Die Haare hängen ihm immer noch vor dem Gesicht. Sie sind nicht mehr grau, sie sind weiß. Eine Suite im Westin Grand Hotel Frankfurt. Bob Geldof, der charismatische Sänger der „Rats“, wie er die Boomtown Rats nur nennt, der Friedensaktivist, der Hauptinitiator der Afrika-Hilfsprojekte Band Aid und Live Aid ist entspannt und dennoch konzentriert beim Gespräch. Dass er von manchen spöttisch die Mutter Theresa des Rock genannt wird, ist ihm egal, meint er und sagt: „Ich heiße Bob, nicht Theresa“. Mit Geldof sprach GA-Redakteur Cem Akalin.
J&R: Mr. Geldof, ich bin wirklich sauer auf Sie.
Bob Geldof Ha, das sind viele.
J&R: Nach „Sex, Age & Death“ haben Sie sich zehn Jahre Zeit gelassen. Und jetzt dieses Album!
Geldof „Sex, Age & Death“ war eine sehr dunkle Welt, alles sehr düster und elend. Es brauchte eine Zeit, um sich davon zu erholen. Das neue Album ist völlig anders. Es steht im Zeichen der Liebe und des Verständnisses und der Erkenntnis, dass die Existenz des Menschen ohne Liebe total absurd ist.
J&R: Ich fühle mich ein wenig betrogen, wenn ich mir vorstelle, was Sie alles hätten schreiben können.
Geldof Na ja, unter welchen Bedingungen entstehen Songs? Ich meine, wenn ich wollte, könnte ich meine Gitarre nehmen und einen Song in einer halben Stunde komponieren. Die Frage ist, ob er in Ordnung ist oder einfach nur ein Stück Mist.
J&R: Was ist beim Songschreiben wichtig?
Geldof Das ändert sich mit dem Alter. Wenn du ein junger Mensch bist und gerade erst diese Welt zu entdecken beginnst, siehst du alles mit einem frischen Geist. Das ist es, warum Popmusik im Wesentlichen der Ausdruck von jungen Leuten ist. Wenn du älter wirst, lässt die Notwendigkeit, sich ausdrücken zu müssen, nach.
J&R: Ich wundere mich dennoch, warum Sie der Musik so lange fern geblieben sind.
Geldof Das habe ich doch gerade erklärt.
J&R: Mussten Sie eine neue musikalische Identität finden?
Geldof Ich habe ja dennoch mit Musik zu tun gehabt. Ich bin noch aufgetreten, habe Filmmusiken gemacht und andere Sachen. Wissen Sie, Songs sind für mich wie Postkarten aus meiner Psyche, die ich mir selbst schicke. Ich habe die ganze Zeit Songs geschrieben. Ich könnte jetzt auf der Stelle ein Lied über das Telefon da drüben schreiben.
J&R: Aber?
Geldof Das hat mit Kunst nichts mehr zu tun, das ist Handwerk. Ich hatte 32 Stücke geschrieben, aber ich musste das Material für das neue Album auf den Kern reduzieren. Ich dachte mir, zehn Stücke sind genug.
J&R: Als ich die neue CD zum ersten Mal gehört habe, dachte ich: Ja, das ist also der Mann, der einer ganzen Generation eine Stimme gegen globale Ungerechtigkeit gab und jetzt ein unaufgeregtes Alterswerk vorlegt. Wollten Sie Ihr Publikum überraschen?
Geldof Ich glaube, ich habe kein Publikum, also in dem Sinne, dass es eigentlich nicht die Leute gibt, die meiner Musik folgen. Ich denke nicht an ein Publikum, wenn ich Musik mache. Ich denke beim Komponieren nur an den Song und daran, was er für mich bedeutet. Ich will ein Lied, das pur und echt ist.
J&R: Und politische Songs?
Geldof Politik ist für mich ein absolut heiliger Ort, deshalb möchte ich keine politischen Songs schreiben. Okay, ich habe seinerzeit „Do They Know It’s Christmas“ geschrieben. Aber das war diese besondere Situation, die das erfordert hat.
J&R: Es heißt, Musik kann die Welt verändern. Sie haben dagegen festgestellt, dass Musik das Geld bringen kann, um die Welt zu verändern. Eigentlich doch ein kapitalistischer Denkansatz, oder?
Geldof Ich glaube nicht, dass Musik die Welt verändert. Musik suggeriert nur, dass sie es könnte.
J&R: Was kann Musik bewirken?
Geldof Musik kann helfen. Live Aid war für mich eine Möglichkeit, möglichst viele Menschen zusammenzubringen und zu einer Aussage zu bewegen. Erstes Ziel war, Menschen vor dem Verhungern zu retten, und zwar sofort. Und das ging nur mit Geld. Geld ist eine fantastische Sache. Geld verändert dein Leben. Erst das, was du damit anstellst, macht es zu einer guten oder schlechten Sache.
J&R: Hatten Sie seinerzeit mit diesem Erfolg von Live Aid gerechnet? Mit all den Folgen?
