Natürlich wurde Leslie West schmerzlich vermisst. Der Gitarrist und Sänger von Mountain tritt seit einigen Jahren nur noch in der New Yorker Region auf – weil er wegen der Beinamputation aufgrund seiner schweren Diabeteskrankheit nicht mehr reist. Und dennoch: Corky Laing’s Mountain mit Phil Baker an der Gitarre und Joe Venti (Bass und Gesang) haben die Fans in der Bonner Harmonie glänzend unterhalten.
Allerdings wird das Konzert wohl in die Bandgeschichte eingehen. „Mississippi Queen“ in drei Minuten? „Nantucket Sleighride“ in einer Acht-Minuten-Fassung? Auf dem genialen Live-Album „Twin Peaks“ (1974) füllt es zwei Plattenseiten, auf „Mountain live – The Road Goes Ever On“ immerhin 17:38 Minuten! So lange hätte man es zwar nicht sein müssen, aber ein wenig mehr Ausdauer konnte man von dem Trio schon erwarten.
Als Opener wählte die Band „Silver Paper“ mit dem tänzelnden, eingängigen Gitarrenriff. Und das ging auch gut los. Laing spielt ja immer noch ein sehr kraftvolles Schlagwerk, manchmal vielleicht ein wenig zu dominant. So überlagernd, dass man die Gitarre kaum hörte, wenn man nicht direkt vor Baker stand. Das änderte sich dann später am Abend. Die virtuosen Linien von Phil Baker kamen sehr schön zur Geltung. Laing könnte dem Gitarristen ruhig ein wenig mehr Raum geben. Auch das Mikro von Joe Venti wurde endlich aufgedreht. Ventis brüchige, an Jack Bruce anknüpfende Stimme passte im Grunde sehr gut zu Mountain.
Und doch blieb häufig von der eigentlich ziemlich harten Rockstimmung bei Stücken wie etwa „Never in My Live“ oder „Don’t Look Around“ nicht viel übrig. Es fehlte etwas von der ungetrübten, unbändigen Dynamik, die aus Mountain mal Vorreiter des Metal gemacht hatte. Man muss sich einfach mal Aufnahmen von „Mississippi Queen“ oder anderen Stücken mit Leslie West anhören. Das ist Wildheit, roher Hardrock, ein einziger musikalischer Ausbruch. Trotzdem war das Publikum zufrieden, wenn das Trio Creams „Sunshine Of Your Love“ spielte oder „For Yasgur’s Farm“, eine Hommage an Woodstock.
Eine wirklich schöne Version lieferte die Truppe, die geradewegs auch als Piraten in „Fluch der Karibik“ durchgehen konnte, mit „Theme from an Imaginary Western.“ Das Stück, geschrieben von Jack Bruce und Pete Brown, haben ja auch schon Colosseum oder Greenslade gespielt, ist einfach ein Muss auf der Setlist von Mountain.
Alles in allem war das Trio in guter Spiellaune. Vor allem Drummer Laing war in glänzender Verfassung und gab so manch komische Geschichte zum Besten. Besonders amüsierte den 68-Jährigen, dass er unter anderem zwei Goldene Schallplatten an der Wand hängen hat, auf denen er eigentlich gar nicht mitgespielt hat, nämlich für die Aufnahmen beim Woodstock-Festival 1969 von Mountain und Ten Years After. Tatsächlich spielte auf dem legendären Festival noch Norman Smart (ehemals von Barry & the Remains) bei Mountain, wurde aber unmittelbar nach dem Festival durch Corky Laing ersetzt, der als Roadie für die Band arbeitete. Er stellte sich auch heraus, dass Laing seinem Vorgänger weit überlegen war. Und Laing blieb. Zwischendurch machte er mit West, Bruce & Laing im furiosen Trio weiter. Übrigens war der Auftritt der stark von Cream beeinflussten Heavy Blues Rock-Band am 16. August 1969 erst der vierte Gig der Band.
Und wieso Laing die Auszeichnung für die Ten Years After-Aufnahme erhielt? Alvin Lees Band hatte beim Woodstock-Auftritt extreme Probleme mit dem Sound. Teile der Aufnahmen mussten später im Studio neu eingespielt werden, auch die Drums, an denen eigentlich Ric Lee saß. Da Laing zwischendurch auch für Ten Years After die Stöcke wirbelte, ging man davon aus, dass er das Schlagzeug eingespielt hatte – hatte er aber nicht. Wer es war, ist, soweit ich weiß, nach wie vor unbekannt.
Ein schönes Zwischenspiel gab Laing mit seinem Drumsolo mit den gesprochenen Worten von Bob Dylans „Like A Rolling Stone“ – fast schon ein Stück bizarres Rocktheater. Als Zugabe gab`s „The Doctor“ mit den so passenden wie auch irgendwie melancholischen Zeilen: „Don’t you send for the doctor ‚cause I’m dyin‘ the blues/I got nothin‘ to live for and nothin‘ to lose”. Ein sehr schöner Abend in geradezu intimer, freundschaftlicher Atmosphäre ging damit nach gut anderthalb Stunden zu Ende. (Cem Akalin)