Von Dylan Cem Akalin
“All I got is what I need/ that’s enough as far as I can see / why should I walk into the great unknown / when I can sit here and throw my bones”… Diese Zeilen aus der ersten Single „Throw My Bones“ bringen es vielleicht auf den Punkt, was wir auf der neuen Deep Purple-Platte „Whoosh!“ erwarten dürfen. Nein, dieses Album wird ganz sicher nicht die Rockszene aufwirbeln wie einst „Machine Head“ oder „Burn“. Natürlich nicht. Aber es ist Deep Purple drin, ziemlich viel kreative Energie und immer noch genug Power, um zu rocken. Und es gibt jede Momente der Überraschung, der positiven Verblüffung über so viel kreative Lust. Ja, ich bin absolut begeistert von dem Album.
Kollektive Gesamtleistung
„Whoosh!“ ist zweifelsohne vielfältiger und energischer als “Infinite”, “Now What?!”, “Rapture of the Deep” und “Bananas”. Und es knüpft tatsächlich an die Songwriterqualitäten aus den 70er Jahren an. Seit fast 20 Jahren ist die Besetzung stabil, und so klingt das Album auch nach kollektiver Gesamtleistung. Die Hardrock-Pioniere setzen auf bewährte Stärken: Ian Gillans robusten, erwachsenen Gesang, das solide Fundament der Rhythmusabteilung von Ian Paice und Roger Glover, Steve Morse‘ erfinderische Virtuosität, die er gleich schon im Opener glanzvoll beweist, und die fetten, schmatzigen Phrasen von Don Aireys Hammond A-100. Überhaupt muss ich sagen, dass mich Aireys Keyboardarbeit wirklich begeistert, weil er einen immer wieder verblüfft – so zum Beispiel bei „The Long Way Round“. Hört Euch mal diese Sounds an, die er da zaubert.
Mit „Drop the Weapon“ eröffnen Deep Purple das Album mit einem funky tänzelnden Rock, der mit scharfen Riffs startet und zu dem sich Steve Morse und Don Airey später ein schönes instrumentales Gefecht liefern. Die Lyrics von „We’re All the Same in the Dark“ zeigen, dass wir es hier mit abgeklärten, reifen Männern zu tun haben, die Frauen als Freund zu schätzen wissen und die paar Kilos auf den Hüften nicht stören. Musikalisch voll auf DP-Linie, auf dem Morse verschiedene Tonalitäten auf der Gitarre erforscht.
Großartige Andersartigkeit
„Nothing At All“ dreht sich auf Zehenspitzen im Walzertempo, zu dem Don später ein kirchen- und spielorgelhaftes Solo beisteuert. Dafür geht „No Need To Shout“ von der ersten Sekunde an in die Vollen, eine Heavy, Blues-R’n’B-Stimmung wie bei Kenny Wayne Shepherd. „Step By Step“ eine großartige Überraschung mit seiner Andersartigkeit und dem Mut, klassische und progrockige Phrasen einzusetzen.
Richtig Spaß macht der Boogie „What The What“, der direkt aus dem Little Richards-Songbook zu stammen scheint. Die Texte erzählen die betrunkenen Geschichten von „Long Tall Sally und Short Fat Dave“ mit einer gehörigen Portion Selbstironie: „So bad, I been so bad, I been so bad/What the what happened to you last night?/Every bar in London had an old Joanna/And cats who could play rock and roll piano/No-one cared a few teeth gone missing/Everybody got up to sing…“ Fantastisch!
Wie schon erwähnt, steuert „The Long Way Round“ in abenteuerliche Gewässer, auch wenn die Grundstruktur im diesseitigen Rockhimmel geerdet ist, aber instrumental zieht die Band immer mehr ab in ferne Galaxien. Da passt auch durchaus die Nachbarschaft zum nächsten Song: „The Power of the Moon“ ist ein Track, der es schafft, das Markenzeichen Purple mit zeitgenössischen Einflüssen zu kombinieren. Der Song hat gleichzeitig eine Vielschichtigkeit, die von den Arpeggienarbeit von Morse aber in völliger Transparenz gehalten wird. Müssen wir über Steve Morse reden? Der Mann, der merkwürdigerweise bei vielen DP-Fans immer noch im Schatten von Richie Blackmore steht, ist ein filigraner, abwechslungsreicher Virtuose mit sagenhaften Soundgefühlen.
Und, ja, ich bin ein Ian Gillan-Fan. Auch wenn er heute vielleicht nicht mehr „Child in Time“ singen kann wie vor Dekaden, hat der Mann immer noch eine feste Rockstimme, die immer auf den Punkt ist.
Ähnlich abgespacet geht es auf dem Album weiter: „Remission Possible“ mit „Man Alive“ ist ja wohl sensationell mit seinen Wendungen und krummen Linien zu Beginn. Und wenn dann der Break mit der entrückten Orgel und den halligen Gitarren kommt, denkt man, jetzt geht es voll in die 70er-Jahre-Prog/Art-Rockrichtung. Strings, noch mehr Space-Sounds, und der Spannungsbogen trägt uns zurück in die Hardrockwelt der Purple. Ein wunderbarer Sprechpart von Ian, Sounds jagen kreuz und quer durch unser Hirn, bis Morse uns wieder mitnimmt auf seinem fliegenden Teppich, den er aus hauchzarten Gitarrenlinien knüpft. „Man Alive“ zeigt, welches Genie in Bob Ezrin stecken muss, dass er Ian Gillan, Steve Morse, Roger Glover, Ian Paice und Don Airey noch so etwas Neues aus sich herausholen lässt. Ist das nicht wunderschön, dass eine Band selbst nach 52 Jahren immer noch eine gewisse Verspieltheit in sich spürt?
Das Album endet mit dem instrumentalen „And the Address“ und einem seltsam elektronisch beeinflussten „Dancing in my Sleep“. Das ist interessant, dass die Band das Instrumentalstück „And The Address“ auf das Album nehmen. Die Komposition gilt als der allererste Song der Band und wurde von Ritchie Blackmore und Jon Lord noch vor der Gründung der Gruppe geschrieben. Das hat etwas von einem geschlossenen Kreis. Keine Ahnung, ob die Band damit signalisieren wollen, dass „Whoosh!“ das letzte Album der Band für alle Zeiten sein wird. Ich hoffe nicht, denn wenn noch so viel Gewalt, Verlangen nach Ausdruck und kreative Entschlossenheit in der Band stecken, dann ist das Buch Deep Purple noch nicht geschlossen.