Geldof Puuuh! Ich glaube, es war weniger Live Aid, das erfolgreich war. Ich verstand meinen Job so, dass ich politische Lobbyarbeit leistete. Ich war mal bei den UN und traf Ministerpräsident OdinJ&R: aus Kenia. Er hat gesagt, nach Live Aid habe die Welt begonnen, differenzierter über Afrika zu denken. Das ist doch phänomenal.
J&R: Haben Sie jemals daran gedacht, in die Politik zu gehen?
Geldof Nein.
J&R: Das neue Album klingt wie eine Zeitreise. Sie erweisen George Harrison oder Tom Petty Ihre Reverenz. Wie kommt’s?
Geldof Nur weil die Gitarre an dieser Stelle so klingt, wie George die Slide-Gitarre spielte? Wenn ich das Thema auf der Orgel gespielt hätte, hätten Sie das nicht gesagt. Aber es stimmt. Ich sagte zu John Turnbull: Spiel es wie George! Das war aber nur, weil ich diesen Sound liebe. Tom Petty höre ich übrigens nicht so gerne. Ich liebe Captain Beefheart. Bei „Blowfish“, da wollte ich klingen wie Captain Beefheart.
J&R: Da gibt es rockige Stücke, aber auch eine Zartheit, die an Trey Anastasio erinnert.
Geldof An wen?
J&R: Trey Anastasio, Gitarrist, Sänger und Hauptkomponist der amerikanischen Rockgruppe Phish.
Geldof Kenne ich nicht.
J&R: Es gibt schöne, teils geheimnisvolle Texte und eingängige Melodien auf dem neuen Album. Wo kommen die her?
Geldof Ich weiß, das klingt jetzt sehr nach Klischee: Aber ich glaube, dass auch ein Teil deines Unterbewusstseins an diesen Liedern mitschreibt. Manchmal verstehe ich den Sinn der Texte selbst nicht. Wenn ich dann auf der Bühne stehe und das Stück darbiete, wird mir plötzlich klar, was sie bedeuten. Ich will es jetzt nicht mysteriöser klingen lassen als es ist, aber ich will eigentlich überhaupt keine Pop- oder Rock ’n‘ Roll-Songs schreiben. Rückwirkend betrachtet wird mir aber immer klarer, was das Songwriting bedeutet, wenn ich mich jetzt mit Ihnen darüber unterhalte.
J&R: Das Album heißt „How To Compose Popular Songs That Will Sell“. Warum dieser CD-Titel?
Geldof Ursprünglich wollte ich es „58½“ nennen.
J&R: Warum denn das?
Geldof Das war mein Alter, als die Stücke entstanden sind. Ich fand das nett und direkt. Aber dann entdeckte ich bei einem Freund dieses Buch von Leslie Sheppard aus dem Jahr 1935 mit diesem Titel. Und ich fand das ironisch. Lady GaJ&R: könnte so einen Titel gar nicht ironisch rüberbringen.
J&R: Ironie und Witz kommen auch in einigen Stücken vor, vor allem, wenn’s ums Alter geht. Da heißt es: „She’s a lover and she fits inside my head / She’s a lover but there’s nothing happening in my bed“. Und auf der anderen Seite singen Sie Liebeslieder mit völliger Hingabe. Sieht aus, als fühlten Sie sich wieder wohl in Ihrer Haut. Sind Sie gerade verliebt?
Geldof Ja, in meine Frau.
J&R: Die französische Schauspielerin Jeanne Marine.
Geldof Ich bin tatsächlich sehr bewusst verliebt. Ich war am Boden zerstört, als meine damalige Frau mich verließ …
J&R: … Paula Yates.
Geldof … und das ist genau das, was du auf „Sex, Age and Death“ hörst. Ich habe jede Frau gehasst. Ich wollte keine Frau mehr um mich haben, ich habe keiner mehr vertraut. Und was du auf „Com-pose“ hörst, ist, wie Liebe die endgültige Zerstörung deiner Seele stoppen kann.
J&R: An einer Stelle singen Sie: „I’m in Love with Life tonight“.
Geldof Diesen Song „Here’s To You“ habe ich in der Türkei geschrieben. Wir waren mit Freunden auf einem Boot unterwegs. Eines Abends hatten wir Dinner an Land, die Kinder waren alle mit, wir hatten tollen Wein, gutes Essen. Ich sah zu meiner Frau rüber und dachte: Das ist es, das ist es doch. Wonach suchst du eigentlich? Was zum Teufel ist mit dir los? Es gibt doch nichts Besseres als das hier: zusammen zu sein mit deiner Liebsten, deinen Kindern, den Freunden, tolles Essen, die Sterne über dir. Das ist es. Das ist Mensch sein.
J&R: Sie werden am 5. Oktober 60 Jahre alt. Panik?
Geldof Überhaupt nicht. Meine 50er waren meine glücklichste Zeit.
J&R: Pläne zum runden Geburtstag?
Geldof Ich werde in Wien sein und im Burgtheater spielen. Ich finde es toll, meinen 60. in einem ausverkauften Haus zu begehen. Die Party mit der Familie wird später nachgeholt.