Ein ganz großartiger Abend mit Carl Carlton in der Bonner Harmonie:
Von Dylan Cem Akalin
Es ist dunkel auf der Bühne, als die afrikanischen Trommeln und eine raue, heisere Stimme einsetzen: „I was born in a bunk/Mama died and my daddy got drunk“, beginnt einer der bekanntesten Songs von Eric Burden. „Left me here to die alone/In the middle of Tobacco Road”.
Der Start eines wunderbaren Abends mit Carl Carlton in der Bonner Harmonie. „Songs & Stories – From Tobacco Road to Graceland”, heißt seine aktuelle Tour, nachdem er im Vorjahr Geschichte aus “Woodstock & Wonderland“ erzählt hat. „Ein Großer hat uns letzte Nacht verlassen“, sagt Carlton und meinte natürlich Chuck Berry. Und dann kommt selbstredend ein Stück des alten Meisters: „Sweet Little Rock And Roller“.
„Willkommen in meinem Wohnzimmer“, sagt der fast zwei Meter große sympathische Sänger und Gitarrist, der aussieht wie eine Mischung aus Cadillac-Cowboy und Mississippi-Outlaw. Und es ist tatsächlich ein wenig so, als würde man einen alten Freund nach langer Zeit wiedersehen und mit ihm die Plattensammlung durchgehen, ein paar alte Scheiben auflegen und sich seine Erinnerungen dazu austauschen.
Die Wurzeln des Rock
Und ein wenig Musikgeschichte kommt auch nicht zu kurz. Er sähe sich ein wenig als Ethnologen, meint er. Und er wolle die Wurzeln des Rock nachspüren, Stücke spielen, in denen noch die ursprünglichen afrikanischen Grooves, die karibisch-portugiesischen Rhythmen, der Geist des Bossa Nova, der Klänge von den Kapverden zu spüren sind. „Denn das alles haben den Blues und Rock ‚n‘ Roll geprägt“, sagt er und schnauft rhythmisch ins Mikro: „Das ist mehr als dieses Dumpf, Dumpf, Dumpf, das heute in den Radios und Discos gespielt wird.“
Und so fährt der Ethnologe mit seiner Suche nach den Wurzeln der modernen Musik fort mit einer tiefen Verbeugung vor dem Bluessänger Leadbelly, dessen Songs viele kennen und vielleicht nicht mal wissen, dass sie von dem alten Haudegen sind. Nirvana machte sein „Where Did You Sleep Last Night“ bekannt, „Good Night Irene“ wurde von etlichen Musikern immer wieder interpretiert, unter anderem von Eric Clapton, Ry Cooder oder Johnny Cash. Und weil die zwölfsaitige Gitarre Leadbellys Lieblingsinstrument war, spielt Carlton das Stück ebenfalls darauf – in einer Shuffleversion, begleitet von Akkordeonklängen, gefolgt von „Midnight Special“ – einem Song, der Leadbelly einst im berüchtigten „Angola Prison“ in Alabama sang und an die Lichtkegel der vorbeischnaufenden Eisenbahnen erinnert.
Der Bluesklassiker „Baby, What You Want Me To Do“ von Jimmy Reed durfte natürlich auch nicht fehlen. Der Song inspirierte Bands wie Led Zeppelin und die Rolling Stones, gehörte zum Repertoire von John Mayall und vielen anderen. Carlton liefert sich bei diesem Stück ein tolles Soloduell mit Pascal Kravetz, der wilde Orgelsounds kreiert. Carlton tobt sich auf seiner halbakustischen Gibson aus und tritt auch ordentlich auf das Wah-Wah-Pedal, dass der Song unglaublich rockig rüberkommt.
Carl Carlton, der vielgefragte Gitarrist
Überhaupt: Carl Carlton ist ja zu Recht ein vielgefragter Gitarrist. Er hatte an diesem Abend wieder einen exquisiten Sound, den er unter Einsatz einer anschaulichen Sammlung von Gitarren gestaltet. Und auch die Band lässt Kenner mit der Zunge schnalzen: Neben Keyboarder Kravetz, den man ja auch als Begleiter von Peter Maffay, Udo Lindenberg, Robert Palmer, Bruce Springsteen, Jimmy Barnes und anderen kennt, außerdem noch Bassist Wyzard, bürgerlich Jerry Seay, Mitbegründer der legendären Funk-Rock-Band Mothers Finest, sowie Drummer Dion Murdock.
Der Höhepunkt des Abends kommt nach einem sozialpolitischen Statement. Carl Carlton singt ein Stück von Billie Holiday, jenes, das schon damals in den 50er Jahren den Zuhörern das Blut in den Adern gefrieren ließ, das Gänsehaut produziert, ein Stück, das Billie Holiday als Aufruf verstand, für die Freiheit zum kämpfen. „Und es ist Zeit, mal wieder dafür zu kämpfen – für die Freiheit, und das hat nichts mit Parteizugehörigkeit zu tun“, sagt der schlacksige Ostfriese, „sondern mit Gesinnung, mit Einstellung, damit, für die Freiheit einzustehen und aufzustehen gegen Arschlöcher und gegen Rassenhass.“ Der Song heißt „Strange Fruits“, also „merkwürdige Früchte“. Es geht natürlich um gelynchte Schwarze, die von den Bäumen herunterhängen, ein Song den Billie Holiday so hingebungsvoll und eindringlich sang. Und es ist tatsächlich überraschend, mit was für einem eigenen Ausdruck Carl Carlton diesen Song interpretiert. Vielleicht einer der schönsten, auf jeden Fall ergreifendsten Momente dieses Abends.
Carl Carlton, der mit seinem Gitarrensound ein unabkömmlicher Wegbegleiter von Musikern wie Peter Maffay, Hermann Brood, Robert Palmer oder Manfred Mann war, brachte 2001 mit seiner Band Songdogs das wunderbare Album „Revolution Avenue“ heraus. Eingespielt wurde es in den Dockside Studios in Louisiana, und auf dem Album versammelte sich eine illustre Schar von Gastmusikern: unter anderen Gary Moore, Ron Wood, natürlich sein Freund Robert Palmer, Ian McLagan von den Small Faces sowie die The Band-Musiker Levon Helm und Garth Hudson. Insbesondere zu Helm hatte er ein sehr enges, geradezu väterliches Verhältnis, und der 61-Jährige erzählt so bildhaft von dieser Freundschaft und dessen Unterstützung bei Songs wie „Let It Rain“, das dann natürlich folgt, dass man unmittelbar Lust bekommt, in einer gedruckten Biografie des Norddeutschen weiterzuschmökern.
Auf der Setliste dieser musikalischen Reise nach Graceland darf natürlich auch „Little Sister“, das Doc Pomus einst für Elvis geschrieben hat, nicht fehlen, und eigene Stücke kommen ebenfalls zur Aufführung, so wie „Moonlight in New York“ oder „Toast To Freedom“ – erdige Musik, die all die erwähnten Einflüssen von den Rolling Stones über Little Feat, New Orleans bis Elvis zusammenfasst. Ein ganz ganz großartiger Abend. Nächstes Jahr bitte wiederkommen!