Bob Dylan hat den 17. Band seiner „Bootleg Series“ herausgebracht, diesmal einen Remix seines Albums „Time out Of Mind“ sowie etlichen alternativen Aufnahmen und nicht veröffentlichter Songs. Lohnt sich die Anschaffung?
Von Dylan C. Akalin
Es gilt als eines seiner faszinierendsten und mysteriösesten Kapitel in Dylans Diskografie –die „Time Out of Mind“-Sessions, die eine Fülle von Material hervorbrachten, das nun als Bob Dylan Fragments-Sammlung zusammengestellt und veröffentlicht wurde. „Time Out of Mind“ wurde 1997 veröffentlicht und war Dylans erstes Album mit Originalmaterial nach sieben Jahren. Das Album wurde weithin als Meisterwerk gefeiert und zeigt Dylans anhaltende Relevanz und Kreativität als Songwriter und Performer.
„Time Out Of Mind“ ist sicherlich nicht Dylans bestes Album, wie so mancher Kritiker schreibt. Dennoch hat es magische Momente. Und das Album hat bei mir einen besonderen persönlichen Stellenwert. Das Album erschien nicht nur im Geburtsjahr meines ersten Kindes, es gehört auch zu jenen Dylan-Platten, die einen bleibenden Eindruck bei meiner Tochter hinterlassen haben. Als sie 15 Jahre alt war, waren wir zusammen auf einem Dylan-Konzert, und sie hatte sich so gewünscht, dass er da etwas aus diesem Album gespielt hätte – was er nicht tat. Schon deshalb muss ich immer daran denken, wenn ich die Platte höre.
„Standing In The Doorway“ und andere Songs
Es sind aber auch wirklich großartige Songs auf diesem Album, von einem Musiker, von dem viele damals dachten, dass ihm nichts mehr einfalle, dessen kreative Quelle erschöpft schien. Dann war da noch die Produktion von Daniel Lanois: eine unausweichliche Atmosphäre, noch fetter als seine Arbeit auf „Oh Mercy“, die den hallenden 50er-Jahre-Sound, den Dylan gefordert hatte, technologisch schuf. Fünfundzwanzig Jahre später sind „Love Sick“, „Standing In The Doorway“, „Tryin‘ To Get To Heaven“, „Not Dark Yet“ und „Highlands“ immer noch Spitzensongs. Und die Texte rühren den Zuhörer jedes Mal aufs Neue.
In der Box gibt es ein lesenswertes und interessantes Booklet mit vielen Informationen und schönen Fotos. Bekanntlich hatte sich Dylan damals an den bekannten Produzenten Daniel Lanois gewandt, der schon erfolgreich mit Künstlern wie Peter Gabriel, U2 oder die Neville Brothers gearbeitet hatte. Die Sessions, die „Time Out of Mind“ produzierten, waren offenbar lang und intensiv, wobei Dylan und seine Band mit verschiedenen Sounds und Herangehensweisen experimentierten, um die Stimmung und Themen der Songs einzufangen. Gestartet hatten sie in Lanois Studio in Kalifornien, unweit von Dylans Heim in Malibu. Doch Dylan fühlte in dieser Konstellation zur Nähe seines Hauses nicht die kreative Spannung, die er fürs Songwriting und die Aufnahmen brauchte. Also wechselte man nach Miami. Tatsächlich kehrte die gewünschte R&B-Stimmung in Miami wieder zurück. Die Sitzungen waren offenbar von Spannungen und Konflikten zwischen Lanois und Dylan geprägt, aber auch von Momenten der Inspiration und Spontaneität.
