Von Dylan Akalin
Mit „Luck and Strange“ präsentiert David Gilmour, die kreative Seele hinter der unverkennbaren Gitarrenarbeit von Pink Floyd, sein erstes Soloalbum seit neun Jahren. Auf den ersten Blick scheint alles wie erwartet: atmosphärische Gitarrenklänge, melancholische Melodien und der subtile, fast sakrale Stil, der ihn seit Jahrzehnten begleitet. Doch dieses Album ist mehr als nur eine nostalgische Rückkehr zu alten Erfolgen – es ist ein intimes, tiefgründiges Werk, das den Hörer in die Seelenlandschaften Gilmours entführt.
Das persönliche Vermächtnis eines Musikgenies
Schon beim ersten Hören wird klar: „Luck and Strange“ ist ein familiäres Werk. David Gilmour hat nicht nur seine engsten musikalischen Gefährten an Bord geholt, sondern auch seine Familie – und das spürt man in jeder Note. Polly Samson, Gilmours Ehefrau und gefeierte Schriftstellerin, hat erneut die lyrischen Fäden gezogen und damit dem Album eine erzählerische Tiefe verliehen, die über das rein Musikalische hinausgeht. Besonders beeindruckend ist dabei die Entstehungsgeschichte des Textes zu „Sings“, das ursprünglich ein Gedicht war, welches Samson Gilmour zu einem Hochzeitstag widmete. Auch Tochter Romany und die Söhne Gabriel und Charlie tragen mit ihrer musikalischen Beteiligung zu diesem familiären Ensemble bei, das „Luck and Strange“ zu einer Art klanglichem Familientreffen macht.
Diese intime Atmosphäre strahlt das gesamte Album aus. Es ist das Werk eines Musikers, der sich in die Geborgenheit seiner nächsten Umgebung zurückgezogen hat, um Kunst zu schaffen. Diese Geborgenheit ist spürbar, sie durchzieht die Arrangements und Songstrukturen, die oftmals zurückhaltender und weniger monumental daherkommen als es die Alben von Pink Floyd taten.
Der Sound von „Luck and Strange“: Altbewährtes und Überraschendes
Musikalisch schlägt „Luck and Strange“ die Brücke zwischen Gilmours unverwechselbarem Gitarrenspiel und einem neuen, frischen Ansatz, den der Produzent Charlie Andrew – bekannt durch seine Arbeit mit Alt-J – ins Album brachte. In „Scattered“ etwa breitet sich nach einer anfänglichen Zurückhaltung ein Gitarrensolo aus, das in seiner Emotionalität direkt an Gilmours Meisterwerke wie „Comfortably Numb“ erinnert. Es sind diese Momente, in denen seine ganze Virtuosität aufblitzt: ein Klang, der wie eine sanfte Erzählung wirkt, der mehr durch Andeutung als durch Technik fasziniert. Gilmour erzeugt mit jeder Saite eine Geschichte, die den Hörer auf eine Reise in innere Welten mitnimmt.
Doch „Luck and Strange“ wäre nicht Gilmour, wenn es bei der reinen Nostalgie bleiben würde. Die Zusammenarbeit mit Andrew verleiht dem Album eine feinsinnige Modernität, die den Unterschied zu seinen früheren Werken deutlich macht. Besonders der Einsatz britischer Folkelemente, die in Songs wie „Yes, I Have Ghosts“ und „Piper’s Call“ auftauchen, zeigt eine neue Facette Gilmours. Man kann fast den Nebel über den britischen Wiesen spüren, während die mystischen Klänge der Harfe oder eine zart gezupfte Laute erklingen. Diese Mischung aus traditionellem britischen Folk und Gilmours charakteristischem Gitarrenstil schafft eine Atmosphäre, die an die frühen Werke von Kate Bush erinnert, einer Künstlerin, deren Karriere Gilmour maßgeblich mit beeinflusste.
Das Erhabene und das Persönliche in Gilmours Schaffen
„Luck and Strange“ ist nicht nur ein musikalisches Werk, es ist ein persönliches Statement. David Gilmour hat sich in den vergangenen Jahren immer wieder mit seiner eigenen Geschichte, insbesondere mit der seines ehemaligen Bandkollegen Roger Waters, auseinandersetzen müssen. Dieses neue Album steht in gewisser Weise als Abschluss dieser jahrzehntelangen Auseinandersetzung. Während Gilmour vor kurzem gegenüber dem Rolling Stone äußerte, dass er den Pink-Floyd-Katalog am liebsten abstoßen würde, um sich von dieser Last zu befreien, wirkt „Luck and Strange“ wie eine endgültige Emanzipation von dieser Vergangenheit.
Gilmour schafft es, auf diesem Album die Erhabenheit seiner früheren Werke mit einer neuen Leichtigkeit zu verbinden. Titel wie „Vita Brevis“ („Das Leben ist kurz“) zeigen eine nachdenkliche, aber gleichzeitig optimistische Seite des Musikers, der sich offenbar mit dem Lauf der Zeit und den unaufhaltsamen Veränderungen des Lebens abgefunden hat. Es ist diese Dualität – das Erhabene und das Intime – die „Luck and Strange“ zu einem herausragenden Werk in Gilmours Solo-Diskografie macht.
Die Produktion: Alt und neu im Einklang
Ein weiteres bemerkenswertes Element des Albums ist die Balance zwischen der altbewährten Klangästhetik und den modernen Einflüssen. Der Einsatz von Richard Wrights Keyboard-Parts, die vor dessen Tod im Jahr 2008 aufgenommen wurden, schafft eine besondere emotionale Tiefe. Gilmour hat hier geschickt den Bogen zur Vergangenheit gespannt, ohne sich darin zu verlieren. Diese Momente des Innehaltens und Erinnerns werden ergänzt durch die frische Handschrift von Charlie Andrew, dessen junges, unverbrauchtes Ohr dem Album eine moderne Dynamik verleiht, ohne den klassischen Gilmour-Sound zu verfremden.
Aufgenommen wurde das Album in den British Grove Studios von Mark Knopfler sowie auf Gilmours legendärem Hausboot in London. Diese Mischung aus persönlicher und professioneller Umgebung trägt entscheidend dazu bei, dass „Luck and Strange“ so authentisch klingt, als wäre es eine intime Einladung in Gilmours Welt.
Ein Triumph über die Zeit
David Gilmours „Luck and Strange“ ist mehr als nur ein Album eines alternden Rockstars. Es ist eine Reflexion über das Leben, die Familie und die Musik. Ein Werk, das die Brücke schlägt zwischen den Epochen der Rockmusik und den feinen Klangwelten des britischen Folklore-Mythos. In einer Zeit, in der so viele Künstler versuchen, sich dem Zeitgeist anzupassen, bleibt Gilmour sich und seinen Wurzeln treu – und zeigt, dass wahre Kunst zeitlos ist.
Dieses Album ist nicht nur ein Rückblick, sondern ein Aufbruch in neue, vielleicht ruhigere, aber ebenso faszinierende Welten. Für alle, die Gilmours Musik lieben, ist „Luck and Strange“ ein Geschenk. Für jene, die seine Solo-Werke bisher vernachlässigt haben, ist es eine Einladung, sich auf eine Reise zu begeben, die weit über die Sphären von Pink Floyd hinausgeht – und doch tief in ihnen verwurzelt bleibt.