oder Ornette Coleman. Mit dem sei er immer in Streit geraten, weil er fand, dass Coleman nicht Saxofon spielen konnte, worauf Coleman geantwortet habe: „Man kann das Saxofon spielen, aber das Ergebnis muss nicht unbedingt Musik sein.“ Er erwähnt, wie er früher mit der Band auf Hochzeiten gespielt hat und einmal vom Brautvater bezahlt wurde, damit die Band endlich aufhörte, weiter zu spielen.
Archie Shepp – wie er da sitzt in seinem tadellosen beigen Anzug und an der Pfeife zieht, könnte er irgendein französischer Herzog sein. Der Saxofonist lebt mit seiner französischen Frau südlich von Paris und ist zornig über Amerika, das die Geschichte der Schwarzen „mit Macht weggewischt hat“. Dabei gehöre die Geschichte der ehemaligen Sklaven zur Kultur des Landes, zum nationalen Erbe, so wie der Jazz. „Früher war ich ein zorniger junger Mann“, sagt er. „Heute bin ich ein zorniger alter Mann.“
Bei aller Trostlosigkeit, bei aller unverhohlenen Wahrheit über die Legenden, die Zerbrechlichkeit, das Menschliche dieser wunderbaren Musiker, die Geschichte geschrieben haben und es immer noch tun, die ihr Leben dem Jazz gewidmet, manche vielleicht sogar geopfert haben, Reimer nähert sich ihnen bei aller Verehrung immer mit Respekt und Würde. Das Buch ist mehr als ein Lexikon der Jazzmusik, es ist eine Liebeserklärung an die Helden des Jazz, die sie immer bleiben werden.
Arne Reimer: American Jazz Heroes Volume 2: Besuche bei 50 Jazz-Legenden
Gebundene Ausgabe: 240 Seiten, Verlag: jazz thing, ISBN-10: 398158581X und ISBN-13: 978-3981585810, 55 Euro. Bestellung: hier.