„Fuck Düsseldorf“, steht auf dem Zettel, den er auf die Klaviertasten legt, und ein Jubel brandet auf. Das Publikum auf dem Roncalliplatz in Köln freut sich am Donnerstagabend aber nicht nur über den Lokalpatriotismus von Chilly Gonzales. Der Maestro, wie üblich im Schlafrock und Pantoffeln auf der Bühne, ist glänzend aufgelegt.
Von Dylan Cem Akalin
Sein Stil ist metrisch und präzise, sein Fingersatz grazil. Wenn sich „Gonzo“ ans Klavier setzt und spielt, dann erinnert er gerne an Persönlichkeiten der Kulturgeschichte. „Treppen“ etwa ist ja an den Anthroposophen Rudolf Steiner gewidmet, „Lost Ostinato“ an Hildegard von Bingen, das Eröffnungsstück „Gogol“ an den russischen Schriftsteller Nikolai Wassiljewitsch Gogol – ein sehr sanfter, an Satie erinnernder Einstieg unter dem mächtigen Kölner Dom. „Pretenderness“ ist eine Hommage an Fanny Mendelssohn, die Komponistin der Romanik. Es ist ein intellektueller Spaß, aus den kurzen Pianostücken herauszuhören, welche Impulse Gonzales aus den Werken und Ideen dieser Persönlichkeiten zieht.
Frei von Unfug
Man muss diese Referenzen jedoch nicht verstehen, um die Musik des Chilly Gonzales zu genießen. Seine Musik ist merkwürdigerweise frei von sardonischem Unfug, auch wenn er das eindringliche abgeflachte Fünftel von Saties Gnossienne Nr. 1 auf „Chico“ bezieht, dann walzt er das nicht aus und lässt sich auch vom wütenden Hundegekläffe aus dem Hintergrund nicht aus der Fassung bringen, verfällt eher in eine Stummfilmmusikcollage. Ja, der Mann erzählt Geschichten und holt dabei nicht selten auch die Hölle hoch aus den Tiefen des Flügelkörpers. Bisweilen erinnert hat seine Musik den sittsamen Charme Edwardianischer Salonmusik.
Und damit wir seine wunderschöne Fingerakrobatik sehen können, hängt über ihn eine megabreite LED-Wand, auf der man seine Darbietungen auf den 88 schwarzen und weißen Tasten verfolgen kann.
Wenn Gonzales Noten „verbiegt“, verwendet er nicht die Slurring-Technik eines Blues-Pianisten, sondern spielt knackige, chromatische Läufe. Seine Kompositionen sind gefüllt mit eleganter Fehlleitung, sanfter Dissonanz und musikalischem Witz.
Als Gäste hatte er neben der Cellistin Stella Le Page und dem Drummer Joe Flory diesmal ein Gesangstrio aus Köln dabei, das er spontan „HardChor“ nennt.
Köln ist seine Heimat
„Dieser Tag ist so wichtig für mich“, sagt er in charmantem Deutsch. Am 1. August 2012 sei er erstmals nach Köln gekommen. „Köln ist wunderbar unprätentiös. Ich fühle mich hier ganz anders, als bislang in meinem Leben. In Köln habe ich auch einen ganz anderen Lebensstil entdeckt, bei dem nicht immer der Musiker Chilly Gonzales im Mittelpunkt steht. Ich habe eine echte emotionale Verbindung zu dieser Stadt entwickelt — sie ist meine Heimat geworden. Köln hat eine besondere Atmosphäre und viele grüne Ecken. Außerdem liegt die Stadt wirklich zentral, man ist von hier sehr schnell in Städten wie London, Paris oder Berlin“, sagte er kürzlich in einem Interview. Und auch jetzt ruft er aus „It’s gonna be my home. This is a Jubiläum. Not bad!“ und spielt „Kopfkino“, bei dem die linke Hand immer wieder wie in einem Slapstick über die rechte springt, während Rechts die Form beibehält. Am Hände flattern seine Hände von den tasten wie Schmetterlinge.
Das Cello steigt bei „Dot“ ein, zunächst mit tiefer Unterstützung, dann spielen sie unisono eine rasante Staccato-Passage, dann verwirbelt Gonzales, der mit bürgerlichem Namen Jason Charles Beck heißt, die Linien in den höchsten Lagen zu einem Strudel, der plötzlich verebbt.
Gonzo, der Dauerkomponist
Ja, Bach, natürlich liebt er den Meister, der eins für „reiche Arschlöcher Auftragsarbeiten schrieb“. Er spielt kurz das Präludium aus dem Wohltemperierten Klavier an, das ja fast vollständig aus Arpeggien im 4/4-Takt besteht. „Ich bin ein Dauerkomponist“, hatte er kurz zuvor ausgerufen. Und Bach? „Hat Bach auf Gott gewartet? Fuck, no!“ Er bewegt die Hände ein wenig nach rechts, spielt das nächste Arpeggio und nennt es den „Bach-Trick“, den bis heute viele Komponisten anwendeten. Sogar „Cobain, K.“ habe so „Smells Like Teenspirit“ von Nirvana gespielt. Oder „Spears, B.“ ihr Stück „Baby One More Time“. Und tatsächlich. Die beiden Stücke harmonieren fantastisch miteinander. Während Nirvana intoniert, spielt die Cellistin Britney Spears. Ein großer Spaß.
Der Mann hat keine Berührungspunkte. Das ist es auch, was die Fans so an ihm lieben (neben seiner Fingerfertigkeit“. Pop, Rap, Blues, Soul, Rock und elektronische Musik nutzt er als dynamische und lebendige Genres, um sie in einen neuen Context zu einer eigenen Geschichte zu machen. „Musik muss lebendig und flexibel sein, das macht sie auch für junge Leute attraktiv“, hat er mal gesagt. Und dass er auch begeistert von gutem Rap ist, beweist er auch an diesem Abend. Gonzales ist einer, der die Klassik aus seinem Museum befreit. Ein wunderbarer Abend, den er mit einem „Singalong“ beendet, obwohl er ja wisse, dass Deutsche nicht so gerne in Gruppen singen – „wenn sie nüchtern sind“. Mit einem „Thank you, Kölle“ und einer Tanzparty, zu der er das Publikum an die Bühne heranruft. beschließt er einen wunderbaren Abend.