„Murder Most Foul“: Bob Dylan veröffentlicht ersten neuen Song seit acht Jahren: Worum es geht? Hört und lest selbst

Dieses Foto zeigt Bob Dylan bei seinem Konzert in Würzburg. FOTO: Jens Winter (alle Rechte bei Jens Winter, Erfurt)

Bob Dylan hat die Fans am Donnerstagabend überrascht — mit dem ersten neuen Songmaterial seit acht Jahren. Am 27. März 2020 veröffentlichte der Sänger seine Single „Murder Most Soul“, berichtete Sony Music. Dylan selbst meinte dazu: „Grüße an meine Fans und Follower mit Dankbarkeit für all Eure Unterstützung und Loyalität im Laufe der Jahre. Dies ist ein unveröffentlichtes Stück, das wir vor einiger Zeit aufgenommen haben, das ihr eventuell interessant finden könntet.“ Dann wandte er sich noch direkt an seine Fans und sagte: „Bleibt in Sicherheit, bleibt aufmerksam und möge Gott mit euch sein.“ Das neue Studioalbum dazu „Rough And Rowdy Ways” erscheint am 19. Juni.

Von Dylan Cem Akalin

Das fast 17-minütige Epos „Murder Most Foul“ von Bob Dylan ist ein Song über die Ermordung von Präsident John F. Kennedy im November ´63. In einem kurzen Beitrag auf seiner Website gab Dylan wenig Informationen über die Herkunft des Songs. Dort ist auch ein offizielles Porträt von Präsident Kennedy zu sehen. Stilistisch erinnert der neue Song an Tempest (2012) oder ein wenig an Modern Times (2006).

Das Lied entfaltet sich langsam über einem zarten instrumentalen Hintergrund aus Violine, Klavier und gedämpftem Schlagzeug. Dylans Stimme ist opulent und ausdrucksstark, da er zwischen der Beschreibung des Attentats und Reminiszenzen an Legenden aus Film und Musik wechselt. Mit 16:56 Minuten ist „Murder Most Foul“ Dylans längstes Lied bisher. Der Text ist manchmal ein wenig verspielt, besonders in den letzten Minuten, aber insgesamt ist dies Dylan in seiner prägnantesten Form seit langem.

Seit seiner Shakespeare-Hommage „Tempest“ 2012 gab es keine neuen Songs mehr von Bob Dylan. Stattdessen hat der Literaturnobelpreisträger mehrere Alben mit Interpretationen von Liedern aus dem American Songbook herausgebracht, nicht immer glanzvoll. Wir haben ihn vermisst, seinen Blick auf die Geschichte, auf die politische Gegenwart.

Der 78-jährige, ewig mürrische Poet hat in der Nacht auf Freitag diesen neuen Song publiziert, den es als Download bei Amazon gibt. Die Ballade beschreibt zunächst den dunklen Tag in Dallas, den „Tag der Schande“, an dem der Mann, der so hoch im Kurs stand, „wie ein Hund“ abgeschossen worden sei.

Im Erzählduktus eines alten Barden

Während der brüchigen Zeilen sehen wir selbst die schwarze Limousine über die Straße rollen. Was für ein Attentat – der Poet wundert sich, dass Tausende zusahen, aber niemand etwas sah: „Greatest magic trick ever under the sun“. Und dann wird es wieder so surreal, wie wir es von Dylan kennen, wenn er Bilder collagiert, Textzeilen etwa von Gerry and the Pacemakers, von The Who, Sam Cook, Everly Brothers, Nina Simone, der Eagles, sogar von Queen ( „Another One Bites the Dust“) oder aus Kennedys Reden einstreut, Bilder, die in unseren Köpfen so präsent sind, als wären es unsere eigenen Erinnerungen, verknüpft mit melancholischen Beschreibungen zur schwermütigen Instrumentalbegleitung. Filmtitel wie eine Geschichte des Kinos werden geschickt eingestreut. Was mich besonders freut: „Lonely Are the Brave“, einer meiner Lieblingsfilme mit Kirk Douglas aus dem Jahr 1962, der auf dem Roman The Brave Cowboy von Edward Abbey basiert. Kennedy soll ihn auch geliebt haben.

Da sind Zitate aus eigenen Liedern wie „Desire“ oder ,,Blood In My Eyes“. Glaube, Hoffnung und Nächstenliebe kommen als die drei Tugenden der christlichen Theologie vor.

Dylan singt im Erzählduktus eines alten Barden, der in manchen Zeilen seine Botschaften versteckt:

I’m goin‘ to Woodstock, it’s the Aquarian Age
Then I’ll go to Altamont and sit near the stage
Put your head out the window, let the good times roll
There’s a party going on behind the Grassy Knoll
Stack up the bricks, pour the cement
Don’t say Dallas don’t love you, Mr. President

Gegenwärtiger Zustand der USA

Der Barde singt über eine Geschichte, die jeder kennt, deutet an, was jeder denkt: „What is the truth, and where did it go?/Ask Oswald and Ruby, they oughta know/“Shut your mouth,“ said a wise old owl/Business is business, and it’s a murder most foul“ Wer diese Zeilen hört, weiß, dass Dylan nicht nur die Vergangenheit meint, sondern auch gegenwärtigen Zustand der USA im Blick hat. Kennedy war vielleicht nur der Beginn der seelischen Verletzung einer ganzen Nation. Und der Albtraum geht weiter: „Nightmare on Elm Street“ Er singt es laut und deutlich: Sohn, das Zeitalter des Antichristen hat gerade erst begonnen. Dylan ist keiner, der Ross und Reiter beim Namen nennt, aber wir ahnen, dass Donald Trump und seine Lügen ihn zu diesem Song angestachelt haben müssen.

Wechsel der Perspektiven

Und wie man es von Dylan kennt, wechselt die Perspektive des Erzählers, der herumfliegt, wie es ihm gefällt. Der Mann ist ein Meister des Spiegelkabinetts, durch das er jede Menge Figuren und Fratzen jagt, zwischendurch übernimmt er gar die Perspektive des erschossenen Präsidenten selbst, der auf dem Rücksitz der Limousine sitzt und dessen Kopf auf dem Schoß seiner Frau ruht. Ja, es stimmt, nur tote Männer sind wirklich frei. Und was ist schon Zeit? Dylan singt von Kennedy, der seinen eigenen Tod am Abend zuvor in der Aufnahme des Attentats von Hobby-Filmer Abraham Zapruder sieht. Was ist hier Fake? Und was Dokumentation?

Der Song geht einem unter die Haut. Vor allem die Stellen, in denen er Kennedy selbst reden lässt, und gegen Ende wird es immer wilder. Figuren aus der Popkultur treten auf, wie Geister aus der schwarz-weißen Zwischenwelt der versöhnlichen Erinnerung. Marilyn Monroe, Charlie Parker, Buster Keaton, Harold Lloyd.

Play darkness and death will come when it comes
Play „Love Me Or Leave Me“ by the great Bud Powell
Play „The Blood-stained Banner“, play „Murder Most Foul“

Der Song ist eine Mahnung, das Alte und Gute nicht zu vergessen. Und eine Anklage von Leuten wie Donald Trump und ihre Taschenspielertricks. Ein Song zum Weinen.