Wir sprachen über die Allman Brothers („Das Ende ist wohl besiegelt“), B.B. King („ein wahrer Gigant unserer Musikgeschichte“) und seinen langjährigen Gitarrentechniker Brian Farmer, der all den Gitarren Namen gab, aber eine Sache hat Warren Haynes, 55, wohl doch beschäftigt. ,Hat der Mann, der mich da interviewt tatsächlich 25 Töchter?‘
Eine eingangs flapsig hingeworfene ironische Bemerkung ließ den Rock- und Blues-Gitarristen und Sänger jedenfalls nicht los. Nachdem das Aufnahmegerät ausgeschaltet war und wir uns im Backstage-Bereich der Live Music Hall in Köln noch ein wenig locker unterhielten, platzte die Frage plötzlich aus ihm heraus: „Hast du wirklich 25 Töchter?“ Und es schwang eine gewisse Bewunderung mit.
„Nein, das war doch ironisch gemeint. Ich habe zwei Töchter, aber sie sind gut für 25…“
Warren lachte. „Ich weiß genau, was du meinst.“
Er kramt sein Handy aus der Hosentasche und sucht in der Bildergalerie. „Hier, das ist mein Sohn Hudson.“ Er hielt mir das Bild eines flachsblonden kleinen Jungen mit einer Gitarre im Arm entgegen.
Im Interview ging es natürlich auch ums Gitarrenspiel. „Es ist immer ein guter Rat an Musiker, sich andere Instrumente anzuhören. Ich habe ja als Sänger angefangen, und meine Phrasierung an der Gitarre kommt von der menschlichen Stimme von Leuten wie B. B. King, Ray Charles, Aretha Franklin oder Ottis Redding“, antwortete er auf die Frage, an was er sein Spiel orientiere. „Ich habe schon immer eher ein Faible für Gitarristen gehabt, die durch ihr Instrument gesungen haben.“ Wie möchte er denn, seine Gitarre klingt? Die überraschende Antwort: „Wie Sonny Rollins‘ Tenorsaxophon!“
Doch dann unterhielten wir uns doch hauptsächlich über sein neues Album: „Ashes & Dust“. Mit Warren Haynes sprach Cem Akalin.
Mit deinem neuen Album zeigst du uns wieder eine andere Seite. Gerade mit „Dark Side…“ und ScoMule hast Du deine Fans ja schon überrascht. Da kommt wieder eine neue Seite. Woher kommt diese Vielseitigkeit?
Warren Haynes: Ich denke, das hängt damit zusammen, dass ich so viele Musikrichtungen liebe und außerdem so eine Lust verspüre, mich auf viele Art und Weisen auszudrücken. Vor allem seit ich die Möglichkeiten habe, das auszuleben – und das Publikum das akzeptiert. Dafür bin ich sehr dankbar.
Oh, du meinst also, dass es seine Zeit brauchte, bis deine Fans diese Eskapaden in andere musikalische Gefilde akzeptierten?
Haynes: Oh ja, denn auch das Publikum hat ja sehr unterschiedliche Geschmäcker. Ich denke, es gibt eine ganze Reihe von Künstlern, die nicht so aus ihrem Rahmen herauskommen, immer nur eine Sache zu machen und sich darin gefangen fühlen. Das wollte ich nie. Ich wäre nicht glücklich, wenn ich immer nur auf ein Ding beschränkt wäre.
Wo kommen diese vielen Einflüsse her?
Haynes: Die prägen mich schon mein ganzes Leben. Ich bin ja in den Bergen von North Carolina aufgewachsen, einer Gegend, wo es alle möglichen Arten von Musik gab.
Es hat also mit deiner Biografie zu tun? Mit welcher Musik bist du denn aufgewachsen?
Haynes: In North Carolina gibt es viel Appalachian Music, Bluegrass, Folk, viel akustische Instrumentalmusik, und diese Musik hörte ich, seit ich ein Kind war. Die erste musikalische Liebe war James Brown. An die Soulmusik kam ich über meine älteren Brüder. Sie hörten auch die Beatles und die Rolling Stones. Mein Vater hörte viel Bill Monroe und The Stanley Brothers.
Also eher Country.
Haynes: Ja, aber auch Bluegrass, und das war dort, wo ich aufwuchs, sehr populär. Ich mochte das eigentlich nicht. Erst so mit 14 Jahren erkannte ich, dass das echt großartige Musik ist. Und nachdem ich Bob Dylan für mich entdeckt hatte, entdeckte ich andere Singer/Songwriter wie Jackson Browne und James Taylor. Und so langsam kapierte man, woher diese Musik kam. Daher war es mir so wichtig, die Kunst des Songwriting zu lernen. Ich wollte nicht einfach nur Gitarre spielen und singen können. Ich wollte auch Songs schreiben, die etwas bedeuteten, die eine Geschichte erzählten. Denn alle Songwriter, die ich verehrte, waren Geschichtenerzähler.
