Von Dylan Akalin
„Thank you“, nuschelt er ins Mikrofon, als die knapp 5000 Fans in der ausverkauften Mitsubishi Electric Hall in Düsseldorf hingerissen applaudieren. „I make serious songs for serious people“, fügt er noch hinzu und lacht bevor er „To Be Alone with You“ einläutet. Bob Dylan lacht! Und er tanzt. Na ja, es sind eher angedeutete Tanzschritte, aber der 83-jährige Nobelpreisträger und vielleicht der beste Songschreiber der Neuzeit ist an diesem Sonntagabend außergewöhnlich gut gelaunt.
Und das spiegelt sich auch in seiner Performance und vielen seiner Neuinterpretationen wider. Für mich der ergreifendste und schönste Moment: „I’ve Made Up My Mind to Give Myself to You“ vom Album „Rough and Rowdy Ways“ (2020). Hinreißend wie der Song erst wie ein langsamer Walzer startet und dann immer leiser und sachte wie ein Wiegenlied wird. Streckenweise bekommt dieses Liebeslied über Hingabe, das existenzielle Einsamkeit und die Suche nach Verbindung thematisiert, den Zauber italienischer Liedermacher der 50er und 60er Jahre a la Luigi Tenco. Hingebungsvoll, sanft, ehrlich, zerbrechlich, was die innere Reife und Schwere der Entscheidung aber nur noch stärker hervorhebt.
„Crossing the Rubicon“
Das Konzert von Bob Dylan in Düsseldorf 2024 findet auf meiner Liste der Dylan-Konzerte auf jeden Fall einen Platz ganz oben. Jeder mag dazu stehen wie er/sie möchte. Ja, es ist immer wieder ein Rätsel, wie er auch seine bekanntesten Songs so interpretiert, dass man bisweilen einen Moment braucht oder erst am Text erkennt, welcher Titel es ist. Aber das genau ist ja das spannende am Dylan’schen Kosmos, dieses immer wieder Neuentdecken von Nuancen. Oder man versteht den Song plötzlich ganz anders. „Crossing the Rubicon“ (Rough and Rowdy Ways, 2020) ist tatsächlich ein typischer Bluesstoff: Ein Song über irreversible Entscheidungen und Lebensveränderungen, über den Punkt im Leben, an dem es kein Zurück mehr gibt. Dylan präsentiert den Song noch stärker im Bluesschema als auf dem Album. Die Gitarre schreit, ja kreischt, als er am Ende die Endgültigkeit seiner Entschlossenheit besingt: „I turned the key and I broke it off and I crossed the Rubicon.“
Habe ich etwas vermisst heute Abend? Seine Band ist fantastisch, er super gut gelaunt. Ja, Donnie Herron. Der Mann, der seit 20 Jahren zur Band gehörte und mit Lap Steel, Mandoline, Geige, Trompete den Sound maßgeblich prägte, ist leider nicht dabei. Dafür Jim Keltner am Schlagzeug, selbst 82 Jahre alt, ein alter Freund und Wegbegleiter, der auf der Originalaufnahme von „Knocking On Heavens Door“ (1973) und weiteren Alben von Dylan spielte. Bassist Tony Garnier gehört auch noch dazu wie auch Bob Britt und Doug Lancio an den Gitarren.
„Desolation Row“
„Desolation Row“ ist sicherlich kein Lied, das sofort als humorvoll ins Auge springt. Und es ist im ersten Moment irritierend, wie Dylan und seine Band die melancholische, beinahe apokalyptische Stimmung mit den surrealen, oft düsteren Charakterporträts in eine schnelle, geradezu tanzbare und merkwürdig fröhliche Nummer transportieren. Spricht da etwa eine gewisse Ironie aus dem 83-Jährigen? Tatsächlich können die Figuren in „Desolation Row“ – Romeo, Cinderella, der verrückte Doktor, Ophelia und Einstein –in grotesken, fast karikaturhaften Szenen dargestellt werden. Und ja, wenn man die Figuren als satirische Stereotypen begreift, ergibt sich ein humorvoller Kommentar auf die menschliche Natur und unsere Schwächen, als ob Dylan hier eine düstere, aber komische Parodie auf die menschliche Gesellschaft und ihre Archetypen entwerfen würde. Mir läuft jedenfalls ein Schauer über die Haut, als ich den Song so höre. Dazu spielt Dylan noch diese laute Mundharmonika und haut ein paar schräge Akkorde aus dem Flügel heraus.
„Desolation Row“ könnte 2024 als eine ironische Darstellung einer Gesellschaft verstanden werden, in der das Gefühl der Verlorenheit vorherrscht. Die skurrilen Beobachtungen und verborgene Ironien entfalten sich in dieser Version von „Desolation Row“ zu einem witzigen, surrealen Albtraum.
