
Von Dylan C. Akalin
Was für ein Intro. Das E-Piano klingt mehr nach Fusionjazz als nach Blues, der Bass wummert ziemlich rockig mit funky Einlagen, und als Christone „Kingfish“ Ingram die Bühne betritt, da geht es auch ziemlich funky los, bisweilen gibt es Anklänge von Urban Soul. „Kingfish“ trägt eben nicht nur die Tradition des Blues mit sich, sondern haucht ihr mit jeder Note neues Leben ein. Das wird in der ausverkauften Kantine Köln, sein exklusives Deutschlandkonzert, sofort klar. Der gerade 26 Jahre alt gewordene Gitarrist und Sänger beweist an diesem Abend eindrucksvoll, warum er als eines der größten Talente seiner Generation gilt. Seine Setlist ist ein Wechselspiel aus donnernden Riffs, tief empfundenem Schmerz und elektrisierender Energie – ein Abend, der zeigt, dass der Blues alles andere als tot ist.
Ein Auftakt mit Feuer: Midnight Heat & Fresh Out
Der Opener „Midnight Heat“ ist ein energiegeladener Song mit einem groovigen Vibe, der das Gefühl einer heißen, drückenden Nacht einfängt. Kingfishs Gitarrenton: wuchtig, rau, aber niemals unkontrolliert. Gleich zu Beginn demonstrierte er sein Markenzeichen – jene Mischung aus druckvollem Anschlag und feinfühliger Dynamik, die jeden Ton zum Leben erweckt. Das Publikum war sofort gefesselt.

Nahtlos ging es über in „Fresh Out“, einen Song, der von seiner intensiven Zusammenarbeit mit dem legendären Buddy Guy geprägt ist. Hier erklingen schneidende Licks und ein Groove, der den Geist des klassischen Chicago Blues atmet. Seine Stimme – reif, kraftvoll und voller Seele – transportierte die Geschichte des Songs mit verblüffender Intensität. Der Song beschreibt das Gefühl, nach einer toxischen Beziehung „frisch raus“ zu sein, aber trotzdem noch mit den Nachwirkungen zu kämpfen. Wie sanft seine Gitarrentöne dahinwehen können, beweist er nach einem Break, begleitet von den Keyboards, die erst nach Harmonika, dann nach Kirchenorgel klingen.

Überhaupt ist seine Begleitband einfach fantastisch! Deshawn ‚D-Vibes‘ Alexander an den Keyboards hat so vielfältige Seiten und Sounds auf Lager, dass er uns immer wieder überrascht und dabei immer selig lächelt. Paul Rogers kann seinen Bass mal melodisch und genreübergreifend
Christopher Black (Drums) ist ganz offensichtlich von einer Vielzahl von Stilen beeinflusst, Hip-Hop, Jazz, Fusion, Metal, Funk. Er kreiert komplexe Grooves, hält aber dennoch den Flow in den Stücken und setzt gekonnt Elemente von Explosivität ein.
Blues mit Tiefgang: Another Life Goes By & Empty Promises
Mit schmatzenden Keyboards und einem Reggae-Rhythmus startet der Song „Another Life Goes By“ taucht Kingfish tiefer in die emotionale Ebene des Abends ein. Der Song, eine Reflexion über Gewalt und soziale Ungerechtigkeit, erhält durch seine ausdrucksstarke Gitarre eine fast schmerzhafte Dringlichkeit, während das Keyboard eine an Stevie Wonder erinnernde Leichtigkeit schafft. Und auch „Kingfish“ lässt sich davon anstecken, sein Solo zum Schluss hätte auch von George Benson sein können.

Mit melancholischer Eleganz erzählt „Kingfish“ bei „Empty Promises“ (eine Nummer von Michael „Iron Man“ Burks) von gebrochenen Versprechen und verlorenen Träumen. Er dachte, er hätte die richtige Frau getroffen, die zu ihm hält bis ans Ende aller Tage, singt er, doch die fünf Töne seines wiederholenden Licks kündigen das Unheil schon an. Die kantige Bluesballade trifft unsere Seelen, die Gitarre schreit und klagt und seufzt, –seine warme, fast resignierte Stimme und das wehmütige Weinen seiner Gitarre erfüllen den Raum. Das Spiel wird wilder, die Triolen schneller, während die Band stoisch den Rhythmus hält.
Groove und Attitüde: Not Gonna Lie & Mississippi Night
In „Not Gonna Lie“ zeigte Kingfish seine Vorliebe für den modernen Bluesrock. Hier mischten sich fetzige Riffs mit funky Elementen, die besonders vom Bass mit knallenden Saiten betont werden, während sein Gesang eine selbstbewusste Attitüde transportiert. Der Song verleiht dem Set eine frische Dynamik und zeigt, dass Kingfish auch im Midtempo groovt wie kaum ein anderer.