Wie wer zum Beispiel?
Haynes: Als allererstes Bob Dylan.
Dein neues Album hat übrigens auch eine ganze Menge Bob-Dylan-Stimmungen drin. So manches erinnert mich an seine Platte „Desire“.
Haynes: Das ist echt eine tolle Platte!
Vielleicht kommt es auch daher, weil du auch oft die Geige einsetzt, wie Dylan damals.
Haynes: Mag sein. Das war zwar keine Absicht von mir, aber es ist ein wunderbares Album.
Andere Stücke auf deinem Album haben mich an Mark Knopfler und Lyle Lovett erinnert!
Haynes: Ich liebe jedenfalls all diese Musik, die du da erwähnst. Weißt du, wenn du dir Künstler wie Tom Waits, Neil Young, Elvis Costello oder Roger Waters anschaust, dann wird dir auffallen, dass sie alle Geschichten erzählen mit ihrer Musik. Deshalb haben Rockmusik und Folk doch Ähnlichkeiten. Und die Texte, die ich für die Musik schreibe, sogar für Gov’t Mule, kommen doch alle mehr aus der Folkecke.
Das Album ist jedenfalls völlig anders als das Material, das man von dir kennt. Wie kam es dazu?
Haynes: Weiß du, ich schreibe solche Songs schon mein ganzes Leben! Einige Songs sind wirklich neu, andere sind ziemlich alt.
Tatsächlich?
Haynes: Ja, da sind Songs drauf, die zehn, zwanzig, sogar 30 Jahre alt sind, wie etwa der erste Song auf dem Album „Is It Me Or You“. Den habe ich in den 80ern geschrieben. Alle Songs auf dieser Platte haben eine sehr persönliche Bedeutung für mich. Es sind alles Songs, die ich gern mal aufnehmen wollte, aber es gab nicht die richtige Gelegenheit dazu.
Es zeigt also eine heimliche Seite von dir? Deine heimliche Liebe zu Americana, Country und Folk?
Haynes: Ich weiß nicht, ob ich wirklich so viele Geheimnisse in mir habe… (lacht) Wer meine Karriere aber aufmerksam verfolgt hat und vielleicht auch mal eins meiner Solo-Akustik-Konzerte erlebt hat, der weiß, dass ich auf solche Musik stehe. Der Punkt war, dass ich mittlerweile so viele Songs dieser Art geschrieben hatte, dass ich dachte: Sie brauchen jetzt ein Zuhause. Es ist eine Art Erweiterung meiner Solo-Aktivitäten.
Du hast also keine Berührungsängste zu anderen Genres und zu anderen Musikern. Nervt dich eigentlich diese strikte Trennung, die es in der Musik gibt?
Haynes: Irgendwie schon. Ich versuche, diese Grenzen nicht aufrechtzuerhalten, die andere errichten. Aber ich kann verstehen, wenn Menschen in solchen Kategorien denken. Ich sehe für mich aber keinen Grund, mich zu beschränken. Je mehr Musik du entdeckst, desto besser wird dein Leben sein!
Bist du grad eigentlich richtig verliebt?
Haynes: In meine Frau! (lacht) Warum?
Weil auf „Ashes & Dust“ so viele gefühlvolle Songs sind, Lieder voller Liebe und Sehnsucht. Du singst teilweise sogar anders. Deshalb dachte ich: Der Mann ist verliebt.
Haynes: Nur in meine Frau. (lacht) Aber ich glaube, dass du das deshalb so empfindest, weil die Stücke eben zum Teil sehr alt sind und eben in ganz bestimmten Gefühlsstimmungen geschrieben wurden. Sie entstanden in Abschnitten meines Lebens, in denen gerade etwas sehr Wichtiges, auch Aufwühlendes geschehen ist. Es ging zum Teil auch um Beziehungen, um Beziehungen, die ich hatte, bevor ich meine Frau kennenlernte.
Zum Beispiel der Song „Company Man“…
Haynes: … handelt von meinem Vater. „Wanderlust“ ist über Gram Parsons.
Den Country-Rockmusiker? Was ist mit „ New Year’s Eve”? Das ist so ein echter Gänsehaut-Song. Welche Geschichte steckt dahinter?
Haynes: (zögert) Das ist ein wirklich persönliches Lied. Es erzählt eine Geschichte durch meine Augen und handelt von einem Freund aus meiner Kindheit, der an einem Silvesterabend gestorben ist. Das ist schon so viele Jahre her. Aber jeder, der einen geliebten Menschen an einem Feiertag verlor, weiß, dass dieser Feiertag nicht mehr der Feiertag ist, der er war. Er hat eine andere Bedeutung.
Du denkst also heute immer noch jeden Silvester an diesen Freund aus deiner Kindheit?
Haynes: Jeden Silvester!