Bob Dylan in Krefeld: Ein fantastisches Konzert mit Frühlingsgefühlen

Am Ende steht Bob Dylan mit seiner großartigen Band auf der Bühne, schaut ernst ins Publikum. Keine Verbeugung. Kein Abschied. Die Musiker, alle schwarz gekleidet mit glitzernden Revers, blicken stumm zu den gut 4500 jubelnden Fans – und treten ab. Das Konzert des 76-jährigen Nobelpreisträgers im Königspalast in Krefeld zählt zu den besten, die ich gesehen habe.

Von Dylan Cem Akalin

Das ist ja das Wunderbare an Dylan. Dass jeder Abend anders ist. Es kommt halt drauf an, wie die Laune des meistens doch mürrischen Meisters ist. Ganz so tänzelnd wie auf dem Kunst!Rasen in Bonn war er nicht drauf. Aber seine Gemütsverfassung lag durchweg im grünen Bereich. Manchmal deutete sich sogar mal ein Lächeln in seinem Gesicht an, manchmal schien der sonst mit Gestik so geizige Alte sogar zum Publikum zu greifen. Dylan in Frühlingsstimmung.

Eine einsame akustische Gitarre aus dem Dunkel kündigt Dylan pünktlich um 20 Uhr an. Die Bühne wirkt wie ein Filmset in einem Hollywoodstudio. Schwere Brokatvorhänge zeichnen im spärlichen Licht effektvollen Faltenwurf, die großen tief hängenden Spots geben gelbliches Licht auf die Bühne, auf der noch etliche kleine Lichtquellen an eine New Yorker Tanzhalle aus den 1940er Jahren erinnern.

Dylans Stimme überschlägt sich fast

Wie ein besorgter Mann, wie es in den ersten Zeilen von „Things Have Changed“ heißt, wirkt Dylan jedenfalls nicht. „I’m looking up into the sapphire-tinted skies/I’m well dressed, waiting on the last train.“ Ja, das passt schon eher. Dylan ist in den eindreiviertel Stunden meistens hinter dem Flügel, nur selten kommt er zur Bühnenmitte, wo mehrere Mikros stehen. Die Songs scheinen alle ineinander überzugehen, zwischendurch nur die Kakophonie der nachgestimmten Instrumente, aus denen sich jedes Mal ein neuer Song herausschält.

Grundstimmung des Abends: Alles ein bisschen Country (passend zu seinen hellen Cowboystiefeln, die er trägt), alles ein wenig beschwingter als sonst. Nach wie vor behält es sich der Meister vor, seine Songs so zu interpretieren, wie es ihm passt. Und so entwickelt sich der Abend – überwiegend – zu einem Rätselspiel. Nur ganz wenige Songs bleiben weitgehend im Originalarrangement, etwa „Love Sick“.

„Don’t Think Twice, It’s All Right“ hat etwas von einem Honky Tonk Song. Sogar sein Klavier erinnert an einen Westernsaloon. Einige Passagen spricht er mehr, als dass er sie singt. Überhaupt: Stimmlich ist Dylan an diesem Abend ganz große Klasse. Vielleicht sogar besser, als er es streckenweise auf „Triplicate“ ist.

Spritzig wie ein hawaiianischer Boogie

Das mystische „Highway 61 Revisited“ bringt er noch stärker vorwärtstreibender, der Rhythmus erinnert an eine stampfende Lokomotive, über der die Leadgitarre wie ein segelnder Vogel hinweggleitet. Gänsehaut.

Dylans Stimme überschlägt sich fast bei der Ballade „Simple Twist Of Fate“. Die Gitarre heult, während Dylan die Liebesgeschichte zwischen einem Freier und einer Prostituierten in einem neonbeleuchteten Hotel erzählt. Herzzerreißend, vor allem wenn man bedenkt, dass ihm diese Geschichte selbst passiert ist…

Spritzig wie ein hawaiianischer Boogie kommt „Duquesne Whistle“ daher und der Frank Sinatra-Song „Melancholy Mood“ wie eine entfernt bluesbasierte italienische Elegie. Nach „Honest With Me“ und „Tryin’ To Get To Heaven“ singt Dylan die hinreißende Swing-Ballade „Come Rain or Come Shine“ mit Anklängen an den R&B.

„Pay in Blood“ (aus dem Album „Tempest“), dieser Song über Gewalt und Repression in der Welt, die Anklage gegen Militärs und miese Politiker, klingt eine Spur wütender. Hinter ihm leuchten tiefrot Muster wie die hohen Fenster einer gotischen Kirche. Das unter dem Eindruck von Dantes „Göttlicher Komödie“ entstandene Werk „Tangled Up in Blue“ mit ganz starken autobiografischen Bezügen ist textlich ja schon eines der Meisterwerke Dylans. In Krefeld versetzt er das Stück mit einer gehörigen Portion Rock ‚n‘ Roll. Die Zeilen kommen wie Klagen, die auf Wellen gegen die Küste schlagen.

Dylans Stimme klingt verletzlich

„Early Roman Kings“ erzählt zwar die Geschichte einer Gangstergang in New York, musikalisch aber ist es eine Verneigung vor den Helden des Blues, Muddy Waters und Willie Dixon. Und in Krefeld spielt die Band den sich wiederholenden Hook mit besonderer Schwere. Das Publikum flippt aus!

„Desolation Row“: rhythmisch zögerlich, gesanglich beschreibend. Das wunderbare „Love Sick“: sehr im Original. Der Jazzstandard „Autumn Leaves“: sehr melancholisch mit einer geigenden Gitarre über den Vocals. „Thunder on the Mountain“: Laut und rockig.

„Soon After Midnight“ mit dem eingängigen instrumentalen Thema klingt an diesem Abend wieder wie ein Song aus den 50er Jahren. Dylans Stimme klingt verletzlich, vielleicht auch, weil es ein Song ist, der auf den Tod anspielt – wie er eh ein Song ist, der auf so viele Musiker deutet: Howlin‘ Wolf etwa und Elvis, den er mit der Zeile „It’s Now Or Never“ zitiert. Einer der Höhepunkte des Abends vielleicht. Im Anschluss daran passt „Long and Wasted Years“ ganz hervorragend. Auch dieses instrumentale Thema, das  so melancholisch daherkommt mit einer Offenheit, als würde da noch was kommen – so wie es eben in der Geschichte über das alte Ehepaar ist, das mit Wehmut zurückblickt auf Jahre, die sie vielleicht vergeudet haben, weil sich ihre Wege eigentlich nie so richtig gekreuzt haben.

Tänzelnde Version von „Blowin‘ In The Wind“

Kaum zu glauben, dass da schon anderthalb Stunden vorbei waren! Als Zugabe gibt es eine tänzelnde Version von „Blowin‘ In The Wind“ und das lässige „Ballad of a Thin Man“ mit der wieder mal so passenden Zeile „Because something is happening here but you don’t know what it is“. Sowieso ein sagenhaftes Stück voller rätselhafter Zeilen und so viel Platz für Interpretationen. Er selbst hat mal erzählt, es gehe um einen Typen, der eines Nachts ins dunkle Zimmer kam und seine Augen in die Tasche steckte. Aber viel eher ist es ein Song über Konformismus und das Einstehen für sich selbst. Wer weiß, vielleicht ein Fingerzeig auf uns alle?

Kaum ist er von der Bühne, da kommt eine Heerschar von Bühnenarbeitern mit gelben Schutzhelmen und baut ab. Dylan the Man zieht weiter auf der Never Ending Tour…