Craig Armstrong ist für seine Filmmusiken bekannt, jetzt bringt er eine Platte mit „Nocturnes – Music for 2 Pianos“ heraus

Craig Armstrong FOTO: Simon Murphy

Es gibt unterschiedliche Arten, mit der pandemiebedingten Zurückgezogenheit umzugehen. Der wunderbare Saxofonist Chris Potter hat mit „There Is A Tide“ ein Album aufgenommen, auf dem er sämtliche Instrumente spielte. Die fabelhafte Norah Jones hat uns über Facebook Lieder an ihrem heimischen Klavier gesungen. Craig Armstrong hat die Langsamkeit entdeckt. Der schottische Pianist, der vor allem als preisgekrönter Filmmusikkomponist bekannt ist, hat 14 teils verträumte, teils abstrakt-entrückte elegische Stücke aufgenommen: „Nocturnes – Music for 2 Pianos“.

Von Dylan Cem Akalin

Der Titel „Nocturnes – Music for 2 Pianos“ der Platte von Craig Armstrong passt sehr gut. Man lässt sich am besten in der Ruhe der Nacht oder an einem verregneten, grauen Nachmittag auf das Album ein. Man darf Armstrong sicherlich unterstellen, dass er John Fields „18 Nocturnes“ kennt und sie sich als entferntes Vorbild genommen hat.

Der Künstler selbst sagt: „Durch den Lockdown kam ich nie dazu, tagsüber zu schreiben, sodass alle 14 Tracks zwischen 21 Uhr und der Morgendämmerung entstanden sind. Ich folgte diesem Ablauf, und nur meine Tochter war ab und zu wach, um mir etwas Gesellschaft zu leisten. Es herrschte eine wirklich seltsame Atmosphäre während dieses ersten Lockdowns: Wenn ich normalerweise gegen 23 Uhr spazieren gehe, ist es für gewöhnlich sehr ruhig – nun war die Zeit geprägt von vorbeifahrenden Krankenwagen. Zurück in meinem Studio im Keller arbeitete ich die ganze Nacht hindurch, schrieb vier Tracks, ließ sie für eine Weile ruhen, und wenn ich die Arbeit dann wiederaufnahm, wurde mir bewusst, dass es die Musik war, die es mir ermöglichte, alles andere für eine Weile gänzlich zu vergessen. In gewisser Weise habe ich das Album also eher für mich geschrieben – als eine Art Flucht – und je weiter der Prozess fortschritt, desto mehr dachte ich, dass es vielleicht auch anderen Menschen Trost spenden könnte.“

Der Pianist präsentiert sich überzeugend gefühlvoll für gedankenverlorene Episoden und ist klug genug, zwischen Höhepunkten vereinzelter Phrasen, in denen er bisweilen einen starken Ton bevorzugt, auch mal melodische, an Soundtracks erinnernde kleine Stücke einzubauen. Die Stile der kurzen Kompositionen wechseln durchaus, mal von glattem und eher femininem Spiel zu zarten Assoziationen bis hin zu offen ausdrucksstarken Nocturnes. Bei den einfacheren Stücken zeigt Armstrong eine große Vorstellungskraft, auch wenn seine Dynamik eher mutig ist. Eines sind Armstrongs 14 Stücke glücklicherweise nicht: dekorativ.

Über Craig Armstrong

Craig Armstrong ist ein in Schottland geborener Komponist, dessen einzigartiger Stil durch seine Orchesterstücke, die Verwendung elektronischer Elemente und vielseitige künstlerische Kollaborationen im Bereich der klassischen Musik und Filmmusik weltweit höchste Anerkennung gefunden hat. Er studierte an der Royal Academy Of Music unter Größen wie Cornelius Cardew, Paul Patterson oder auch Malcolm MacDonald und hat eine Herangehensweise entwickelt, die es ihm ermöglicht, feinste Veränderungen der Atmosphäre und Gefühlsebene hervorzurufen.
 
Armstrong hat ein überaus beeindruckendes Repertoire sowohl an klassischer als auch populärer Musik aufgebaut und sich dabei verschiedenster Einflüsse aus  Klassik, Jazz, Pop und experimenteller Musik bedient. Mit „The Edge Of The Sea” veröffentlichte er sein erstes Album nach Vertragsunterzeichnung beim neu gegründeten Label Modern Recordings (BMG Deutschland). Es ist eine wunderschöne Hommage an die für die Westküste Schottlands typischen gälischen Psalmengesänge und Höhepunkt eines sich über mehrere Jahre erstreckenden kreativen Prozesses. In enger Zusammenarbeit mit dem hebridischen Komponisten Calum Martin und dem innovativen Scottish Ensemble entstanden einzigartige Aufnahmen der traditionell a capella gesungenen gälischen Psalmen.
 
