Von Cem Akalin
Die ostinatohaften Motivfiguren beherrschte einst kaum einer wie Keith Jarrett. Das Spiel mit dem Einfachen, dem die rechte Hand des Pianisten fantasievoll antwortet, ist aber mittlerweile auch ein beliebter Stil junger Jazzpianisten wie Aaron Parks oder Brad Mehldau, dem derzeit wohl faszinierendsten Pianisten in der Szene. Johannes von Ballestrem bewies im Schumannhaus, dass er mit seinen 22 Jahren schon durchaus souverän einen Soloabend bewältigen kann, quasi die Königsklasse.
Der talentierte, in Berlin lebende Bonner bot ein beeindruckendes Programm mit eigenen Kompositionen und Variationen Schumann’scher Werke.
Die Albumblätter kommen mal beschwingt, wie von Duke Ellington geküsst, intellektuell verspielt wie bei Fred Hirsch oder romantisch verträumt wie von Jack Terrasson. Seine eigenen Stücke sind eher wild und ungezähmt. Da gilt der Rat von Miles Davis: Manchmal sind die Noten wichtiger, die man nicht spielt.
Die Bundesregierung ist natürlich Schuld. Wäre sie damals nicht nach Berlin gezogen, wer weiß, ob Johannes von Ballestrem der Jazzvirus erfasst hätte. „Auf jeden Fall“, würde der wunderbare Avantgardist Sun Ra sagen. „Du bist der Jazz, es ist alles in Dir.“ Und so wird es wohl auch bei dem 22-Jährigen Pianisten sein. In Bonn geboren, in der Grafschaft aufgewachsen, mit 15 zogen die Eltern – der Vater ist Ministerialbeamter – nach Berlin. Das war das erste Glück des musikbegeisterten Jungen, das zweite war seine Einschulung ins Arndt-Gymnasium Dahlem. Denn an dieser Berliner Schule gibt es gleich drei Jazz Big Bands und einen überaus engagierten Lehrer mit einem feinen Händchen für musikalische Talente. Erfahrungen sammeln konnte er in verschiedenen kleineren Ensembles aber auch in Big Bands, etwa dem Landesjugendorchester Brandenburg, wo er den in Bonn lebenden amerikanischen Posaunisten Jiggs Whigham kennenlernte, der ihn schließlich im vergangenen Jahr zum Bundesjazzorchester holte.
Wer Ballestrem live erlebt, der ahnt gewisse Vorlieben und Vorbilder. Da ist natürlich der Übervater jedes modernen Jazzpianisten: Thelonious Monk, bekannt für seine kantigen Improvisationen über dissonante Harmonien, seine bisweilen überraschenden melodisch-rhythmischen Effekte. Aber besonders hat es Ballestrem der zeitgenössische New Yorker Straight-Ahead-Jazz angetan, wie ihn etwa Aaron Parks vertritt. Aber natürlich auch der einzigartige Brad Mehldau, Free Jazzer wie Paul Bley, der im vergangenen Jahr verstorbene Drummer und Komponist Paul Motion oder Ornette Coleman. Es wird also durchaus spannend werden, wenn Ballestrem am Sonntag im Schumannhaus 182, Schumann’sche Themen interpretiert.
Wie geht er da vor? „Ich arbeite die Essenz der Kompositionen heraus. Mir geht es darum, zur musikalischen Idee zu improvisieren. Dabei will ich aber nicht auf einstudierte Schemata zurückgreifen, sondern spontan entscheiden, wohin die Reise geht. Alles ist offen“, erklärt Ballestrem.