Die Bühne ist dunkel gehalten. Im Dämmerlicht. Wie schon in den vergangenen Jahren. Jetzt sieht die Bühne aus, wie ein verlassenes Filmset. Zwei Scheinwerfer beleuchten spärlich die Bühne. Und als die Band einsetzt, klingt es, wie das Spiel einer Truppe in später Nacht in einer längst leeren Cantina. Die Stühle sind längst auf die Bartische gestellt, das Personal kehrt den Boden.
„All Along The Watchtower“
Da setzt sich der letzte Gast ans Klavier und startet mit ein paar bekannten Harmonien, die Band setzt ein, ohne zu ahnen, wohin die Reise geht. „All Along The Watchtower“ (John Wesley Harding, 1967), eine düstere, biblisch inspirierte Ballade über Verzweiflung und prophetische Visionen mit schnellen Perspektivwechseln, ist von Jimi Hendrix zum Rockstandard gemacht worden. Und die ersten Akkorde spielt Dylan, versteckt vom Flügel, noch auf der Gitarre. Auch „It Ain’t Me, Babe“ (Another Side of Bob Dylan, 1964) hat mit dem Original wenig zu tun. Doch das Publikum ist sofort hingerissen. Und als der Meister noch in die Mundharmonika bläst, ist der Bann zwischen Künstler und Publikum gebrochen. Bei „I Contain Multitudes“ (2020) verschluckt Dylan manche Worte im Chorus, der von Walt Whitman inspirierte Song über die Widersprüche der menschlichen Persönlichkeit wird hier zu eine Art Einführung in den Abend, an dem Dylan das Altern und seine Reflexion vielleicht über das eigene Leben ein wenig anders zeigen will.
Leicht resignierter Grundton
„False Prophet“ (2020) kommt mir wilder als auf dem Album vor, der Zynismus viel stärker betont. Dafür startet „When I Paint My Masterpiece“ (Greatest Hits Vol. II, 1971), vom tollen Publikum sofort erkannt und gefeiert, leichtfüßig wie ein Fred Astaire-Tanz. Spielt die Band im Intro nicht sogar die Harmonien von „Puttin‘ On The Ritz“? Am Ende tänzelt Dylan sogar neben dem Flügel.
Der Song reflektiert das Streben nach einem „Meisterwerk“ und die Suche nach künstlerischer Erfüllung. Dylan singt ihn heute mit einem leicht resignierten Ton, was das Streben nach Vollendung in Frage stellt.
„Black Rider“
„Black Rider“ ist ja schon auf „Rough and Rowdy Ways“ ein unglaublich starker Song, eine düstere Ballade über Sterblichkeit und das Bewusstsein der eigenen Endlichkeit. Dylan interpretiert den Song dramatischer, die gezupften Arpeggios der Gitarre, dumpf und laut, klingen als kämen sie von einem Streicherquartett, schwer und getragen. Am Ende wird der Song zu einem Trauermarsch.
Ziemlich jazzig kommt „My Own Version of You“ (2020) daher, gegen Ende bekommt der Gesang durch die rhythmische Betonung fast einen Rap-Anstrich. Besonders intensiv erlebe ich „Key West (Philosopher Pirate)“ (2020) als Zwiegespräch. Der träumerische Stil im Original weicht einer gewissen Abgeklärtheit, was dem Song über Zufluchtsorte und Sehnsuchtsziele einen gewissen zynistischen Grundton gibt – was durch die erneute schräge Pianoeinlage verstärkt wird.
Leichte Countrytöne
Leichte Countrytöne gibt es bei „It’s All Over Now, Baby Blue“ (Bringing It All Back Home, 1965), „Watching the River Flow (Single, 1971, später auf Bob Dylan’s Greatest Hits Vol. II, 1971) ist eher ein reißender Strom denn ein ruhig fließender Fluss, „Mother of Muses“ (2020) hat etwas von einem stillen Gebet, und „Goodbye Jimmy Reed“ (2020) kommt tanzbar und energiegeladen daher. Die Passage, in der er singt, dass er es ablehnt, „die Gitarre hinter meinem Kopf zu spielen“ oder sich „anzubiedern“, kommt mir besonders humorvoll vor. „Ich kann kein Lied singen, das ich nicht verstehe“, singt er, hackt erst ins Piano und spielt dann eine wunderschöne Mundharmonika. „Every Grain of Sand“ (Shot of Love, 1981) beendet ein gut zweistündiges Konzert mit einer ruhigen spiritueller Reflexion über die Bedeutung und Ordnung des Lebens – fast wie ein Gebet. Dann bleibt die Bühne dunkel, die Band, auch Dylan selbst, bleiben kurz stehen, während die Fans ihn laut feiern – dann treten sie ab.
Setlist Bob Dylan Düsseldorf 2024
All Along the Watchtower
It Ain’t Me, Babe
I Contain Multitudes
False Prophet
When I Paint My Masterpiece
Black Rider
My Own Version of You
To Be Alone with You
Crossing the Rubicon
Desolation Row
Key West (Philosopher Pirate)
It’s All Over Now, Baby Blue
I’ve Made Up My Mind to Give Myself to You
Watching the River Flow
Mother of Muses
Goodbye Jimmy Reed
Every Grain of Sand