Einblick in den kreativen Prozess
Die Bob Dylan Fragments-Sammlung bietet einen Einblick in diesen kreativen Prozess und enthält zahlreiche Outtakes, alternative Versionen und unveröffentlichte Songs aus den „Time Out of Mind“-Sessions. Die Sammlung umfasst in der ausführlichen Box-Version mehr als 80 Tracks, die von groben Demos und Skizzen bis hin zu vollständig realisierten Aufnahmen mit komplizierten Arrangements und Produktionen reichen. Einige der Songs sind Fans bekannt, die Dylans Karriere aufmerksam verfolgt haben, wie „Mississippi“ und „Trying to Get to Heaven“, die schließlich auf dem letzten Album enthalten waren. Andere Songs sind obskurer oder experimenteller und zeigen Dylans Bereitschaft, die Grenzen seines eigenen Stils zu erweitern und neue Ideen und Sounds zu erforschen. „Not Dark Yet (Version 1)“ ist noch unglaublicher, schneller Country-Soul aus Memphis mit Gitarre im Willie-Mitchell-Stil.
„Can’t Wait (Version 1)“ ist eine starke Aufnahme, die Band trifft auf Dylans kratzendes Gebrüll mit schmetternden Drums. Und die Texte sind ebenso überwältigend und treffen ins Herz: “Well my back is to the sun because the light is too intense/ I can see what everyone in the world is up against”; und “I’m getting old/ Anything now can happen to anyone.” Die Leute verehren Dylans „Gospel“-Shows von 1979/80, die auf „Trouble No More“ der Bootleg-Serie festgehalten wurden. Sein Blues- und Soul-Gesang hier ist indes noch heftiger, diese Session-Auftritte gehören zu seinen besten.
Rohe und intime Natur
Einer der auffälligsten Aspekte der Bob Dylan Fragments-Sammlung ist die rohe und intime Natur vieler Aufnahmen. Im Gegensatz zu den polierten und geglätteten Versionen der Songs, die es schließlich auf das endgültige Album geschafft hatten, sind viele der Tracks auf Fragments abgespeckt und ungeschminkt und enthüllen die Ecken und Kanten von Dylans Stimme und Gitarrenspiel. Dies schafft ein Gefühl von Unmittelbarkeit und Authentizität, das in der modernen Musik selten ist, und gibt dem Hörer das Gefühl, mit Dylan und seiner Band im selben Raum zu sein, während sie das Material durcharbeiten.
Ein weiterer interessanter Aspekt der Bob Dylan Fragments-Sammlung ist die Art und Weise, wie sie Dylans kreativen Prozess und seine Herangehensweise an das Songwriting beleuchtet. Während die Zuhörer sich durch die verschiedenen Demos, alternativen Takes und unveröffentlichten Songs bewegen, können sie hören, wie Dylan an verschiedenen Melodien, Texten und Arrangements herumgebastelt hat, um nach der richtigen Kombination von Elementen zu suchen, um seine Songs zum Leben zu erwecken – manchmal sind es nur Nuancen in den Formulierungen seiner Lyrics. Sie können auch hören, wie er auf eine breite Palette von Einflüssen zurückgegriffen hat, von Blues und Folk bis Rock ’n‘ Roll und darüber hinaus, um seinen einzigartigen Sound und Stil zu kreieren.
Letztendlich ist die Bob Dylan Fragments-Sammlung ein Muss für jeden Dylan-Fan oder ernsthaften Musikliebhaber. Es bietet einen faszinierenden Einblick in eine der produktivsten und einflussreichsten Perioden in Dylans Karriere und zeigt sein Talent und seine Kreativität in einem neuen und aufschlussreichen Licht. Egal, ob Sie ein langjähriger Fan von Dylans Musik oder ein neugieriger Neuling sind, der sein Vermächtnis erkunden möchte, die Fragments-Sammlung ist ein reichhaltiges und lohnendes Hörerlebnis, das für jeden etwas bietet. Allerdings bietet der Remis des Ursprungsalbums kaum neue Hörerfahrungen. Angeblich beseitigt der Michael Brauer-Remix Lanois‘ fragwürdige Exzesse holt den ursprünglichen Raumklang näher heran. Da muss man, finde ich, schon sehr genau hinhören.