Die von Armstrong für frühere Recordings gestartete und mittlerweile viele Jahre anhaltende Kollaboration mit Massive Attack auf deren zukunftsweisenden Alben erwies sich als äußerst fruchtbar. Armstrongs erste Soloalben “The Space Between Us” und “As If To Nothing” erschienen sogar auf dem Label von Massive Attack Melankolic (Virgin Records). Es folgten die atemberaubenden und puristischen „Piano Works“ und „Piano Works: The Film“, die 2004 auf Sanctuary veröffentlicht wurden, der Longplayer „Memory Takes My Hand“ mit der Geigerin Clio Gould und dem BBC Symphony Orchestra (2008) – erschienen bei EMI Classics – und das im Zusammenwirken mit Paul Buchanan und Vladislav Delay entstandene Soloalbum „It’s Nearly Tomorrow“ (2014) via BMG Chrysalis. Decca veröffentlichte 2016 mit „The Lost Song’s Of St. Kilda“ unter weltweit stürmischen Beifall ein Sonderprojekt, welches CraigsOriginalkompositionen „Stac Lee Dawn“ und „Dusk“ enthielt, die von den wiederentdeckten Original-Klavierwerken St. Kilda inspiriert wurden. Armstrongs jüngstes Soloalbum „Sun On You“ – ein in erneuter Zusammenarbeit mit dem Scottish Ensemble entstandenes Album für Streicher und Klavier – erschien 2018 bei Decca Records.

Unter den zahllosen von ihm komponierten Konzertwerken befinden sich auch jene für das Royal Scottish National Orchestra, das Hebrides Ensemble, Cappella Nova und wie schon erwähnt das Scottish Ensemble. „Visconti“ – ein Auftragswerk der Londoner Sinfonietta und des Barbican – wurde 2002 beim Stockhausen Festival uraufgeführt und ist eine Hommage sowohl an den Filmregisseur Luchino Visconti als auch an den Komponisten Gustav Mahler. Das Violinkonzert „Immer“ für die Violinistin Clio Gould wurde von Virgin Classics aufgenommen und 2008 beim Saint Denis Festival in Paris uraufgeführt. Armstrongs zweiter Kompositionsauftrag der Scottish Opera, „The Lady From The Sea“, feierte seine Premiere 2012 beim Edinburgh International Festival und gewann den Herald Angel Award. Für einen aktuellen Auftrag des Union Chapel’s Organ Reframed Festivals komponierte Armstrong das wunderschöne „Painted In White“ für Orgel und Streicher, das vom London Contemporary Orchestra dargeboten wurde.
 
Armstrong genießt hohes Ansehen und einen weltweit anerkannten Ruf als Komponist preisgekrönter Filmmusik. So komponierte er Scores sowohl für Hollywood- als auch für Independent-Filme – angefangen bei Peter Mullans Regiedebüt „The Close Trilogy“ bis hin zu den BAFTA-, Ivor Novello- und Golden Globe-prämierten Scores für Baz Lurhmanns „Romeo und Julia“ oder auch „Moulin Rouge“. Viele weitere Filme und Blockbuster haben sich Armstrongs Repertoire bedient – darunter „The Quiet American“, „Orphans“, „Love Actually“, „World Trade Centre“, „Elizabeth: The Golden Age“ und „Far From The Madding Crowd“. Armstrongs Filmmusik für „Ray!“, das unter der Regie von Taylor Hackford entstand, wurde mit einem GRAMMY für die Originalmusik ausgezeichnet. 

Craig Armstrong FOTO: Simon Murphy

Die langjährige künstlerische Beziehung Armstrongs sowohl zu Mullan als auch zu Lurhmann setzt sich bis heute erfolgreich fort und führte zu der Kollaboration für Peter Mullans preisgekrönten Film „Neds“ und der für den GRAMMY-nominierten Filmmusik zu „The Great Gatsby“ für Baz Lurhmann.
Auch mit Oliver Stone pflegt Armstrong eine langjähriger Zusammenarbeit – angefangen beim bereits erwähnten „World Trade Centre“ bis hin zur jüngsten Arbeit an Stones Bio-Pic „Snowden“.
Im Jahr 2018 fand Armstrongs Arbeit an dem von den Kritikern hochgelobten „Mrs. Lowry and Son“ unter der Regie von Adrian Noble zu einem krönenden Abschluss. Des Weiteren hat Armstrong mit dem Regisseur Giuseppe Capotondi für den Film „The Burnt Orange Heresy“ zusammengearbeitet, der 2020 in die Kinos kam. 2019 gab es eine kreative Wiedervereinigung mit der Regisseurin Thea Sharrock („Me Before You“) und ihren neuen Disney-Spielfilm „The One And Only Ivan“, der im Herbst 2020 veröffentlicht wurde.  
 
Craig Armstrong arbeitet hauptsächlich von seinem Studio in Glasgow aus und ist nach wie vor für Projekte in der ganzen Welt als Komponist tätig. Im Jahr 2010 nahm er im Palace of Holyroodhouse den Ritterorden OBE („The Most Excellent Order of the British Empire“) für seinen herausragenden Beitrag zur Musik entgegen. 2016 erhielt er von der American Society of Composers Authors and Publishers (ASCAP) den Henry Mancini Award.
 
Weitere Informationen unter:
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https://www.youtube.com/c/CraigArmstrongOfficial/
https://de.wikipedia.org/wiki/Craig_Armstrong