„Mississippi Night“ ist eine Liebeserklärung an seine Heimat. Getragen von einem treibenden Beat, transportierte das Stück das nächtliche Flair der Südstaaten – schwüle Luft, flackernde Lichter und die unergründliche Magie des Mississippi-Deltas. Seine Gitarre malt Bilder mit gedämpften Melodiebögen wie getupfte Pinselstriche.
Explosionen des Blues: Hard Times & Rock & Roll
Ziemlich jazzig zeigt sich ‚D-Vibes‘ bei „Hard Times“, das zunächst als leidenschaftliche Hommage an den traditionellen Blues beginnt. „Kingfishs“ Gitarrenspiel ist kantig, direkt, beinahe trotzig – als wollte er sich gegen das Thema des Songs auflehnen. Seine Soli rollten wie ein Gewitter über das Publikum hinweg. Als dann ‚D-Vibes‘ mit seinem Korg Keytar nach vorne zur Bühne tritt und sich die beiden ein virtuoses Instrumentalduell liefern, quittiert es das Publikum mit lautem Applaus.

Stimmungsvoll, emotional und sehr persönlich geht es bei „Rock & Roll“ zu. Der Song von seinem Album „662“ (offenbar nur auf der CD-Version, auf meiner Vinyl ist die Nummer nicht) ist eine Hommage an seine Mutter, Prinzessin Latrell Pride Ingram, die 2019 im Alter von 49 Jahren verstarb. Es beginnt mit einem wunderschönen, kraftvollen Pianointro – und ein Beispiel dafür, warum der Blues immer noch populär ist. Weil er Schmerz erlebbar macht und dennoch von der Sehnsucht nach besseren Tagen erzählt.
Das große Finale: Outside of This Town & 662
Mit „Outside of This Town“ kehrt die Band zu den Wurzeln zurück. Der Song, mit dem er einst seinen Durchbruch feierte, ist auch sowas wie ein Manifest für seinen musikalischen Werdegang. Seine Gitarre erzählte hier von langen Nächten, von harter Arbeit und von der Sehnsucht nach mehr.

Mit „662“, dem Titelsong seines Grammy-gekrönten Albums, setzt „Kingfish“ schließlich einen furiosen Schlusspunkt. Der Titel bezieht sich auf die Telefonvorwahl von Clarksdale, Mississippi – Kingfish‘ Heimatstadt. Der Song handelt vom Aufwachsen dort und der tiefen Verbindung zur Blues-Tradition. Ein mitreißender Mix aus Rock, Soul und tiefem Südstaaten-Blues, der seine Qualitäten als Songwriter und Performer gleichermaßen unterstreicht, eine wunderbare Liebeserklärung an seine Heimat.
Eine Zugabe mit Gänsehaut: Long Distance Woman & Hey Joe
Nach frenetischem Applaus kehrt erst ‚D-Vibes‘ alleine auf die Bühne zurück und spielt ein wunderbares Improvisationsstück zu „Eleanor Rigby“ von den Beatles, das dann überleitet zu „Long Distance Woman“, eine Hymne an den klassischen Slow Blues, in der er sich noch einmal ganz der Gefühlstiefe hingibt. Mit ausgedehnten, fast schon singenden Gitarrenlinien und einem hauchzarten Vibrato lässt er den Schmerz einer unerreichbaren Liebe greifbar werden.

Den krönenden Abschluss bildet „Hey Joe“ – seine Interpretation des Hendrix-Klassikers, der hier weit über eine bloße Coverversion hinausgeht. Kingfish machte sich den Song zu eigen, spielte ihn mit einer fast schon düsteren Intensität und gedrosseltem Tempo, wechselt zwischendurch in einen reggae-Rhythmus und entlockt seiner Gitarre Töne, die irgendwo zwischen Trauer, Wut und Erlösung oszillierten. Christone „Kingfish“ Ingram legt seine Gitarre behutsam auf den Boden, während die Band noch minutenlang weiterspielt und er vom Bühnenrand aus Platten und Tickets signiert.
Der 26-Jährige ist ein außergewöhnlicher Künstler. Christone „Kingfish“ Ingram steht tatsächlich für die Tradition, die Gegenwart und die Zukunft des Blues, wie ein Musikmagazin es mal treffend beschrieben hat. Das Besondere an ihm ist, dass er sich nicht einschränken lässt von den begrenzten Bedingungen des Blues. Und wer ihn live erlebt, der versteht, was er meint mit „Been Here Before“. Seine Großmutter soll es ihm mal gesagt haben, er habe schon mal gelebt. So verrückt es klingt, der Musiker klingt wirklich so, als hätte er die Tradition des Blues schon einmal durchgelebt, und das ist das Besondere an dem jungen Künstler. Das waren jedenfalls intensive 105 Minuten. Ein großartiger Abend!
Platten und CDs gibt es HIER

Setlist Christone „Kingfish“ Ingram in der Kantine Köln:
Midnight Heat
Fresh Out
Another Life Goes By
Empty Promises
Not Gonna Lie
Mississippi Night
Hard Times
Rock & Roll
Outside of This Town
662
ENCORE
Long Distance Woman
Hey Joe



